Jobcenter zeigte Hattingerin wegen Betruges an – Gericht sah das anders - Über 17.000 Euro zu viel gezahlt

Die Zuhörer in der öffentlichen Hauptverhandlung erhielten heute eine Nachhilfestunde über Vorschriften und Begriffe des Sozialgesetzbuches und erfuhren die finanzielle Bedeutung der Begriffe Bedarfsgemeinschaft, Notgemeinschaft, Wohngemeinschaft und Lebensgemeinschaft. Das Strafverfahren gegen eine 62 Jahre alte Hattingerin wurde am Ende der Beweisaufnahme mit Zustimmung aller Gerichtsparteien wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Aber von vorne :
Die Angeklagte aus Hattingen brauchte sich heute über ein Verkehrsmittel zum Amtsgericht keine Gedanken machen; sie wurde zuhause von der Polizei abgeholt und zum Gericht gebracht. Bei dem ersten Gerichtstermin Mitte April war sie nicht erschienen und wurde daher durch Polizeibeamte vorgeführt. Die Ladung zum ersten Gerichtstermin will sie aus Versehen verlegt haben.

Sie war lange selbstständig tätig und musste allerdings schon vor über zehn Jahren Hilfe vom Jobcenter beanspruchen. Da ihre Wohnung für sie als alleinlebende Person gemäß Sozialgesetzbuch zu groß war, soll ihr das Jobcenter geraten haben, entweder eine kleinere Wohnung zu suchen oder einen Untermieter aufzunehmen um ihren Mietkostenaufwand zu halbieren.

Das tat sie auch, nahm einen früheren Arbeitskollegen in ihrer Wohnung auf und will dieses bereits Mitte Januar 2008 dem Jobcenter mitgeteilt haben. Allerdings kam sie im Laufe der Jahre der Aufforderung des Jobcenters nicht nach, einen Untermietvertrag vorzulegen. Die Vermieterin der Angeklagten duldete zwar die weitere Person in der Wohnung, sperrte sich aber, hierfür einen Untermietvertrag auszufertigen.

Die Angeklagte schilderte dann ausführlich, wer wie in ihrer Wohnung wohnt, schläft, kocht und putzt. Wer einkaufen geht und wie das Haushaltsgeld geteilt wird. Da ihr früherer Arbeitskollege, der zu ihr gezogen war, immer häufiger erkrankte, jedwede ärztliche Hilfe aber ablehnte und das Haus nicht mehr verließ, musste die Hattingerin immer öfter auch Geldgeschäfte für ihren Mitbewohner erledigen.

Das Jobcenter kam dann nach einem Sozialgerichtsprozess zu dem Entschluss, dass die Angeklagte mit ihrem Mitbewohner nicht in einer Wohn-, sondern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Somit sind auch seine Einkünfte mit anzurechnen, bevor Leistungen des Jobcenters beansprucht werden.

Über 17.000 Euro zu viel erhalten
Dann gab die Koordinierungsstelle des Jobcenters an die Sachbearbeitung die Anweisung, rückwirkend ab 1.1.2011 von einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen und die zu viel gezahlten Leistungen von über 17.000 Euro von der Hattingerin zurückzufordern. Gleichzeitig erfolgte durch die Klagestelle des Jobcenters die Anweisung an einen Sachbearbeiter, eine Strafanzeige wegen Betruges zu stellen.

Das Strafgericht war am Ende der Beweisaufnahme nicht überzeugt, dass die Angeklagte durch Täuschung eine irrtumsbedingte Verfügung beim Jobcenter veranlasst hatte und stellte mit Zustimmung aller Gerichtsparteien das Strafverfahren wegen Betruges gegen die 62 Jahre alte Hattingerin auf Kosten der Landeskasse ein. Zivilrechtliche Ansprüche waren nicht Gegenstand des Strafverfahrens.

Autor:

Hans-Georg Höffken aus Hattingen

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