Forensik: Böser Gruß aus Düsseldorf

Das Gelände des ehemaligen Schacht 9 in der Hohen Mark soll zukünftig für eine Hafteinrichtung für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter genutzt werden. Politik und Bürger wurden von der Entscheidung überrascht. Quer durch die Parteien formiert sich Widerstand. Dafür könnte es allerdings bereits zu spät sein. Foto: Borgwardt
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  • Das Gelände des ehemaligen Schacht 9 in der Hohen Mark soll zukünftig für eine Hafteinrichtung für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter genutzt werden. Politik und Bürger wurden von der Entscheidung überrascht. Quer durch die Parteien formiert sich Widerstand. Dafür könnte es allerdings bereits zu spät sein. Foto: Borgwardt
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Das Schicksal des ehemaligen Wetterschachtes AV 9 in der Hohen Mark schien bis vor wenigen Tagen geklärt zu sein: Nach bisheriger Planung sollte die Anlage nach dem Ende des Kohleabbaus 2015 wieder dem Wald übergeben werden. Nun soll hier nach dem Willen der Landesregierung NRW eine forensische Klinik entstehen. Die Bürger der anliegenden Gemeinden sind verärgert.

Wer den Weg nicht kennt, übersieht die kleine Straße schnell, so sehr schmiegt sie sich zwischen die Bäume. Biegt man aber von der Granatstraße etwa auf Höhe von Tannenberg nach Westen ab, rollt man über eine rissige Teerdecke ein gutes Stück durch den Wald. Erst dann weist ein bemoostes Hinweisschild den Schacht AV 9 aus. Es ist ruhig hier. Wanderwege führen tiefer in den Forst, bunte Blätter zeugen von der nahenden kalten Jahreszeit. Auf das Schild hat jemand mit einem dicken blauen Stift ein Wort gemalt, daneben einen ungelenk skizzierten Totenkopf.

Das Wort lautet „Forensik“.

Kein Thema ist im Moment präsenter in den umliegenden Gemeinden. Nachdem vor gut einer Woche bekannt wurde, dass die Schachtanlage in den kommenden Jahren in eine Klinik für psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter umgewandelt werden soll, mischen sich Besorgnis, Wut, Überraschung, Populismus und Aktionismus zu einer Mischung, die eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema schwer macht.

Die Bürger, die neben den nach und nach durch die Medien verbreiteten Fakten auch noch einer ganzen Reihe schnell auflebender Gerüchte ausgesetzt sind, zeigten sich so in den vergangenen Tagen vielfach verunsichert und besorgt. Internetseiten rufen inzwischen zu Unterschriften gegen den Bau auf.

Die wohl bekannteste zu diesem Thema betreibt der Dorstener Marco Rolof, der mit seiner Seite gegen-forensik.de schon rund 3000 Unterzeichner für eine Petition gegen die Anlage sammeln konnte. Laut eigener Aussage duldet er in diesem Zusammenhang keine Hetze, zieht aber selbst ungewöhnliche Vergleiche im Zusammenhang mit der Rückfallquote von therapierten Straftätern: „Arsenwasserstoff wirkt bereits bei 20 mg/l im Wasser tödlich. Das sind 20 Promille, die eine tödliche Gefahr ausstrahlen. Und wir sollen uns dann mit einer Gefährdung durch 6 - 20 Prozent zufrieden geben?“

Scharfe Kritik an der Ruhrkohle AG

Kräftige Worte findet auch die Wählergemeinschaft, die sich von der Ruhrkohle AG verraten fühlt: „Als Dank für all die ertragenen Sorgen und Belästigungen, welche der Bergbau den Lippramsdorfer Bürgern beschert will sie, möglicherweise von Profitsucht geleitet, den Ort nun wohl endgültig in den Abgrund reißen“, kritisieren WGH-Vorsitzender Detlef Berkels und Fraktionsvorsitzender Ludwig Deitermann das Verkaufsangebot der RAG, die ihr altes Grundstück mit dem Wetterschacht nach dem Ende der Zeche AV veräußern will.

Scharfe Kritik auch von Seiten der CDU: Der Lavesumer Landtagsabgeordnete Josef Hovenjürgen bezeichnete das Vorgehen der RAG als „massiven Vertrauensbruch“ und kommt zu dem bitteren Schluss: „Wenn man die Geschichte des Bergbaus in Haltern am See zusammenfasst, muss man bedauerlicher Weise feststellen: Haltern am See hat unter der Ruhrkohle nur gelitten. Wir mussten und müssen die Bergschäden hinnehmen, wir müssen die Deicherhöhungen hinnehmen, und wenn der Bergbau und die Arbeitsplätze gehen, bleibt die Forensik.“

Auch die Ortsgruppen von SPD und Grünen, deren Parteien derzeit die Regierung in Düsseldorf stellen, gehen auf Distanz zur Landesregierung. Die SPD Haltern sei von der Wahl des Standortes „nicht überzeugt“, stellt die Fraktionsgeschäftsführerin Beate Pliete in einem offenen Brief an die verantwortliche Ministerin Barbara Steffens (Die Grünen) fest und weist auf die Nähe zu Ausflugszielen und Wohngebieten hin.

Auch Hans-Peter Müller, der als Landtagsabgeordneter der SPD für Lembeck, Wulfen und Haltern zuständig ist, warnt vor negativen Auswirkungen für den Tourismus: „Die Hohe Mark als Standort einer Maßregelvollzugsklinik könnte den Natur-Tourismus der gesamten Region bis ins Münsterland schädigen.“ Wie seinem Landtagskollege Hovenjürgen sei es Müller aber an einer Versachlichung der Debatte gelegen, betonte der Abgeordnete.

Ministerium weist Vorwürfe zurück

In Düsseldorf sieht man sich hingegen bei der Wahl des Standortes im Recht.
„Psychisch kranke und suchtkranke Straftäterinnen und Straftäter stammen aus allen Teilen unserer Gesellschaft und kommen aus allen Städten und Gemeinden unseres Landes. Aber nicht alle Regionen sind an der Behandlung und Unterbringung der Menschen beteiligt“, heißt es in einer offiziellen Verlautbarung des Gesundheitsministeriums. Daher sollten nun jene Gemeinden verpflichtet werden, in denen bisher keine entsprechenden Einrichtungen existierten.

Der Auswahlvorgang sei dabei hinreichend transparent gewesen: „Mit Schreiben vom 20. September 2011 hat Ministerin Barbara Steffens insgesamt 125 Kommunen darüber informiert, dass das Land in ihrer Region neue Plätze für den Maßregelvollzug bauen muss und die Beweggründe ausführlich erläutert. Gleichzeitig wurden die Kommunen gebeten zu prüfen, ob es auf ihrem Gemeindegebiet geeignete Grundstücke für die Errichtung einer forensischen Klinik gibt.“

Wusste die lokale Politik Bescheid?

Waren Politik und Verwaltung also bereits vor einem Jahr informiert? „Wir haben das Schreiben erhalten, aber bereits damals angegeben, dass es keine geeigneten Flächen in Haltern gibt“, betont Grünen-Ratsfrau Maaike Thomas. „Da die Kommunen keine geeigneten Flächen gemeldet haben, war es Aufgabe der Landesregierung, geeignete Standorte zu suchen. Die Grünen erwarten von der Ministerin eine detaillierte Begründung, weshalb im Abwägungsprozess der Standort Haltern gewählt wurde.“ Auch Bürgermeister Bodo Klimpel (CDU) hatte sich vor einem Jahr entsprechend geäußert und darauf hingewiesen, dass Haltern bereits auf andere Weise ihren Beitrag leiste, etwa durch Wohngruppen im Außenbereich.

Klimpels Parteikollege Josef Hovenjürgen reagierte auf den Hinweis des Ministeriums, die Städte seien also in den Entscheidungsprozess über einen möglichen Standort eingebunden gewesen, mit heftiger Kritik: „Diese Aussage ist, so darf sie bezeichnet werden, eine Lüge“, sagte Hovenjürgen.

Ministerin stellt sich den Bürgern

Die Fronten scheinen also verhärtet zu sein zwischen den betroffenen Bürgern und ihren lokalen Politikern auf der einen, und der Düsseldorfer Landesregierung auf der anderen Seite. Am kommenden Dienstag stellt sich die Gesundheitsministerin Barbara Steffens in der Halterner Seestadthalle zur Diskussion. Ursprünglich sollte die Aula des Schulzentrums für den Besuch ausreichen, aber nun wurde die größere Halle gewählt. Der erwartete Ansturm
sei zu groß, hieß es.

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Hintergrund

Zeitplan:
Der Bau soll nach dem Ende des Bergbaus etwa 2016 beginnen und bis 2020 abgeschlossen sein.

Umfang:
Für die Anlage sind etwa 5 Hektar Fläche vorgesehen. Daher könnte der umliegende Wald zum Teil gerodet werden müssen. Rund 150 Straftätern soll die Anlage dann Platz bieten.

Sicherung:
5,50m hohe, technisch überwachte Mauern oder Zäune, Sicherheitsschleusen
und geschultes Personal sollen eine Flucht verhindern.

Verkauf:
Bisher existiert noch kein Kaufvertrag mit der Ruhrkohle AG.

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Lesen Sie zum Thema außerdem:

Forensik: Emotionen gegen Argumente

Zweiter Ortstermin ohne Überraschungen

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Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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