Zugvögel: Die Wildgänse kommen

Im Oktober ein häufiger Anblick: Formationen von Graugänsen auf dem Weg in ihre Winterquartiere. Fotos: gemeinfrei / Wikimedia Commons
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Lautes Geschnatter aus dem Nachthimmel, und breite Formationen am Tag: Tausende von Wildgänsen überfliegen derzeit unsere Region. Alle Jahre wieder, möchte man meinen - aber die genauen Umstände der Wanderung halten selbst für Experten auch heute noch Mysterien bereit.

Wer in diesen Tagen zum Himmel hinaufsieht, kann sie leicht entdecken: Wie große Keile aus dunklen Punkten ziehen unablässig Formationen von Wasservögeln durch die Luft. Selbst nach dem inzwischen schon sehr zeitigen Sonnenuntergang kann man die Tiere ohne Probleme wahrnehmen: Lautes Geschnatter markiert ihren Weg über unseren Köpfen.

Dieser Weg hat schon vor Wochen begonnen: Wenn die Gänse über die Lippe ziehen, haben sie oft schon eine rund 6000 Kilometer lange Reise hinter sich. In den Weiten Sibiriens ziehen sie in den kurzen Sommern ihre Jungen groß, bis diese flügge werden. Kündigt sich im Norden der Herbst an, machen sich die Vögel auf ihre lange Reise zu ihren Winterquartieren.

Dabei ist Gans nicht gleich Gans: Zehn Arten gehören zur Gattung der sogenannten Feldgänse, von denen sechs auch bei uns häufige Wintergäste sind. Die größten unter ihnen sind die Grau- und Saatgänse, die mit ihrer Flügelspannweite von etwa 180 Zentimetern schon ordentlich Eindruck am Himmel machen - vor allem, wenn sie in Scharen auftreten.

Gut organisiert ist halb gewonnen

Zur Rast dienen freie Flächen in Gewässernähe oder auf den Seen selbst: In großen Schwärmen kann man die Tiere hier derzeit einschweben sehen. Dabei sind die Gänse bestens organisiert: Während die meisten ruhen oder sich an frischem Grünzeug laben, halten immer ein paar Wächter Ausschau nach möglichen Bedrohungen. Nähern sich Mensch, Hund oder Fuchs, kann es dann schon einmal zu regelrechten Massenstarts mit mehreren Hundert Tieren gleichzeitig kommen.

Einmal im Flug, ordnen sich die Vögel auf typische Weise an: In langen Keilformationen hintereinander fliegend, erinnern sie an den Buchstaben "V". Dabei profitieren alle Gänse, bis auf den Vogel an der Spitze, von einem geringeren Luftwiderstand im Schatten ihres Vordermannes. Das vieltönende Geschnatter dient dabei zur Kommunikation.

Geheimnisse bleiben

Wie finden die Tiere aber ihren Weg? Die meisten Forscher gehen davon aus, dass sich die Vögel am Magnetfeld der Erde orientieren, was auch Nachtflüge ohne Sternensicht möglich macht. 2005 fand ein Oldenburger Forscherteam heraus, dass bei nachtaktiven Zugvögeln ein bestimmter Hirnbereich aktiv wird, sobald sie "auf Nachtflug schalten". Die Forscher vermuteten, dass diese zusätzliche Sinnesleistung eine bessere Nachtsicht, eine magnetische Orientierung und sogar eine Navigation nach den Sternen ermöglichen könnte.

Andere Fragen, etwa ob die Tiere im Flug sogar in eine Art Schlafmodus fallen, sind noch nicht ganz klar. Ähnlich wie bei Meeressäugetieren, bei denen nur eine Hirnhälfte ruht, damit sie im Schlaf nicht ertrinken, könnten die Vögel lange Strecken im "Halbschlaf" zurücklegen - das vermuten zumindestens die Wissenschaftler. Auch das Verhalten während des Zuges, Ruhephasen und Energieumsetzung, können oft nur durch immer modernere Technik ergründet werden. Ältere Sender, mit denen die Zugvögel überwacht werden sollten, waren früher oft schlicht zu klobig und unzuverlässig.

Des einen Freud, des anderen Leid

Solche akademischen Fragen trüben für die meisten Menschen aber nicht das Erlebnis der zu Tausenden anreisenden Wintergäste. Schnatternd und in breiter Front anfliegend, bieten die Vögel einen imposanten Anblick. Naturschutzorganisationen bieten Exkursionen zu den Winterquartieren der Tiere am Niederrhein an, und Hobby-Ornithologen tauschen sich über ihre Erlebnisse in sozialen Netzwerken aus. Auch Abschüsse werden jedes Jahr unzählige erzielt, allerdings nur mit der Kamera: Die Jagd auf die Wasservögel ist in ihren westfälischen Winterquartieren streng verboten.

Das freut nicht jeden: Landwirte beklagen in schöner Regelmäßigkeit, dass ihnen die rund 200.000 überwinternden Gänse das Wintergetreide buchstäblich von den Feldern fressen würden. Besonders ärgerlich finden einige Bauern am Niederrhein, dass die Jagd in der westfälischen Heimat verboten, in den angrenzenden Niederlanden hingegen erlaubt sei. Vielleicht ist es so kein Wunder, dass NRW bei den Gänsen ein beliebtes Winterquartier ist. Gans schön schlau.

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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