ARGE Märkischer Kreis verweigerte Stromdarlehen – asthmakrankes Kind für 3 Wochen ohne elektrisches Inhalationsgerät (Teil 1)

(jm) Wie sehr Menschen im privaten und beruflichen Alltag auf Strom angewiesen sind, fällt oft erst auf, wenn er fehlt: kein elektrisches Licht funktioniert, kein Telefon, kein Kühlschrank, keine Waschmaschine. Kein Radio, kein PC, kein Fernsehen. Wer zudem eine elektrisch gesteuerte Fernwärmeheizung besitzt oder mit Strom heizt, sitzt nicht nur im Dunkeln, sondern auch im Kalten. Und wer, wie der 8-jährige asthmakranke Marcell H. aus Iserlohn, ständig auf ein elektrisches Inhalationsgerät angewiesen ist, riskiert bei fehlendem Strom nicht nur seine Gesundheit, sondern auch sein Leben.

Gemeinsam mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern bezieht Marcell von der ARGE Märkischer Kreis Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (Hartz IV). Wie in jedem Jahr erhielt die Familie ihre reguläre Jahresabrechnung der Stadtwerke Iserlohn. Da in der Wohnung der Familie H. bautechnisch zwei Stromzähler vorhanden sind, forderten die Stadtwerke Iserlohn zwei Nachzahlungsbeträge an: einmal in Höhe von 440,21 EUR und nochmals weitere 463,92 EUR. Nachzahlungsbeträge, die für die meisten SGB-II-Bezieher nicht „mal eben so“ aus der Hartz-IV-Regelleistung zu stemmen sind; vor allem nicht dann, wenn man sich parallel gegen die ARGE vor dem Sozialgericht noch gegen weitere Unterschreitungen des soziokulturellen Existenzminimums – in Form von unberechtigten Sanktionen – wehren muss.

Familie H. beantragte daraufhin bei der ARGE Märkischer Kreis die Übernahme der Stromkosten in Form eines vorübergehenden Darlehens, um die beiden Forderungen der Stadtwerke Iserlohn bezahlen und so die Stromversorgung sichern zu können. Die ARGE Märkischer Kreis lehnte diesen Darlehensantrag ab, ungeachtet des asthmakranken Marcell und der Gesamtsituation mit drei minderjährigen Kindern. Familie H. legte Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein; die ARGE Märkischer Kreis wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid zurück. Zwischenzeitlich drohten die Stadtwerke Iserlohn die Sperrung der Stromzufuhr an, weil mittlerweile ein offener Betrag in Höhe von insgesamt 1.254,13 EUR aufgelaufen war. Ratenzahlungen oder eine Stundung wurden abgelehnt. Erst als sich Familie H. privat ein befristetes Darlehen über 500 Euro leihen konnte, sahen die Stadtwerke Iserlohn – zumindest vorübergehend – von einer Kappung der Stromzufuhr ab.

Damit war jedoch die Stromversorgung nicht auf Dauer gesichert: Um gegen der Willen der ARGE Märkischer Kreis das Stromdarlehen bewilligt zu bekommen, musste Familie H. einen Rechtsanwalt einschalten und beim Sozialgericht Dortmund eine einstweilige Anordnung zur Gewährung des vorübergehenden Darlehens beantragen. Nachdem sich jedoch beim Sozialgericht das einstweilige Anordnungsverfahren in die Länge zog, kappten die Stadtwerke Iserlohn die Stromzufuhr für das Ehepaar und ihre drei minderjährigen Kinder. Insbesondere der 8-jährige Marcell, der aus ärztlicher Sicht ständig auf ein elektrisches Inhalationsgerät angewiesen ist, schwebte ohne den Strom der Stadtwerke Iserlohn in Lebensgefahr – wie sich später herausstellte, für mehr als drei Wochen.

Erwartungsgemäß gab das Sozialgericht Dortmund in seinem Beschluss der Familie H. überwiegend recht gegen die ARGE Märkischer Kreis, weil die Familie – insbesondere durch die drei minderjährigen Kinder und den asthmakranken Marcell – ständig auf Strom angewiesen sei. Leider erst nur ein Etappensieg für Familie H. und ihren Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker, denn mit diesem Beschluss wollte sich die ARGE Märkischer Kreis keinesfalls zufrieden geben. Anstatt der bedürftigen Familie das vorübergehende Darlehen in Höhe von 754,13 Euro zu gewähren und so die Stromversorgung und die familiäre Existenz sicherzustellen, legte die ARGE Märkischer Kreis gegen den Sozialgerichtsbeschluss anschließend noch das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Man wolle sich „nicht in die Knie zwingen lassen“, tenorierte die ARGE Märkischer Kreis sinngemäß in ihrer Beschwerde; die Familie H. hätte genügend „Selbsthilfemöglichkeiten“ – ohne allerdings zu benennen, welche. Damit hätte Familie H. während der gesamten Verfahrensdauer des Beschwerdeverfahrens weiterhin ohne Strom dagestanden.

Um angesichts der akuten familiären Notlage den Blick der Öffentlichkeit auf die Frage nach der Verantwortung für den möglichen Tod eines asthmakranken Kindes zu richten, wandte sich Rechtsanwalt Schulte-Bräucker daraufhin an örtliche Medienvertreter und Politiker. Dagmar Freitag (SPD) und Oliver Ruhnert (Die Linke) schalteten sich in den Fall ein und telefonierten daraufhin mit ARGE-MK-Geschäftsführer Volker Riecke. Zunächst schien sich wenig zu bewegen. Ein außergerichtlicher Einigungstermin des Ehepaars H. und ihres Anwalts mit mehreren Vertretern der ARGE Märkischer Kreis führte zu keinem Ergebnis.

Erst in der ARGE-internen Nachbesprechung lenkte die ARGE Märkischer Kreis ein und schrieb dem Sozialgericht: „Die Beschwerdeführerin hat nunmehr die Sach- und Rechtslage überdacht und möchte sich nicht dem – aus ihrer Sicht zwar unbegründeten – Vorwurf aussetzen, durch ihr Verhalten das Wohl einer Familie, insbesondere der Kinder, zu gefährden. Aus diesen sozialen Erwägungen hat sie sich dazu entschlossen, den ER-Beschluss […] im Ergebnis umzusetzen und die Beschwerde zurückzuziehen, aber aus grundsätzlichen Erwägungen gleichwohl einer gerichtlichen Entscheidung im parallelen Hauptsacheverfahren nicht auszuweichen.“ Der Rechtsanwalt der Familie erklärte auf Anfrage, bei Familie H. seien mittlerweile fünf Klagen gegen die ARGE Märkischer Kreis anhängig, wobei zwei Klagen gleich mehrere Sachverhalte beträfen.

(Fortsetzung folgt in Teil 2)

Autor:

Jörg Michael aus Iserlohn

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