Renaturierung der Ruhr: Emotionale Info-Veranstaltung in der Hattinger Gebläsehalle

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Wer auch immer sich im Vorfeld um die Bestuhlung bei der Informationsveranstaltung der Bezirksregierung Düsseldorf zur in Hattingen heiß diskutierten Renaturierung der Ruhr gekümmert hatte, kann zufrieden mit seinem Augenmaß sein: 500 Stühle waren in der Gebläsehalle aufgestellt worden, nur einige davon blieben frei.

Das Interesse am Thema ist groß bei den Hattingern. Und emotional. Das zeigten die Wortbeiträge, die auf die Vorstellung des Vorhabens durch Vertreter der Bezirksregierungen Düsseldorf (federführend) und Arnsberg folgten.
Die Moderation der Veranstaltung, die um 18 Uhr begann und erst nach 20.30 Uhr und damit später als geplant mit weiteren heißen Diskussionen in kleinen Gruppen in der Gebläsehalle zu Ende ging, hatte Prof. Dr. Ursula Stein übernommen, eine anerkannte Stadt- und Regionalplanerin.
Doch es war Detlef Reinders vom Dezernat Wasserwirtschaft der Bezirksregierung Düsseldorf, der für das erste „Aha!“ mit seiner Ankündigung sorgte, das Projekt habe noch keine Genehmigungsreife. Ergebnisse auch aus dieser (und künftiger) Info-Veranstaltungen würden in das Projekt einfließen.
Er verwies auf die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die vorgibt, dass bis 2027 unter anderem auch die Ruhr ein „gutes ökologisches Potenzial“ erreichen müsse. „Nicht überall sind die Maßnahmen dafür machbar“, führte er aus. „Daher haben wir ein Konzept aus zehn sogenannten Trittsteinen erstellt, wo die Ruhr an diesen Stellen ökologisch aufgewertet und somit eine Gesamtverbesserung erreicht werden kann.“ Von den zehn Trittsteinen seien sechs bereits auf den Weg gebracht. Als Baubeginn am Winzer Bogen in Hattingen sei 2016 vorgesehen.
Fürs zweite Mal Erstaunen sorgte er mit seinem Hinweis auf die Finanzierung: Für jeden Kubikmeter Wasser, der entnommen wird, wandert ein Cent in einen Finanzierungstopf. So kommen jährlich 80 Mio. Euro zusammen. Daraus wird das Projekt finanziert.

"Oben sieht die Ruhr gut aus"

Als Mitglied des Planungsteams erläuterte Dr. Uwe Koenzen die Idee hinter der Planung. „Über Wasser sieht die Ruhr gut aus“, was ihm stürmischen Beifall einbrachte, „aber unter Wasser werden zurzeit viele Ziele nicht erreicht. Es soll kein historischer Zustand der Ruhr wiederhergestellt werden – im Gegensatz zu vielen Stimmen in Hattingen, die das glauben. Aber eine breite, dynamische Ruhr mit Ufern, die sich verändern dürfen, ist möglich.“
Dazu bliebe die Seite mit dem Leinpfad nahezu unverändert, würde sogar aufgewertet durch erhöhte Aussichtspunkt, die einen besseren Blick ins gegenüber auf dem anderen Ruhrufer liegende Naturschutzgebiet ermöglichten. Gebaut würden diese Punkte aus Teilen der Buhnen, die nicht für die punktuell entstehenden Mittelinseln in der Ruhr – quasi die Spitzen der heutigen Buhnen – benötigt würden. Durch den teilweisen Rückbau der Buhnen würde die Fließgeschwindigkeit der Ruhr erhöht, der Fluss würde sauberer und es könnten sich neue Arten ansiedeln. Dazu solle es einen Pilotabschnitt geben unter der Eisenbahnbrücke nach Dahlhausen. Hier könne man gemeinsam sehen, wie sich das Ganze entwickele.
Dr. Uwe Koenzen: „Nicht alle Buhnen werden verschwinden. Aber wir müssen für Veränderungen sorgen, damit die Ruhr mehr Raum für die Entwicklung naturnaher Ufer erhält. Die Uferzonen bleiben erhalten, damit die dortigen Rinder nicht die Uferseite wechseln können. Insgesamt schafft die Maßnahme mehr Raum für Hochwasser. Dafür wurde an der Ruhr-Uni Bochum die Ruhr auf 15 Metern Länge nachgebaut und dort alle möglichen Szenarien durchgespielt.“

Eindrucksvoller Film von Martin Maschka

Als erster der Gegner des Projektes trat der Hattinger Naturschützer Martin Maschka auf. Er betonte gleich zu Beginn, dass er nicht grundsätzlich gegen eine Renaturierung der Ruhr sei. Allerdings seien gewisse geplante Maßnahmen nur schwer umsetzbar.
Dann führte er einen sehr eindrucksvollen Film vom momentanen Artenreichtum der Ruhr vor mit Krebsen, Muscheln, vielen Fischarten, Fröschen und seltenen Vögeln. Er hat ihn selbst über und unter Wasser gefilmt. „Die Buhnen haben sich ökologisch gut entwickelt“, so Martin Maschka. „Meines Erachtens stellen sie einen Ersatz für die fehlende Auenlandschaft dar. Für mich hat sich die Natur den Winzer Ruhrbogen mit seinen Buhnen erfolgreich zurückerobert und bietet einen schönen Anblick.“
Er sehe statt hier Handlungsbedarf bei den Turbinenanlagen zur Stromgewinnung entlang der Ruhr: „Statt grüner Strom wird hier durch das Fischblut eher roter Strom erzeugt. Diese Anlagen vor und hinter dem Renaturierungsabschnitt machen alles wieder kaputt, was vielleicht erreicht werden könnte. Daher ist die geplante Renaturierung für mich rausgeschmissenes Geld. Vielmehr sollten erst die Kläranlagen verbessert werden, dann die Turbinen weg und erst als letzter Schritt könnte die geplante Maßnahme ergriffen werden.“
Viel Applaus gab es für seine Ausführungen vom Plenum, das nach den Beifallsbekundungen zu urteilen hauptsächlich Gegner des Projektes besetzten.
Aus ihren Reihen kamen auch die nächsten Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Ansätzen gegen die Renaturierung aussprachen. Dazu gehörte Dr. Rainer Hagemeyer vom Landesverband Westfälischer Angelfischer. Gerd Walther von der Aktionsgemeinschaft Winzermark mahnte in seiner vorbereiteten und immer wieder von tosendem Applaus unterbrochenen Rede fehlende Antworten auf Briefe an die Bezirksregierung wegen verfehlter Informationspolitik und an NRW-Umweltminister Johannes Remmel („Stoppen Sie dieses Projekt!“) an und versprach: „Für den Erhalt des Ruhrbogens im jetzigen Zustand werden wir uns mit aller Kraft und den vorhandenen Möglichkeiten einsetzen.“
Weitere Projektgegner wie Hans-Joachim Borgmann („Es hat keiner das Recht, unsere Steuergelder und unser Wassergeld für so ein Projekt zu verplempern!“), Christoph Olshagen, Oliver Wehnert („Für mich droht Heimatverstümmelung!“) und viele „Namenlose“ meldeten sich ebenfalls mit ähnlichen emotionalen Ausführungen zu Wort.

NABU und BUND befürworten das Projekt

Als erste Befürworterin „traute“ sich Isolde Füllbeck (NABU Hattingen) auf die Bühne. In einem „Zwiegespräch“ mit der Ruhr kam sie zu dem Schluss, „dass es nicht auf die Vergangenheit ankommt, sondern auf das, was die Zukunft erforderlich“ mache: „Wir entscheiden jetzt im Namen unserer Kinder, was dem Gemeinwohl der Generationen nach uns zuträglich ist.“ Dafür erntete sie – wie andere vor ihr auch – viele Bravo-Rufe, Pfiffe und Buhs. Auch ein Vertreter des BUND – nicht aus Hattingen – begrüßte das Projekt: „Diese Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität sind eine Chance, die wir vielleicht nicht wiederbekommen.“
Auf eine Nachfrage von Guido Freisewinkel konnte Dr. Uwe Koenzen beruhigen: „Die Ablagerungen werden seitlich verlagert, so dass die Anwohner besonders der Königsteiner Straße nicht mit bedeutend mehr Lkw-Verkehr zu rechnen haben werden.“ Und mit dem Besitzer der Rinder, die für das Abweiden des Riesenbärenklaus in den Ruhrauen unter anderem zuständig seien, wäre abgesprochen, dass sie das auch weiterhin könnten – auch auf den geplanten neuen Inseln.

Auch die Bürgermeisterin beklagt Informationspolitik

Abschließend sagte Bürgermeisterin Dr. Dagmar Goch, die wie überhaupt die gesamte Verwaltungsspitze und viele Lokalpolitiker aller Fraktionen im Plenum saß: „Mich beeindruckt der Sachverstand in der Bürgerschaft. Für mich hat es heute gute Argumente auf beiden Seiten gegeben. Allerdings haben die Gewässer-Experten keine lokalen Interessen wie wir Hattinger, sehen nicht den industriekulturellen und historischen Hintergrund. Es gibt noch viel zu diskutieren. Schlimm finde ich nur, dass uns als Stadtverwaltung niemand im Vorfeld informiert hat. Uns als Verwaltungsvorstand ist das Projekt genauso wenig vorgestellt worden wie der Politik. Das kann ich nicht verstehen. Wir wurden lediglich zu Teilfragen gehört.“
Dem allerdings wurde aus dem Plenum widersprochen. Schließlich seien „runde Tische“ in städtischen Räumlichkeiten abgehalten worden.

Info:
Im Umwelt-Ausschuss am 27. November wird die Bezirksregierung das Projekt noch einmal in öffentlicher Sitzung vorstellen.
Weitere Infos gibt es im Internet unter „Lebendige Gewässer“ bei der Bezirksregierung Düsseldorf.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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