Im Elterntreff: LRS in Englisch "Ei em ten"

Der Elterntreff des Hattinger Bündnis für Familie in Kooperation mit der Volkshochschule diskutierte beim September-Treffen mit Dr. Marion Suschke, Leiterin des Duden Institut für Lerntherapie Hattingen, über eine Lese-Rechtschreibschwäche in Englisch.

Für so manche Eltern ist das absolut neu. Sicher, von der allgemeinen Lese-/Rechtschreibschwäche in Deutsch haben sie gehört. Manche kennen auch die Dyskalkulie, die Rechenschwäche. Dass es eine solche Schwäche aber auch in manchen Fremdsprachen gibt, ist für viele Eltern (und Lehrer!) Neuland. Vor allem Sprachen, in denen die Schrift vor der Aussprache abweicht, machen dabei Probleme. „Allerdings gibt es keinen Automatismus. Man kann nicht sagen, dass ein LRS-Kind in Deutsch immer auch Probleme mit Fremdsprachen haben wird. Umgekehrt kann ein Kind ohne Probleme in Deutsch in der Fremdsprache Schwierigkeiten haben“, erklärt Dr. Marion Suschke.
Dabei scheint am Anfang alles ganz leicht. „Die englische Sprache durchzieht unseren Alltag und viele Kinder werden früh und oft spielerisch an die Fremdsprache herangeführt. Weil sie mit Begriffen wie „online“, „shoppen“, „Muffin“ oder „facebook“ aufwachsen, sind sie wissbegierig und möchten gerne die Fremdsprache lernen. Die meisten Kinder hören englische Musik und haben ein Interesse daran, irgendwann auch die Texte zu verstehen, die sie hören. Leider bleibt die Begeisterung für das Lernen nicht immer erhalten.“
Hat die Grundschule Englisch zunächst überwiegend mündlich unterrichtet und den Schwerpunkt damit auf das Sprechen gelegt, wird auch hier zunehmend früher die Verschriftung gelernt. Dadurch fällt es natürlich auch früher auf, wenn Kinder hier Probleme haben. Ganz massiv sind die Schwierigkeiten, wenn ein Kind im vierten Lehrjahr der englischen Sprache schreibt „ei em ten“. Auch Probleme mit dem englischen „th“ tauchen oft auf – „Braser“ statt „brother“. Ähnliche Laute werden nicht differenziert, die Aussprache und die Verschriftung ist fehlerhaft.

Nicht alle Lehrer kennen eine LRS Englisch

Wenn Sätze nicht in einzelne Wörter unterschieden werden können, Wörter immer wieder falsch und oft in Anlehnung an das deutsche Wort verschriftet werden, dann ist es nicht mehr weit bis zu einer völlig fehlenden Motivation des Kindes, die Sprache zu lernen. Oft müssen sie erleben, dass auch das Pauken der Vokabeln nicht zu dem gewünschten Erfolg führt. „Nun ist es sicher nicht so, dass alle Kinder, die hier Probleme mit der Verschriftung oder der Grammatik haben, eine LRS in Englisch haben. Man muss schon genauer hingucken und wir verstehen die LRS in Englisch als eine langandauernde und schwer zu überwindende Form im Erlernen von Fremdsprachen.“ Weil die Kinder heute sehr früh mit Englisch als Fremdsprache beginnen, ist eine Diagnose oft bereits zu Beginn der weiterführenden Schule möglich – wobei die Testverfahren für LRS Englisch bei weitem noch nicht so differenziert sind wie bei LRS Deutsch.
„Kinder mit einer LRS Englisch haben in der Regel Probleme, sich Vokabeln zu merken, obwohl sie geübt haben. Sie haben Schwierigkeiten mit der Aussprache und der Grammatik. Während wir in der deutschen Sprache aus 46 Lauten etwa 77 Buchstabenverbindungen bilden können, gibt es in der englischen Sprache bei 44 Lauten über 1000 verschiedene Buchstabenverbindungen. Und die Aussprache unterscheidet sich vom Geschriebenen erheblich. Zum Beispiel hört das Kind in jedem Fall ein „i“, aber das Geschriebene könnte sein „see“, „sea“, „any“ oder „she“. Welche Verschriftung passt nun? Oft ist es so, dass ein LRS-Kind Englisch im Mündlichen viel bessere Erfolge erzielt als im Schriftlichen. Hier könnte auch die Schule ansetzen und beispielsweise bei der Abfrage von Vokabeln dieses Kind sprechen und nicht schreiben lassen – wenn es gelernt hat, wird es die Aufgabe bewältigen.“

Keine Krankheit

Hier sieht die Expertin auch ein Problem, denn für viele Lehrer gibt es eine LRS in Englisch oder einer anderen Fremdsprache nicht. „Wir sind grundsätzlich sehr fehlerorientiert in unseren Bewertungen. In Deutsch wird der Nachteilsausgleich in den Schulen angewandt, das Verständnis im Bereich der Fremdsprachen ist oft nicht gegeben. Es liegt im Ermessen der Schule, was genau dann gemacht wird und manche Lehrer kennen das Problem gar nicht oder es wurde in ihrer Ausbildung auch nicht thematisiert. Da ist es wiederum entscheidend, ob die Universität, an der man studierte, der Problematik aufgeschlossen gegenüber steht und auf diesem Gebiet forscht.“
Hilfe gibt es durchaus. „Wenn wir verstehen, dass diese Kinder nicht dumm sind oder faul, wenn wir eine Lernatmosphäre schaffen, in der sie sich wohlfühlen, dann können Hilfsangebote greifen. Beispielsweise kann man die Kinder englische Wörter mit einem „ee“ aufschreiben lassen: knee, tree, deep, week und so weiter. Man kann Vokabeln mit einem Karteikartensystem lernen, man kann zusammen lesen und vorlesen. Wenn allerdings deutlich wird, dass das Kind den Anschluss an den Regelunterricht verliert und die Maßnahmen auf privater Ebene keine Verbesserungen bringen, kann nur noch eine professionelle Hilfe eingreifen. Meistens schaffen wir es, die LRS-Kinder Englisch in den Dreierbereich zu bringen. Einen Leistungskurs werden sie natürlich nicht wählen, aber sie kommen gut durch.“
Finanzielle Förderung durch die Jugendhilfe gibt es allerdings erst, wenn das Kind über einen längeren Zeitraum unter dieser Schwäche so sehr leidet, dass eine seelische Beeinträchtigung vorliegt. Ist das nicht der Fall, bleibt den Eltern in der Regel nur der private Weg der Finanzierung und das Wissen: LRS Englisch ist – wie LRS allgemein – keine Krankheit, die man heilen muss. Aber man kann durch gezielte Förderung eine Verbesserung erzielen.

Nächster Termin: Mittwoch, 11. Oktober, 19 bis 20.30 Uhr, Altes Rathaus, Thema Gesundheitsförderung in Kita und Familie

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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