Pechdraht hielt schon Ötzis Schuhe zusammen

Alle Fotos: Detlef Erler
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Der Duft von Leder umschmeichelt die Nase des Besuchers in der verwinkelten Werkstatt von Hartmut Seidich. Schuh-Schäfte (ohne Sohlen) werden hier seit 25 Jahren in Handarbeit gefertigt. Nur noch knapp 50 Betriebe dieser Art gibt es in Deutschland.

„90 Prozent unserer Arbeiten sind für Menschen mit orthopädischen Problemen“, berichtet Hartmut Seidich (49), gelernter Orthopädie-Schuhtechniker, Schuhmachermeister und Inhaber von „Seidich Schäfte“. „Wir haben uns auf komplizierte Versorgungen spezialisiert“, fährt er fort und deutet auf einen übergroßen Schaft für einen an Elefantitis Erkrankten, dessen Gliedmaßen auf etwa dreifache Größe angeschwollen sind.
Seidich fertigt auch passende Schuh-Oberteile mit eingebauten Prothesen an, wenn zum Beispiel der Fuß oder Teile des Fußes fehlen – auch für Kinder und Jugendliche aus Afghanistan, Pakistan und Uganda, die Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen geworden sind und die von kirchlichen Einrichtungen betreut werden. „Dann machen wir einen Selbstkostenpreis.“
Hartmut Seidich und sein Team aus Ehefrau Tanja, Sohn Dustin, Schwiegersohn Jan, Tochter Deborah und zwei Mitarbeitern fertigen aber nicht nur für Orthopädie- Schuhmacher – auch Schäfte für Maßschuhmacher stehen auf dem Programm.
„Schuhe mit unseren Oberteilen werden nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dubai, Kalifornien, Italien, Frankreich und Schottland getragen“, zählt Hartmut Seidich nicht ohne Stolz auf. „Unsere Arbeiten findet man an den Füßen von Scheichs, Prinzen, Sportlern und Hollywood-Stars.“
Die Kosten für einen Maßschuh schwanken von 1500 bis 5000 Euro – das kommt auf das Modell an und ob die Sohle handgenäht, geklebt oder mit Holznägeln befestigt wird. Genäht wird mit Pechdraht. „Das hat man schon bei den Schuhen von ‚Ötzi‘ gemacht“, bemerkt Seidich schmunzelnd, „die waren 5000 Jahre alt – und der Draht hat gehalten!“
Ein Paar Maßschuhe anzufertigen bedeutet eine Woche Arbeit – „aber dafür halten sie auch mindestens 20 Jahre“. In den vergangenen drei Jahren sei die Nachfrage nach maßgefertigten Schuhen deutlich gestiegen.
Und wie sieht der Arbeitsprozess aus? Hartmut Seidich bekommt den Leisten (das hölzerne Fuß-Modell) und sonstige Vorgaben vom Schuhmacher – also Angaben zu Schnitt, Garn, Farbe, Futter und Oberleder-Material. Für die Produktion stehen neben zahlreichen Varianten von Rindleder auch Strauß und Lachs sowie über 500 Nähgarne in diversen Farben und Stärken zur Verfügung.
Schritt für Schritt entsteht in der Werkstatt dann der Schuh-Schaft: Erst wird aus Papier das Schnittmuster gefertigt, danach schneidet man die einzelnen Leder-Formen aus. Die Kanten dünnt Seidich mit einem Schärfmesser aus, dann wird alles zusammengenäht, am Ende schlägt man die Löcher für die Schuhbänder ein. Alles muss auf den Millimeter passen. Für einen Halbschuh braucht er etwa 0,33 Quadratmeter Leder. Leder von Reptilien verwendet der Schuhmachermeister aus Überzeugung nicht.
Eine High-Heel-Sandale aus dem Hause Seidich ist zur Zeit ebenso wie Original-Werkzeug aus dem Jahr 1840 in der Bonner Ausstellung „Schuhtick“ zu sehen, die bereits im Herner Archäologie-Museum bewundert werden konnte.
Um sein profundes Wissen weiterzugeben, unterrichtet Hartmut Seidich seit 2004 an der Handwerkskammer Düsseldorf als Dozent für Schaftbau. Seit 2011 arbeitet er an einem Fachbuch über Schaftbau, das 2014 erscheint.

Autor:

Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig

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