Wie mich der Omnibus für direkte Demokratie fand (zum Thema Volksabstimmung)

Was ich mittlerweile gelernt habe ist, dass das Leben einem passiert und die Dinge, die sein müssen eben sein müssen. Gerade mache ich Urlaub in Bad Gandersheim. Ein schöner kleiner Ort mit viel Natur drumherum. Es ist die Zeitschreibung Tag eins nach dem TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und kanzlerwerdenwollender Peer Steinbrück. Ich schenkte mir dieses Sendeformat. Zum einen, weil ich schon gewählt habe, zum anderen, weil es für mich unerträglich ist. Unsere Demokratie in ein billiges Show-Format zu packen, ist schon die unterste Schiene unserer politischen Auseinandersetzung. Entgegen meiner eigentlichen Gewohnheiten schaltete ich morgens den Fernseher an und sah Gabor Steingart zu Gast in einer Fernsehsendung. Gabor Steingart kenne ich noch als Journalist beim Spiegel, der seinen neoliberalen Sermon einfach nicht lassen konnte. Wen wundert es, wenn er doch auch für den Think Tank “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” tätig war oder ist. Letzteres weiß ich leider nicht.

Nun sitzt Gabor Steingart da und erzählt Dinge, die ich irgendwie befürworten oder nachvollziehen kann. Was ist passiert? Mittlerweile ist er beim Handelsblatt gelandet. Ich finde aber auch, dass im Handelsblatt mehr kritische Berichte zu finden sind. Ich kann nicht verstehen, wieso Herr Steingart in dieser Sendung davon spricht, dass wir eine direkte Demokratie brauchen. Er selbst ist Nichtwähler geworden, wohlwissend, wie wichtig Wahlen in einer Demokratie sind. Ich wunderte mich nur über seine Aussagen, die gar nicht mal mehr so neoliberal klangen. Nicht in diesem Fall.

Nachdem ich mit Wundern fertig war, ging ich in das beschauliche Örtchen Bad Gandersheim. Ich wollte zur Touristeninformation, um mir zeigen zu lassen, was man hier alles schönes besichtigen kann. Da wurde ich jäh aufgehalten. Auf dem Platz vor der Kirche stand der Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland. Dieser Bus ist seit Jahren unterwegs, um Menschen für die Volksabstimmung zu sensibilisieren, aufzuklären und zu informieren.

Aus der Broschüre, die mir gegeben wurde:

“Der OMNIBUS FÜR DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND ist eine Bürgerinitiative, die sich auch für die Verwirklichung der Volksabstimmung auf allen Hoheitsebenen einsetzt. Der wichtigste Impuls für unsere Arbeit kommt von dem Künstler Joseph Beuys, der 1971 die “Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung” mit dem Büro in Düsseldorf gründet. 1972 installiert wer das Büro auf der “documenta 5″ in Kassel und spricht 100 Tage mit den Besuchern über den “Erweiterten Kunstbegriff” und die “Direkte Demokratie”(…)”

Dieser Bus tauchte zwar immer wieder irgendwo auf und ich hatte großes Interesse, ihn zu besuchen. Aber wie es so ist, es kam immer etwas dazwischen. Ganz nah war er mir, als Jürgen Kramer Kurator der Ausstellung “Im Spannungsfeld des Erweiterten Kunstbegriffs – Gelsenkirchener um Beuys” in Gelsenkirchen war. Diese Ausstellung unterstützen wir Urbanausen, eine Initiative von Kulturschaffenden. Jürgen und ich diskutierten immer über Politik und es faszinierte mich, wie er mit einer einzigen Rückfrage mein Gedankenkonzept durcheinander brachte und ich mich wieder neu hinterfragen musste. Es tat so gut, mit einem Menschen über Kunst, Politik und Gesellschaft zu diskutieren, der sich auch in diesen Feldern gebildet hat. Er fehlt mir!

Nun stand er da, dieser Bus. In einem Ort von dem ich bis vor Kurzem gar nicht wusste, dass es ihn gibt. Volksabstimmung. Ein Thema, das mich derzeit sehr beschäftigt. Ich bin für direkte Demokratie. Ich bin für die Emanzipation des Menschen. Ich bin ja auch für das Bedingungslose Grundeinkommen. Jedoch sind mir in den letzten Tagen Menschen begegnet, die mich wieder an der direkten Demokratie zweifeln ließen. Die Welt wird gerade verdammt durcheinander gerüttelt, ein Krieg in Syrien steht bevor. Unruhen in Ägypten, Armut in Ost- und Südeuropa. Das hat zur Folge, dass viele Menschen Hilfe in anderen Ländern suchen. Somit auch in Deutschland. Das Wort “Flüchtling” ist wieder sehr präsent. Leider verstehen so Manche nicht, welchen Anteil unsere Industrienation an diesem internationalen Leid hat. Der wirtschaftliche Wohlstand in Deutschland kommt nicht einfach so daher. Reichtum entsteht immer dann, wenn an anderer Stelle Armut entsteht. Und dann hört man sie wieder sagen, dass die Rumänen unser Sozialsystem missbrauchen. “Diese Menschen” sollen mal 8 Stunden arbeiten gehen. Gänzlich unreflektiert sind diese Aussagen dahingehend, dass Flüchtlinge überhaupt nicht arbeiten dürfen. Sie sind in einer Zwickmühle. Bekommen zu wenig Geld, um zu leben und zu viel, um zu sterben. Ihre Perspektiven hier in Deutschland sind gleich Null. Aber wenigstens sind sie weg von Gewalt. So dachten sie, als sie nach Deutschland kamen. Nun gibt es in Duisburg dieses “Problemhaus”. Ein Unwort des Jahres, wie ich finde. Es ist eine Problemgesellschaft, die nicht mit der Geschichte, dem Not und Elend und auch der Kultur klarkommen will. Und nun ist sie wieder da, diese Gewalt. Die Flüchtlinge haben Angst und das in Deutschland.

Und dann komme ich ins Grübeln. Volksabstimmung. Ich wünsche mir eine emanzipierte und mündige Gesellschaft. Aber ich höre nur Menschenverachtung, Neid und Angst. Diesen Zweifel teilte ich Werner Küppers mit, der den Bus für direkte Demokratie betreut. Aber eigentlich konnte ich, meine Gedanken laut ausgesprochen, schon selbst antworten. Was war zu erst da, das Huhn oder das Ei? Wir müssen anfangen, bevor die Menschen noch mehr gebrainwashed und entmündigt werden. Würde die direkte Demokratie eingeführt werden, sind auch die Bildungssysteme und die Politik gezwungen, Menschen zu informieren und den Diskurs mit dem Volk zu wagen. Es geht hier um thematisch organisierte Volksabstimmungen. Nehmen wir mal an, das Bedingungslose Grundeinkommen wird nicht mehr per Petition in den Bundestag gebracht und dann einfach ausgesessen, bis dass es ohne auch nur einen vernünftigen Grund abgelehnt wird. Nehmen wir mal an, es gibt eine Volksabstimmung darüber. Dann bekommt der Bürger Macht. Initiativen werden los ziehen und Veranstaltungen über das BGE machen. Nichts, was es nicht auch jetzt schon gibt. Aber die Qualität wäre noch anders. Die Menschen haben dann eine direkte Beteiligung an dem Thema. Wir müssen darüber reden und Bedenken ausräumen. Und dann kann abgestimmt werden. Direkt! Und der Bürger gibt den Parlamenten einen Auftrag. Da ist dann nichts mehr mit Aussitzen. Dann werden die Politiker in die Pflicht genommen. Ich gebe zu, während ich diese Zeilen schreibe wird mir so klar, welche eine Errungenschaft die direkte Beteiligung wäre.

Wer kennt dieses Gefühl von Ohnmacht nicht? Selbst Gabor Steingart wählt nicht mehr. Die Nichtwähler sind nicht dumm oder uninteressiert. Sie werden politisch nicht mehr abgeholt. Resignieren und haben keine Hoffnung mehr, sich einmischen zu können. Und da ist was dran. Nachdem ich mich mit der Petition 1422 (BGE) von Susanne Wiest beschäftigt habe, wurde mir von einem Vertreter von “Mehr Demokratie” gesagt, dass wir auf die Petition nicht einwirken können. Nur mit einem bundesweiten Volksentscheid hätten wir die Möglichkeit. Da wurde mir erstmalig bewusst, dass der Bürger nur im Kleinen was bewirken kann. Bürgerbegehren werden mittlerweile immer mehr wahrgenommen. Wir können kommunal was bewegen aber bundesweit leider nicht.

Die Diskussion am Bus mit Herrn Küppers war sehr spannend. Natürlich unterschrieb ich vor Ort die Liste für direkte Demokratie. Ich bin kein Freund von Online-Petitionen. Eigentlich mag ich gar keine Petitionen, wenn es um politische Einmischung geht. Ich will die Regierung nicht bitten müssen. Aus diesem Grund habe ich mich online nicht an einer Abstimmung beteiligt. Eine Unterschrift gebe ich auf der Straße eigentlich auch nicht. Aber dieser Bus und die Intention waren mir bekannt. Also unterschrieb ich. Und als ich Herrn Küppers von Gabor Steingart erzählte, wurde ich darüber aufgeklärt, dass er Kontakt mit dem Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland aufgenommen hat. Somit wurde mein Wundern binnen eines Tages zur Erkenntnis. Wie das Leben eben so spielt!

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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