Traumsequenzen (2)

Die Krankenschwester

… Sie zieht den Hausschlüssel ab, drückt mit dem linken Ellbogen die Haustür zu, streift ihre Schuhe ab, schiebt sie mit einem Seufzer der Erleichterung unter den Heizkörper und wirft ihren Schlüsselbund auf die Ablage. Ihre große Umhängetasche und eine Tüte, aus der sich ein Duft von frischen Brötchen verbreitet, legt sie unter der Garderobe ab. Die braune Steppjacke hängt sie sorgfältig über einen Bügel.

Dann hebt sie die Brötchentüte auf, horcht kurz nach oben, öffnet eine der drei Türen und betritt die kleine Küche. Die Tüte legt sie neben der funkelnden, italienischen Kaffeemaschine ab, die ihr neuer Lebensgefährte mitgebracht hatte. Vor einigen Wochen hatten sie sich näher kennengelernt. Das heißt, sie waren sich schon vorher begegnet, bei Freunden. Paul hieß er, und er war erst bei ihr eingezogen, nachdem sie sich von einem anderen Mann getrennt hatte. Für seine Wäsche, Hosen, Hemden und eine etwas zu rustikale Lederjacke hatte sie im Schrank ihrer Tochter, die seit einigen Monaten im Ausland studierte, Platz gemacht.

Auch die riesigen Kartons, in denen die Teile einer Modelleisenbahn verstaut waren, von der er sich unter keinen Umständen trennen wollte, hatte sie vorläufig im Fernsehzimmer, das zwischen Küche und Wohnzimmer lag, aufgestapelt. Die sperrigen Kartons nervten sie gewaltig, aber er wollte sie nicht im Keller unterbringen. Da sei es viel zu feucht für seine wertvolle Anlage … Männer.

Sie öffnet den Hängeschrank, fischt einen Teebeutel aus einer grünen Blechdose, lässt frisches Wasser in den Wasserkocher laufen und dreht den Faden des Teebeutels um den Henkel ihrer großen, geblümten Teetasse, die sie mit einem passenden Deckel abdecken kann, und lässt den Beutel in die Tasse fallen. Sie trinkt lieber Tee als Kaffee, besonders morgens, wenn sie vom Nachtdienst nach Hause kommt. Kaffee war seine Sache. Penibel füllte er den Siebträger mit feinem Kaffeepulver, das er vorher in einer kleinen, elektrischen Kaffeemühle aus frischen Bohnen gemahlen hatte. Speziell gerösteten Bohnen, versteht sich … Anfangs hatte sie diese Zeremonie noch belustigt. Mittlerweile fand sie dieses Gehabe nur noch lächerlich, trank aber nach dem Essen schon mal einen Espresso mit – alleine schon, um ihn nicht zu kränken.
Das Wasser begann zu sieden, gab gurgelnde Geräusche von sich und als es richtig kochte, schaltet sich der Wasserkocher mit einem Klick automatisch ab. Sie gießt das heiße Wasser auf den Teebeutel und legt den Deckel auf die Tasse.

Er schlief wohl noch – und so konnte sie erst in Ruhe frühstücken, ihren Tee trinken und danach ausgiebig duschen. Aus dem Flur holt sie die große Tasche, packt einige Plastikdöschen mit Butter, Marmelade und Leberwurst aus und stellt sie auf den Kühlschrank. Zwei Becher Fruchtjoghurt und einen mit Schokopudding kramt sie noch heraus, stellt sie aber sofort in den Kühlschrank. Alles Sachen, die von den Patienten zurückgegeben wurden und wieder in der kleinen Stationsküche gelandet waren.

Ihr Appetit war heute nicht sonderlich groß. Sie überlegt, ob ein Joghurt reichen würde, entscheidet sich dann aber für ein Brötchen. Auch wenn sie alleine frühstückt, legt sie eines der grünblau gestreiften Platzsets auf, holt einen Frühstücksteller aus dem Bord, stellt die Zuckerdose dazu und legt Löffelchen und Messer neben den Teller. Sie schneidet das Brötchen auf. Anschließend nimmt sie je eine der kleinen Portionen Butter, Marmelade und Wurst vom Kühlschrank und stellt sie auf den Tisch. Die beiden Brötchenhälften bestreicht sie dünn mit Butter, danach die eine Hälfte mit Leberwurst, die andere mit Marmelade und beißt zuerst in das Wurstbrötchen. Sie hebt den Deckel von der Tasse, zieht den Teebeutel raus und legt ihn in den umgedrehten Deckel. Morgens nimmt sie immer drei kleine Löffel Zucker, wohl wissend, dass es mindestens zwei zu viel sind. Aber sie braucht das jetzt einfach.
Nachdem sie etwas lustlos die Brötchenhälften aufgegessen hat, reckt sie sich ein paar Mal aus, stellt das Geschirr auf die Anrichte, wirft die geleerten Plastikdöschen in den Mülleimer und geht nach oben, um zu duschen.

Die Türe zum Schlafzimmer braucht sie nicht öffnen, sein Schnarchen war auch so zu hören. Sie dreht sich um und verschwindet im Bad. Kurz darauf prasselt das Wasser in die Duschwanne. Das Geräusch wird erst leiser, als sie unter der Dusche steht. Nach einiger Zeit wird es still – nur ihr leises Summen einer Melodie ist noch zu hören. Sie dreht ein Handtuch turbanartig um ihre nassen Haare und betrachtet ihr Gesicht kurz im Spiegel. Mit beiden Händen streicht sie ein paar Mal über die Falten unter den Augen und hebt kurz ihre Schultern. Nackt betritt sie das Schlafzimmer, öffnet eine Türe des Kleiderschranks, greift nach einem Shirt und an anderer Stelle nach einem Slip. Beides zieht sie schnell an. Er schnarcht noch immer.

Als sie ihm die Bettdecke wegzieht, geht sein Schnarchen in ein schmatzendes Geräusch über und bricht danach sofort ab. Er schreckt hoch und stiert sie völlig verwirrt an.

„Nu komm schon, wie lange willst du denn noch im Bett liegen“, mault sie.
„Unten sind frische Brötchen … ich brauche jetzt auch mal ein paar Stunden Schlaf – ohne dein Geschnarche.“
Sie kuschelt sich auf der anderen, freien Bettseite unter die Decke. Er dreht sich zu ihr hin und lässt seine Hand unter die Decke gleiten.
„Nein, bitte lass mich … ich bin hundemüde.“

Etwas Unverständliches murmelnd, zieht er seine Hand zurück, steigt aus dem Bett, greift seinen Bademantel und geht, ohne ihn anzuziehen, ins Bad. Kurz darauf hört sie noch die Klospülung … dann seine schweren Schritte auf der Treppe nach unten.

Autor:

Gottfried (Mac) Lambert aus Goch

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