Forensik: Emotionen gegen Argumente

Die Verantwortlichen versuchten mit Argumenten, die Sorgen der Bürger zu zerstreuen.
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Die geplante Forensik in der Hohen Mark sorgt weiterhin für Diskussionen. Wer von der Bürgerversammlung mit Ministerin Barbara Steffens einen Konsens mit den Bürgern oder einen Kurswechsel erhofft hatte, wurde wie erwartet enttäuscht. Die Diskussion verlief zunächst sehr sachlich, wurde dann aber zunehmend emotional geführt.

Die Landesministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Barbara Steffens, stellte sich auf Einladung der Stadt Haltern am Dienstagabend in der Seestadthalle den Fragen von rund 1000 Bürgern. Anwesend waren auch Vertreter der örtlichen Politik, darunter die Bürgermeister von Dorsten und Haltern, Lambert Lütkenhorst und Bodo Klimpel.

„Es ist uns nicht gelungen, die Ministerin von einem anderen Standort zu überzeugen“, schickte Klimpel in seiner Begrüßung gleich vorweg. Die Podiumsdiskussion begann sehr ruhig und sachlich, und ertrank nicht etwa wie in Lünen in Schreien und Pfiffen. So konnte die Ministerin zunächst die Gründe vortragen, die den Bau einer neuen Maßregelvollzugsanstalt im Gerichtsbezirk Essen, zu dem auch Haltern gehört, notwendig machten.

Zusammen mit dem Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug, Uwe Dönisch-Seidel, wiesen die anwesenden Vertreter auf den gestiegenen Bedarf an Therapieplätzen hin und beschrieben Aufbau, Zielrichtung und die Patienten einer forensischen Einrichtung. „Es ist eine Behandlung in besonders geschlossenen Bedingungen“, so Dönisch-Seidel.

Das Publikum folgte den Ausführungen aufmerksam und konnte dann Fragen stellen. Eine junge Mutter fasste die Sorgen vieler der Anwesenden zusammen: „Wir glauben auch an die Sicherheit der Anlage selbst. Aber was ist mit den Freigängern?“

Hier kam es erkennbar zum ersten Schwerpunkt der Diskussion. Viele Bürger wollten genau über die Bedingungen für einen Freigang informiert werden. Die forensische Psychiaterin und Chefärztin Dr. Nahla Saimeh gab zu diesem Thema umfassend Auskunft und beschrieb die möglichen Formen des Freigangs. Dieser könne erst nach strenger Beurteilung in verschiedenen Stufen erfolgen, und zwar entweder mit einem Betreuer pro Patient oder in Dreiergruppen. Nur nach großen Hürden sei ein Alleingang überhaupt möglich. „Das Ziel der Forensik ist nicht der Freigang“, stellte Saimeh klar.

Als es dann um die prinzipielle Standortfrage ging, ging die Sachlichkeit bei vielen Wortbeiträgen verloren. Viele Bürger fühlten sich vielmehr ungerecht behandelt. "Lippramsdorf muss schon viele Belastungen durch Bergschäden und Deichbau ertragen", stellte ein Anwohner fest. Barbara Steffens entgegnete, sie könne nur den Bereich Forensik gestalten und habe auf die anderen Einschränkungen keinen Einfluss. Die Ministerin wies darauf zudem hin, dass sie nur Standorte berücksichtigen könne, die angeboten werden. „Wenn 125 Gemeinden aber ablehnen, dann ist es mit der partizipativen Demokratie vorbei“, so Steffens. Sie sei verpflichtet, die Plätze zu schaffen, und Schacht 9 sei geeignet. Eine Einschätzung, die die Anlieger keinesfalls teilen, wie aus den Wortbeiträgen deutlich wurde. Sie stören sich an der Nähe zu den Wohngebieten und der voraussichtlichen Rodung eines größeren Waldabschnittes.

Schnell wurde klar: Einen Konsens konnte man hier nicht erwarten. Das Thema wird noch lange für Diskussionen sorgen.

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Zusammenfassung der Kernthesen und Streitpunkte

Sicherheit der Anlage

Die prinzipielle Sicherheit einer möglichen forensischen Klinik mit ihren hohen Mauern und Sicherheitsschleusen wurde von den meisten Zuhörern nicht bezweifelt. Als Gefahr wurde vor allem Freigänger angesehen.

Gefährdung durch Freigänger

Viele Bürger sorgten sich, dass ein Insasse auf Freigang entkommen und eine Straftat verüben könnte.
Die Expertenrunde betonte, die Hauptgefahr ginge durch Patienten mit Persönlichkeitsstörung aus, während schizophrene Patienten bei entsprechender Medikamentation gut einschätzbar seien. Daher wären die Hürden für Patienten, überhaupt eine Hafterleichterung zu bekommen, sehr hoch. Patienten mit Persönlichkeitsstörung oder Sexualstraftäter seien nur in Ausnahmefällen und nach sehr gründlicher Prüfung für Hafterleichterungen zugelassen. Die Gutachter seien dabei voll haftbar. "Nichts ist aber gefährlicher für die Bevölkerung als Straftäter, die auf freiem Fuß sind, weil es nicht genug Einrichtungen gibt, um die Bevölkerung dauerhaft vor ihnen zu schützen", so Steffens.

Standortwahl

Die Kritiker halten den Schacht 9 mit dem umgebenden Waldgebiet und der Nähe zu Dörfern und Freizeitanlagen für völlig ungeeignet für eine Forensik. Der Standort sei zudem ungerecht, weil in der Umgebung schon andere Belastungen hinzunehmen seien. Zudem seien die umliegenden Gemeinden zu klein und nicht anonym genug für eine erfolgreiche Resozialisierung. Insgesamt sei das Auswahlverfahren bei weitem nicht transparent genug und undemokratisch.
Die Regierungsvertreter hingegen sehen sich angesichts der aus ihrer Sicht mangelnden Standortvorschläge seitens der Gemeinden in der Pflicht, selbst die geeignetsten Standorte für neue Kliniken zu finden. Dabei sei der vorgeschlagene Schacht 9 als bester verfügbarer Standort im Gerichtsbezirk Essen ausgewählt worden. Angaben zu anderen möglichen Standorten seien zu diesem Zeitpunkt rechtlich nicht möglich, würden aber im weiteren Verlauf des Verfahrens öffentlich gemacht.

Umweltverträglichkeit

Die für eine solche Anlage nötigen Rodungen sehen Kritiker als unvereinbar mit dem Naturschutz. Die Hohe Mark als Waldgebiet nehme durch die Abholzungen großen Schaden, obwohl zuvor eine Renaturierung der alten Schachtanlage vorgesehen war. Das Naherholungsgebiet verliere durch die Holzeinschläge und den subjektiven Verlust an Sicherheit an Attraktivität. Besonderen Widerspruch erkennen die Gegner der Forensik an der Mitgliedschaft Steffens bei den Grünen und ihrer Befürwortung des Standortes Hohe Mark.
Die Regierungsvertreter weisen hingegen darauf hin, dass die Abholzung je nach Planung des Geländes nicht so umfangreich wie befürchtet sein könnte. Zudem würden für das Rodungsgebiet Ausgleichsflächen mit Neupflanzungen geschaffen. An anderen Standorten seien beliebte Wanderwege trotz der Nähe von forensischen Kliniken erhalten geblieben, als Beispiel wurde hier Münster genannt.

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Lesen Sie zum Thema außerdem:

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Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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