Heute ist es 20 Jahre her: Hattinger Thomas Röthig erinnert an die Ereignisse am 21. Juni 1998 bei der Fußball-WM in Frankreich

Thomas Röthig mit Erinnerungsstücken an die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich und seine persönlichen Unterlagen zum Thema Lens, das ihn noch viele Jahre lang beschäftigt hat, beim Besuch in der STADTSPIEGEL-Redaktion anno 2018.      Foto: Römer
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  • Thomas Röthig mit Erinnerungsstücken an die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich und seine persönlichen Unterlagen zum Thema Lens, das ihn noch viele Jahre lang beschäftigt hat, beim Besuch in der STADTSPIEGEL-Redaktion anno 2018. Foto: Römer
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Es ist fast auf den Tag genau 20 Jahre her und wieder läuft momentan eine Fußball-Weltmeisterschaft: Der 21. Juni 1998, er war ein Sonntag. Über Nordfrankreich lachte die Sonne vom blauen Himmel. Bei der Fußball-WM dort spielte in Lens die deutsche Nationalmannschaft gegen Jugoslawien in der Vorrunde ein enttäuschendes 2:2. Doch das ist schnell abgehakt, als bekannt wurde, dass deutsche Hooligans den französischen Polizisten Daniel Nivel in einer Seitenstraße von Lens ins Koma prügelten.

Wie Millionen anderer Menschen auf der ganzen Welt sah auch Thomas Röthig die schrecklichen Szenen der Gewalt im Fernsehen, erlebte erschüttert mit, wie der Mob auf den am Boden liegenden Gendarmen einschlug. Immer und immer wieder.
Sechs Wochen lag Daniel Nivel anschließend im Koma, ist bis heute auf der rechten Seite gelähmt, auf einem Auge blind, kann nicht mehr riechen und nicht schmecken. Später wurden die Täter nach ihrer Identifizierung zu Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt.
Während die meisten Menschen weltweit dieses Verbrechen schnell wieder verdrängten, schließlich war Fußball-Weltmeisterschaft und Gastgeber Frankreich wird den Titel holen, war der Hattinger Thomas Röthig derartig tief betroffen, dass er den damaligen französischen Botschafter François Scheer anschrieb und sich bei ihm entschuldigte. Das „nette Antwortschreiben“ besitzt Thomas Röthig heute noch – wie übrigens alles rund um Lens in einem ansehnlich dicken Aktenordner.
„Und dann fand ich heraus, dass weder Hattingen noch Lens über eine Städtepartnerschaft verfügen“, erinnert sich Thomas Röthig heute am Vortag jenes verhängnisvollen 21. Juni. „Deshalb nahm ich damals Kontakt auf zur Stadtverwaltung Lens. Der damalige Bürgermeister André Delelis antworte ebenfalls freundlich, aber ablehnend auf meinen Vorstoß. Anders sein Nachfolger Guy Delcourt: Er lud mich sogar nach Lens ein.“
Vier Tage verbrachte Thomas Röthig damals im August 1999 in Lens und war dort so etwas wie ein deutscher Botschafter, der den Menschen in der nordfranzösischen Kleinstadt mit rund 36.000 Einwohnern ein anderes Gesicht der Deutschen zeigen konnte als das der brutalen Hooligans.
Während seines Aufenthalts wurde er von vier Personen betreut: von Dolmetscherin Emmanuelle Dorne, dem Chauffeur des Bürgermeisters, in dessen Limousine der Hattinger unterwegs war, von einer Zeitungsreporterin sowie dem technischen Leiter des WM-Stadions „Felix Bollaert“.
Kein Wunder also, dass Thomas Röthig anschließend im Gespräch mit dem STADTSPIEGEL einfach nur begeistert war von der ehemaligen Bergarbeiterstadt, die wie Hattingen auch den Strukturwandel zu meistern hatte. Neben einem Fußball-Erstligisten mit entsprechendem Stadion hat es Lens inzwischen zu einem Autobahn-Anschluss und einer Haltestelle des berühmten französischen Schnellzuges TGV gebracht, einem Tierpark, Stadttheater und Olympia-Schwimmbad – und das alles ohne Parkgebühren. Und mittlerweile hat Lens sogar eine 150 Millionen Euro teure Niederlassung des weltberühmten Louvre erhalten, die am 12. Dezember 2012 eröffnet wurde
Während sich Lens im Nachgang durchaus offen für eine durch Thomas Röthig angestrebte Städtepartnerschaft zeigte, ließ der damalige Hattinger Bürgermeister Dieter Liebig im Oktober gleichen Jahres im Rat mitteilen, dass kein Interesse an einer Städtepartnerschaft mit Lens bestünde.
Dennoch gab es beispielsweise im Juni 2000 einen Schüleraustausch mit Lens, über den der STADTSPIEGEL berichten konnte. Zusammenarbeit über Hattingen hinaus entstand auch in den Bereichen Wirtschaft, Sport und Kultur.
Über seinen guten Freund Erich Rutemöller, damals Ausbildungsleiter für die Erlangung der Fußballlehrerlizenz beim DFB, schlug Thomas Röthig dem Deutschen Fußball-Bund vor, Daniel Nivel und seine Frau Lorette zur WM in Deutschland einzuladen. Das geschah auch.
Leider, so Thomas Röthig rückblickend, sei um das Jahr 2006 herum der Kontakt zu Lens abgebrochen „Für mich bedeutete die Kontaktpflege viel Arbeit, aber es war positiver Stress. Ich erinnere mich immer noch sehr gerne an die vier wunderbaren Tage in Lens. Mich hat der dortige sehr engagierte Bürgermeister Guy Delcourt sehr beeindruckt. Wie er Lens entwickelt hat, davon hätte Hattingen sicher viel lernen können. In Lens waren wahre Macher am Werk, während man in Hattingen ja mehr zum Verwalten neigt. Wenn dort der TGV hält, ist es bei uns die S-Bahn“, schmunzelt Thomas Röthig, der sich im Laufe der Jahre in Hattingen und auch an seinem Zweitwohnsitz auf Sylt einen Namen als Sozialsponsor gemacht hat. „Und jetzt hat Hattingen immerhin eine Altstadtbahn. Mein Traum ist es immer gewesen, dass sich die beiden Bürgermeister unserer Städte mit Daniel Nivel zusammen vor laufenden Fernseh-Kameras zur Versöhnung die Hand gereicht hätten. Das hat sich leider nicht erfüllt. Aber ich werde am morgigen 21. Juni der Ereignisse in Lens vor genau 20 Jahren gedenken und vor allem werden meine Gedanken auch bei Daniel Nivel sein, dessen Leben nach diesem Tag nicht mehr so war wie zuvor.“ 

Thomas Röthig mit Erinnerungsstücken an die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich und seine persönlichen Unterlagen zum Thema Lens, das ihn noch viele Jahre lang beschäftigt hat, beim Besuch in der STADTSPIEGEL-Redaktion anno 2018.      Foto: Römer
Herzlich empfangen wurde Thomas Röthig (rechts) anno 1999 von Guy Delacourt, damals Bürgermeister der Stadt Lens. Dieser stellte dem Besucher aus Hattingen sogar seinen Chauffeur, seinen Dienstwagen und eine Dolmetscherin während seines Aufenthalts zur Verfügung.   Foto: privat
Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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