Charlie Hebdo - vor Ort in Paris: "Zusammenhalt mit Muslimen" *UPDATE + Fotos*

Vor der Redaktion von Charlie Hebdo haben Menschen hunderte Kerzen angezündet. Alle Fotos: privat
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Die islamistischen Anschläge auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" haben im In- und Ausland für große Erschütterung gesorgt. Ganz nah dabei war der Dorstener W., der derzeit als Student in Paris vor Ort ist. Direkt an seinem ersten Arbeitstag nach dem weihnachtlichen Heimaturlaub schlugen die Terroristen zu. Exklusiv für den Stadtspiegel Dorsten berichtet er vom Tag danach.

Schon am Tag der Anschläge (7. Januar) telefonierte er mit dem Redakteur Oliver Borgwardt. Er zeigte sich erschüttert und bewegt. Der junge Student arbeitet im Pariser Zentrum, nicht weit vom Schauplatz der Anschläge entfernt.

"Erfahren habe ich von dem Anschlag auf der Arbeit, die Nachricht hat sich schon wenige Minuten, nachdem es passiert ist, verbreitet", berichtet er. Sofort sei es das bestimmende Gesprächsthema gewesen. "Wir haben weiter gearbeitet, aber das ganze natürlich in den Nachrichten verfolgt. Abends hörten wir dann davon, dass es abends auf der Place de la République eine Versammlung geben würde."

Nach der Arbeit fuhr auch der Deutsche zur Veranstaltung:

"Ich bin nach der Arbeit zur Place de la République gefahren, als die Kundgebung schon begonnen hatte. Die Métros waren schon sehr voll, weil viele dort hin wollten. Die Métro fuhr auch an der Station vorbei, die der Redaktion am nächsten liegt, diese war aber gesperrt.

An der Métro Station République angekommen, waren überall schon grosse Menschenmassen, überall Polizisten. Als ich rausgehen wollte, sah ich, dass sich die Menschenmassen schon bis auf die Ausgänge zurückstauten. Die Leute standen schon auf den Treppen. Ich bin dann zu einem anderen Ausgang gegangen, wo man rauskonnte, aber auch da kam man kaum vorwärts.

Ich bin dann ein paar Minuten auf dem Platz geblieben. Überall wurden Schilder "Je suis Charlie" hochgehalten, wie man es in den Nachrichten sieht. Ich hatte den Eindruck, dass vor allem junge Leute, vor allem Studenten, gekommen waren."

Das mulmige Gefühl aber blieb, und so zog es den jungen Dorstener doch nach Hause:

"Ich bin dann aber nicht so lange geblieben, weil es mir zu eng war und auch nicht allzu sicher erschien, denn es war ja die höchste Terrorwarnstufe ausgegeben worden und die Behörden hatten die Leute dazu aufgerufen, lieber zu Hause zu bleiben.

Zuhause angekommen, habe ich das französische Fernsehen angestellt, wo es auf allen Sendern nur um das Attentat ging. Es war wie damals bei 9/11. Jemand, der gestern Abend zu Besuch kommen wollte, hatte schon abgesagt, weil er lieber zu Hause bleiben wollte."

Am heutigen Tag danach war die Anspannung immer noch spürbar:

"Ich bin heute morgen dann zur Arbeit gefahren, was erst einmal nichts Aussergewöhnliches war, bis ich am Eingang meines Arbeitsgebäudes ankam und da erst einmal von zwei Sicherheitskräften kontrolliert wurde. Das gab es bei uns vorher nie, aber jetzt wollen die Sicherheitsleute von jedem Besucher den Uni-Ausweis sehen und die Tasche durchsuchen, was auch von einigen meiner Kollegen als übertrieben empfunden wird.

Als meine Kollegin gerade zur Arbeit kam, erzählte sie mir, dass nur fünf Minuten von ihrem Wohnheim entfernt noch eine weitere Schießerei stattgefunden habe, mit zwei verletzten Polizisten. Man wüsste aber noch nicht, ob es etwas mit den gestrigen Ereignissen zu tun hätte. Es ist aber natürlich ein komisches Gefühl - bei solchen Meldungen fühlt man sich im ersten Moment wie in einem Krisengebiet."

Als Kontrast zu den fürchterlichen Anschlägen seien die Menschen aber zusammengerückt:

"Ich habe den Eindruck, dass die Leute seit gestern Abend offener und freundlicher zueinander sind, so als wenn man jetzt zusammenrückt. Die Solidarität unter den Menschen ist schon spürbar.

Sonst habe ich heute noch nicht viel gesehen, bin ja seitdem auf der Arbeit. Ich vermute, dass es noch mehr Kundgebungen geben wird, und werde wahrscheinlich auch hingehen. Um 12 Uhr soll es eine Schweigeminute in der Universität geben."

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UPDATE 8. Januar, 12.30 Uhr:

"Ich bin gerade mit allen Kollegen zu einer Gedenkveranstaltung im Hof des Uni-Hauptgebäudes gegangen. Im Hauptgebäude wird man auch kontrolliert, die Auto-Zufahrt ist abgesperrt und man kommt nur über ein Pförtnerhaus rein, wo man seinen Uni-Ausweis zeigen muss. Lästig, hoffentlich bleibt das nicht lange so.
In der Uni in den Fluren hängen überall an den Wänden Charlie Hebdo-Bilder.
Es gab Schweigeminuten und eine Gedenkrede über die Opfer, an denen sehr viele Menschen teilgenommen haben."

UPDATE 9.Januar, 0.15 Uhr

"Ich war bis gerade auf der Place de la République, wo immer noch tausende Menschen versammelt waren. Außerdem war ich auf der Straße, wo das Attentat passiert ist, direkt an der Redaktion.
Man merkt, dass sich die Pariser nicht unterkriegen lassen. Eben war ich auf dem Place de la République, wo sich tausende Menschen versammelt haben um für unsere Werte zu demonstrieren. Auch der Zusammenhalt ist sehr groß: Es sind auch viele Muslime zu sehen mit Plakaten wie "Je suis Musulman, je suis Charlie". Für mich war es sehr bewegend"

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Einen aktualisierten Bericht und Fotos vom Trauermarsch finden Sie hier:

Charlie Hebdo: Ein Dorstener beim Marsch der Solidarität

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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