Zum internationalen Tag des Flüchtlings

Am 27.09.2013 ist der internationale Tag des Flüchtlings.

Weltweit befanden sich laut UNHCR-Flüchtlingsreport 2012 über 45 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Auf der Flucht vor Krieg, vor Hunger, vor Gewalt, Bedrohung, politischer, sexueller und religiöser Verfolgung.
Diese Zahl ist die Höchste seit 20 Jahren. Und sie schließt all die vielen „inoffiziellen“ Flüchtlinge nicht mit ein. Die Unregistrierten, die Menschen, die vor Armut und miserablen Lebensbedingungen versuchen, in die sogenannten „reichen“ Länder zu gelangen und dabei verschwinden – sei es unterwegs oder vor Ort. Menschen, die unter illegalen Bedingungen leben und dabei häufig ein Schicksal fristen, welches manchmal noch schlimmer ist als das, vor dem sie geflohen sind. Raus aus Armut und Verfolgung, hinein in Sklaverei, Prostitution und Tagelöhnerei am Rande des Verhungerns.

Das Bild, welches diesen Artikel einleitet, stammt vom Twitter-Account @dardachat
Es stammt aus Karthoum, Sudan. Während diese Zeilen hier geschrieben werden, versucht eine äußerst brutale Regierung, die Proteste der eigenen Bevölkerung mit Waffengewalt niederzuschlagen. Proteste, die sie durch die radikale Erhöhung von Nahrungsmittel- und Benzinpreisen selbst ausgelöst hat. Die hunderten von Toten, tausenden von Verletzten und (misshandelten) Inhaftierten, die zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die die Sicherheitskräfte im Sudan zu verantworten haben, sind den Medien in Deutschland bedauerlicherweise nur wenige Zeilen wert, mit denen die meisten Gazetten die dpa-Mitteilung vom Vormittag abschreiben. Häufig garniert mit einem 30sek.-Reuters-Video.

Zusatz, 27.09.2013 20:38:
Mittlerweile, zwei Tage nach Ausbruch der Unruhen, beginnen die Medien in Deutschland, Notiz von den Vorgängen zu nehmen. Nachdem die TAZ gestern zumindest schon einmal einen etwas hintergrundbehafteten Artikel führte, kann man nun zunehmend Berichte mit Hintergrundinformationen auch an anderer Stelle finden. Nur was die tatsächlichen Zahlen angeht - Opfer, Zerstörungen, Ausdehnung der Proteste - hinken etliche Medien der Entwicklung nun 24 Stunden und mehr hinterher.

Es sind Konflikte wie dieser, die ohne großes Medieninteresse stattfinden, vor denen Menschen ins Ausland flüchten. Menschen, die Hab und Gut verlieren, meist traumatisiert sind und nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Die meisten Flüchtlinge landen in den Nachbarländern. Nicht umsonst befinden sich die größten Flüchtlingslager in Kenia, Pakistan, dem Iran, Äthiopien, dem Tschad, Jordanien, aber auch in China und der Türkei. Die meisten dieser Menschen hoffen darauf, eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Doch wie man an Afghanistan, Syrien und dem Sudan sehen kann, bleibt dieser Wunsch häufig jahrzehntelang verwehrt.

Deutschland beherbergt lt. UNHCR die drittgrößte Einzelsumme an Flüchtlingen weltweit. Das klingt zunächst einmal viel, jedoch sollten wir dabei nicht vergessen, wo unser Land im Verhältnis mit den anderen Top-10-Aufnahmeländern bzgl. seiner Wirtschaftskraft steht. Und das Deutschland pro 1000 Einwohnern gerade einmal 6 Flüchtlinge beherbergt, Jordanien aber 49.
Insofern sind alle Rufe, „das Boot sei voll“, „wir sind nicht das Weltsozialamt“ und was man nicht so alles von CDU über AfD bis NPD im gerade zu Ende gegangenen Wahlkampf so zu lesen und hören bekommen hat, auf hohem Ross und mit der kalten Arroganz des Reichen gesprochen.
Wir sollten nicht den Fehler machen, uns von denen, die aus der Angst von Menschen politisches Kapital schlagen wollen, gegen jene ausspielen zu lassen, die unsere Hilfe nötig haben.

Vergessen wir nicht: die deutsche Wirtschaft verdient prächtig an dem, was die Flucht vieler Menschen ausgelöst hat. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Über die Zweit- und Drittverwendung von altem Rüstungsmaterial wird aber kaum Buch geführt – wie viele G3-Sturmgewehre aus dem Hause Heckler&Koch weltweit in Konflikten eingesetzt werden, weiß niemand so genau. Und der Effekt der sogenannten „Dual Use“-Güter hat noch eine ganz andere Qualität – Rohstoffe für das in Syrien eingesetzte Giftgas kamen aus Deutschland und wenn man den vielen Hinweisen folgt, die auf dem Brown-Moses-Blog hinterlegt sind http://brown-moses.blogspot.co.uk/ kann man sehen, dass vermutlich auch die dazugehörigen Raketen von umgebauten Mercedes-LkWs aus abgefeuert wurden.

Von den vielen Einflüssen, die die Art und Weise, wie Deutschland Außenwirtschaft und Diplomatie betreibt, für die Flüchtlingsbewegungen auf dieser Welt hat, könnte man seitenlange Artikel verfassen. Oder ganze Bücher schreiben.

So lange Politik und Wirtschaft so weiter machen wie bisher, so lange wir die Logik des Krieges, der Gewalt, der wirtschaftlichen Komplettausbeutung, nicht durchbrechen, wird es nicht besser werden. Unsere Kriege machen Millionen Menschen heimatlos.
Der Präsident von Kiribati, einer Inselrepublik im Pazifik, hat unlängst ein bemerkenswertes Interview gegeben. Sein Land wird dank Ansteigen des Meeresspiegels und Klimawandel vermutlich in wenigen Jahrzehnten nicht mehr existieren, sein Volk heimatlos. Ist dieser Klimawandel menschengemacht, dann hat ein jeder von uns seinen Teil dazu beigetragen.

Schlagen wir also all diesen Menschen, die aus guten Gründen ihre Heimat verlassen haben, die Türe vor der Nase zu?
Verwehren wir denen, die bei uns untergekommen sind, weiterhin elementare Rechte?
Kümmern wir uns in ausreichendem Maße um die, die hier bleiben wollen?
Oder ist es nicht die pure Angst um die eigene materielle Sicherheit, die Unsicherheit der wirtschaftlichen Verhältnisse, die simple Sorge um Verlust von Status und Besitz – also: Egoismus – die uns davon abhält, solidarisch die Tür zu öffnen?

Die unter uns, die noch Verwandte haben, die die Zeit des 2.Weltkrieges miterlebt haben oder die Gelegenheit hatten, mit solchen Zeitzeugen über jene Jahre zu sprechen, wissen darum, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass auch Deutsche Flüchtlinge waren. Geflohen vor Krieg, Vertreibung, Gewalt und purer Not.
Die meisten von uns sind in Frieden und Wohlstand aufgewachsen. Um uns bewusst zu machen, dass das nicht selbstverständlich ist, genügt bei vielen von uns ein Blick in die eigene Familiengeschichte.

Heute am Tag des Flüchtlings sollten wir zumindest einen Moment lang darüber nachdenken, wie zukunftsfähig unser Asylrecht ist. Wie fair und menschlich der Umgang mit den Flüchtlingen in unseren Kommunen ist. Und ob nicht eine krisenprophylaktische, menschenorientierte Entwicklungspolitik, die den Menschen dort, wo sie leben, eine Chance auf eine gesicherte Existenz bietet, zukunftsweisender wäre.

P.S.: die offizielle Presseerklärung der Piratenpartei Deutschland zum Thema findet sich hier:
Kein Mensch ist illegal

Autor:

Sascha Köhle aus Herten

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