Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: Wie Gelsenkirchen nun verfährt in Sachen Verkehr

Zwischen Lösungsansatz (alle fünf Minuten eine Straßenbahn) und Problem (Dieselfahrzeuge).
  • Zwischen Lösungsansatz (alle fünf Minuten eine Straßenbahn) und Problem (Dieselfahrzeuge).
  • hochgeladen von Harald Landgraf

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ist der Weg für die Städte frei, Diesel-Fahrverbote einrichten zu können. Aber fraglich ist, ob diese eine Lösung für das Problem an der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen darstellen.

Die Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen gilt als eine der mit am stärksten belasteten Straßen im Ruhrgebiet. Maßgeblich für die Luftreinhaltung in Städten ist ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft (µg/m3), der nicht überschritten werden darf. Das wird er jedoch, das belegen Werte der dort befindlichen Messstation. Die Stadt berichtet: "Die Messwerte der vergangenen fünf Jahre sind in Gelsenkirchen rückläufig. Nach vorläufigen Zahlen betrug der Wert für 2017 an der Messstation Kurt-Schumacher-Straße 48 µg/m3."
Das Problem ist seit Jahren bekannt, sogar ein Fahrverbot für Lkw über 3,5 Tonnen wurde eingerichtet, Lkw ohne Anliegen dürfen nicht über die Berliner Brücke fahren. Doch noch weitere Maßnahmen wurden ergriffen, wie Pressesprecher Martin Schulmann erklärt. Abbiegebeziehungen seien unterbrochen, Rückstaumöglichkeiten verhindert worden, insgesamt sei der Verkehr heute flüssiger. Dadurch dass die Bushaltestelle rückverlegt worden sei, müsse der Bus nun nicht mehr mit Vollantrieb bergauf anfahren. Für mehr Begrünung sei gesorgt worden und in Bezug auf den Individualverkehr räumt er ein, dass ja auch die Autos immer besser würden. Alle Maßnahmen zusammen hätten dazu beigetragen, dass die Feinstaubwerte unterhalb der Grenze liegen und die Stickoxidwerte leicht erhöht seien, bei - für 2017 noch nicht bestätigten - 46 Mikrogramm.
Dennoch wolle man jetzt, da Diesel-Fahrverbote quasi möglich wären, von solchen absehen. Schulmann: "Verkehre müssen möglich bleiben, rund 50 Prozent aller Fahrzeuge würde es treffen, die Umwege fahren müssten." Weitere Wege in Kauf zu nehmen, wäre aber "umweltpolitischer Unsinn, weil wir ja weniger Schadstoffe haben wollen." Stattdessen sei es ratsam, öfter das Auto stehen zu lassen: "Jeder, der aufs Fahrrad umsteigt, der hilft der Umwelt, jeder, der mit der Straßenbahn fährt, hilft der Umwelt."
Mit einer Vielzahl von Maßnahmen muss folglich an der Luftreinhaltung gearbeitet werden, statt nur die Lkw an einzelnen Messstationen im Blick zu haben. Dafür engagiere man sich jetzt mit dem "Green City Plan", der im Februar schon vorgestellt wurde. Und der beinhaltet nicht nur die Verbesserung des ÖPNV (Fünf-Minuten-Takt der 302 ist ein Beispiel) oder des Radwegenetzes, sondern sucht nach intelligenter Technik, wie beispielsweise Sensoren an Ampeln. Die könnten erkennnen, wie lang der Rückstau ist und die Grünphase entsprechend anpassen. Je flüssiger der Verkehr, umso besser für die Umwelt. Außerdem könnten Apps entwickelt werden, die den Usern den jeweils schnellsten Weg zur Arbeit vorschlagen, unter Berücksichtigung von Rad- und Straßenbahn-Fahrzeiten.
Ein neuer, in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Münster zu erstellender Luftreinhalteplan müsse "Maßnahmen enthalten, mit denen der Grenzwert unter Berücksichtigung der voraussichtlich in den nächsten Jahren rückläufigen Emissionen von Fahrzeugen in absehbarer Zeit eingehalten werden kann."
Alles sieht also danach aus, dass die Stadt ihre Hausaufgaben macht. Vor diesem Hintergrund ist auch die Stellungnahme von Oberbürgermeister Frank Baranowski zu sehen, den das neuerliche Urteil ärgerlich stimmt: „Leider wird die gesamte Verantwortung für die Luftreinhaltung bei den Kommunen abgeladen. Der eigentliche Verursacher, die Autoindustrie, bleibt außen vor und wird nicht in die Verantwortung genommen. Da es nach dem Urteil auch keiner bundesweiten Rechtsgrundlage bedarf, ist auch die Bundesregierung außen vor. Die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger müssen die Suppe auslöffeln, die uns die Hersteller mit Abschaltsystemen und Schummelsoftware eingebrockt haben.“
Wenn Fahrverbote eingerichtet würden, wünschen sich die Kommunen auch die Blaue Plakette. Damit wäre von außen am Fahrzeug erkennbar, ob es die notwendige Umweltnorm erfüllt. Das würde Kontrollen vereinfachen. Allerdings liegt für diese bundeseinheitliche Regelung wieder der Ball auf der Spielfeldseite der Bundesregierung, was rasche Lösungen nicht unbedingt erwarten lässt.
Bis dahin bleibt nur, auf Freiwilligkeit zu setzen, darauf zu hoffen, dass sich jeder Autofahrer vergegenwärtigt: Jede vermiedene Autofahrt schützt die Umwelt.
Dass Gelsenkirchen gute Karten hat, ohne Durchfahrtsbeschränkungen die Luft zu verbessern, glauben ganz viele Menschen.

Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen, ist „durchaus zuversichtlich, dass die betroffenen Städte Möglichkeiten finden, eine Verbesserung der Luftqualität auch ohne Diesel-Fahrverbote zu erreichen:

„Städte können jetzt genau abwägen, welche Maßnahmen sie einsetzen, Fahrverbote stehen erst am Ende der Kette von Optionen“

. Karl-Friedrich Schulte-Uebbing (IHK)

Auch denkt er, dass die NO2-Grenzwerte in Schalke-Nord zukünftig eingehalten werden könnten. „Mit dem Masterplan zur Luftreinhaltung, der von der Stadt Gelsenkirchen aktuell erarbeitet wird, steht mittelfristig ein Bündel an Maßnahmen zur Verfügung, mit dem die Luftqualität insbesondere an der Kurt-Schumacher-Straße deutlich verbessert werden kann“, sagt Schulte-Uebbing.

Markus Töns, SPD-Bundestagsabgeordneter, erklärt, die SPD stehe auf der Seite der Verbraucher und sieht Pflichten auch bei den Herstellern, "dass sie Diesel-PKW nachrüsten, sofern das technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Hier gilt das Verursacherprinzip und wir werden die Autoindustrie nicht aus der Verantwortung entlassen. Die Hersteller stehen aber nicht nur finanziell in der Pflicht. Sie müssen auch dafür sorgen, dass die Hardware-Nachrüstung in das System der Fahrzeuge integriert werden kann, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Laut ADAC ist eine Reduzierung der Stickoxide bis zu 90 Prozent ohne Auswirkung auf den Kraftstoffverbrauch möglich."

Oliver Wittke, CDU-Bundestagsabgeordneter, meldet sich aus Berlin: "Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht für Ausnahmefälle den Weg für Fahrverbote von älteren Dieselfahrzeugen freigemacht hat, gehe ich davon aus, dass es aufgrund geringfügiger Überschreitungen auf der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen nicht zu Fahrverboten kommen muss."

Patrick Jedamzik, Vertreter der GRÜNEN im Umweltausschuss: „Wer sich vor einigen Jahren in gutem Glauben einen Diesel gekauft hat, steht nun als doppeltes Opfer dar: Einmal hat er ein Produkt bekommen, was nicht der Ausweisung entsprach, zum anderen droht nun, dass man dies nicht mal vernünftig nutzen kann. Ganz zu schweigen vom Wertverlust. Opfer sind aber auch die Kommunen, so wie Gelsenkirchen, die nun eventuell auf solche solche Fahrverbote zurückgreifen und sich überlegen müssen, wie man diese überhaupt kontrollieren wolle."

Sascha Kurth, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Ratsfraktion: "Für uns als CDU ist die Investition in eine intelligente und vernetzte Verkehrssteuerung beispielsweise deutlich besser, als jedes Fahrverbot. Hier müssen alle politischen Kräfte, deren primäreres Augenmerk das Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger ist, an einem Strang ziehen!“

Jan Specht, sachkundiger Einwohner im Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz von AUF Gelsenkirchen, teilt mit: "Gelsenkirchen darf Fahrverbote nur einführen, wenn sich die Stadt zugleich massiv einsetzt für erstens eine SCR-Katalysator-Nachrüstung auf Kosten der Autokonzerne, zweitens eine Entschädigung der Betroffenen für den erheblichen Wertverlust und drittens einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr, zunächst für die Betroffenen."

Die Lokalpolitik wird sich übrigens zeitnah mit dem Thema beschäftigen, wie der umweltpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Michael Maaßen, ankündigt: "Für Gelsenkirchen hat die SPD-Ratsfraktion einen Dringlichkeitsantrag für die Tagesordnung des Umweltausschusses am 13. März gestellt, um eine Einschätzung der Verwaltung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu erhalten.“

100.000 Euro für „Green City Plan“

  • Die Stadt Gelsenkirchen hat im vergangenen Jahr den Förderantrag „Green City Plan“ beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eingereicht und rund 100.000 Euro als zweckgebundene Projektfördermittel genehmigt bekommen. Inzwischen ist nach einer Ausschreibung der Masterplan Green City an die Planersocietät aus Dortmund vergeben worden.
  • Schwerpunkte des Masterplans werden Themen wie umweltsensitive Verkehrslenkung, intermodale Verkehrssteuerung, Verbesserung des ÖPNV-Angebotes, der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur, der Einsatz umweltfreundlicher Antriebe bei der kommunalen Fahrzeugflotte, City-Logistik, Begrünung und betriebliches Mobilitätsmanagement oder auch E-Lastenräder und Güterverteilzentren sein.
  • Als erste vorgezogene Maßnahme ist die Einführung des Fünf-Minuten Taktes der Linie 302 seit dem 5. Februar 2018 Teil des Green City Plans, erste Anzeichen sind hier schon erkennbar, dass das Angebot besser angenommen wird. 
Autor:

Harald Landgraf aus Dinslaken

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