Erinnern für die Zukunft

Marinanne Konze (Jg. 1929) berichtete von Faschismus und Krieg
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Die “Woche der Erinnerung” fand am Freitagabend mit einem Schweigegang durch die Bahnhofstraße und der daran anschließenden Gedenkveranstaltung "Gelsenkirchener Lichter" ihren Abschluss. Der Tag des Gedenkens an die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz erinnerte auch an die erste Verschleppung jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga.

Die Gedenkveranstaltung auf dem Neumarkt in der Gelsenkirchener Innenstadt erinnerte am Abend des 27. Januar an den geplanten, beschlossenen und systematisch durchgeführten Völkermord an den europäischen Juden, Sinti und Roma und schloss dabei alle Opfer des totalitären NS-Regimes ein, ungeachtet ihrer Nationalität, Ethnie, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder sonstiger Merkmale. Erinnert wurde auch an diejenigen, die von den Nazis schikaniert, inhaftiert, gefoltert und ermordet wurden, weil sie Widerstand leisteten oder verfolgten Menschen Schutz und Hilfe gewährten.

An diesem Tag jährte sich auch zum 70. Male die erste Deportation jüdischer Menschen aus Gelsenkirchen. Die allermeisten der am 27. Januar 1942 nach Riga verschleppten jüdischen Menschen wurden von den Nazis ermordet. Die oftmals einzigen Spuren ihres Lebens finden sich heute nur noch in den alten Meldeunterlagen der Stadt. Es sind bürokratischen Vermerke wie „nach dem Osten abgeschoben“ oder „unbekannt verzogen“. Es blieben nur wenige am Leben, die Zeugnis ablegen konnten.

Herman Neudorf, einer der wenigen Gelsenkirchener Juden, die 1945 von den Alliierten befreit wurden, formuliert es so: "Oft wundert man sich selbst, dass man diese schrecklichen Jahre überhaupt überleben konnte." Veranstalter Andreas Jordan von Gelsenzentrum e.V. sagte in seiner Rede: "Gemeinsam wollen wir heute auch an die Menschen aus Gelsenkirchen denken, denen in Riga und anderswo unbeschreibbares Leid zugefügt worden ist, die dennoch überleben konnten. Ihre Leidenswege sollen heute nicht unbedacht bleiben." Eine Aufzeichnung der Gedenkveranstaltung wird den in den USA lebenden "Gelsenkirchen Survivors" - eine Gruppe Gelsenkirchener Juden, die den Holocaust überlebt haben - auf Wunsch zur Verfügung gestellt.

Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbandes NRW und Vorstandsmitglied des Zentralrates und des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma betonte in seiner Ansprache, wie wichtig es sei, “nicht mehr wegzuschauen, denn wir wissen alle, zu was der Nationalsozialismus führte. Leider fehlt hier in Gelsenkirchen aber immer noch ein öffentliches Zeichen der Erinnerung und des Willens, dass Schicksal der aus Gelsenkirchen verschleppten und in Auschwitz ermordeten Sinti und Roma nie zu vergessen. Der Sinn unseres Gedenkens ist nicht Anklage und Schuldzuweisung, sondern Ermutigung zum handeln - die Erinnerung an das Geschehen durch Zeichen des Gedenkens oder Veranstaltungen wie die heutige ist ein Appell an unsere Verantwortung für unser Zusammenleben heute. Politikerinnen und Politiker sollten darin besonders Vorbilder sein, heutigen Erscheinungen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus endlich entschiedener entgegenzutreten, denn diese sind keineswegs harmloser als damals.”

Auch Dr. Michael Krenzer (Zeugen Jehovas), Marianne Konze (VVN/BdA), Toni Lenz (MLPD) und Kalle Wittmann (AUF) hoben in ihren Wortbeiträgen hervor, dass es grade in unserer Zeit – nicht nur aufgrund des Terrors der NSU und vieler anderer Nazis in Deutschland – wichtig ist, sich der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands während des Nationalsozialismus bewusst zu werden. Die Gelsenkirchener Stadtspitze, wie auch Vertreter der etablierten Parteien, der Kirchen sowie der “Demokratischen Initiative” suchte man auf der Gedenkveranstaltung vergeblich. “Wo ist der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen? Wo sind die politischen Vertreter und Vertreterinnen? Warum stehen sie nicht hier?” fragte Bärbel Beuermann (DIE LINKE) in ihrem Wortbeitrag, und weiter führte sie aus: “Ich vermisse diese Solidarität der Stadt Gelsenkirchen und ich mahne an: Wenn Mahnen und Gedenken nicht respektiert wird, dann gehen wir in eine Zukunft, die wir alle nicht haben wollen.” Die Gedenkveranstaltung endete mit dem Appell an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: “Seit wachsam! Nie wieder Faschismus!”

Gedenktage und das Erinnern sind für unsere Gesellschaft wichtig, weil sie Demokratie und Menschenrechte stärken. Der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar muss uns auch künftig dazu anhalten, über die gegenwärtige gesellschaftliche und politische Bedeutung von Nationalsozialismus und Holocaust nachzudenken. Dazu bedarf es einer lebendigen Erinnerungskultur quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppen in der Stadt.

Autor:

Andreas Jordan aus Gelsenkirchen

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