Datenschützer rügen Jobcenter

„Verbergen sich in diesen Akten des Jobcenters Ausweiskopien?“

Das Offenbacher Jobcenter Mainarbeit arbeitet möglicherweise nicht ganz gesetzeskonform. Die Bürgerrechtsgruppe „Die Datenschützer Rhein-Main“ ist der Auffassung, dass das Jobcenter gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstößt. Denn seine Mitarbeiter fotokopieren den Personalausweis der Kunden, die auf der Behörde um eine Hartz-IV-Leistung anfragen.
fr-online.de

Unwichtig, belanglos, unbedeutend - oder?
Der Umgang mit sensiblen Daten darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Wenn sich Menschen einem Psychiater, Priester oder Arzt gegenüber öffnen, so setzt dies zunächst völlige Freiwilligkeit und ein hohes Maß an Vertrauen voraus.

Mitteilungspflichten gegenüber einer Behörde basieren auf einem unfreiwilligen Abhängigkeitsverhältnis. Diese Daten sind in der Akte oder im Rechner auch für solche Mitarbeiter zugängig, die Sie gar nicht kennen.

Hunderte von Beispielen belegen, dass nicht nur solche für die Sachbearbeitung erforderliche Daten abgefragt werden, sondern, dass darüber hinaus geradezu das Privatleben ausgeschnüffelt wird.

Dieses Problem ist auch der Bundesagentur bestens bekannt und diese hat bereits vor Jahren dementsprechende Weisungen erlassen:

„1. Vorwort
Die stete Zunahme des Volumens der Leistungsakten im Rechtskreis SGB II ist als kritisch zu betrachten. Insbesondere die Komplexität des SGB II mit dem besonderen Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft führt zu einem hohen Aufkommen von Unterlagen. Tendenziell werden eher mehr Unterlagen als erforderlich zur Akte genommen. Dabei ist der datenschutzrechtliche Aspekt ein großes Problem; grundsätzlich dürfen die Daten der Betroffenen nur insoweit erhoben, verarbeitet und genutzt, mithin auch zur Akte genommen werden, als dies für die Entscheidung über die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II erforderlich ist. Daneben kommt es häufig wegen einer mangelnden Übersicht und Lesbarkeit der Leistungsakte zu Doppelungen von Unterlagen.“
https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mta3/~edisp/l6019022dstbai441148.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI441151

Übersicht: Was Jobcenter kopieren dürfen

Ein kurzer Blick in die Übersichtstabelle zeigt wohl jedem persönlich Betroffenen, dass auch das hiesige Jobcenter Märkischer Kreis regelmäßig gegen etliche Datenschutzbestimmungen verstößt.
Da werden Kontoauszüge, Sparbücher und Ausweise ohne Grund kopiert und zur Akte genommen, unter Androhung von Leistungseinstellung werden Daten unbeteiligter Dritter eingefordert und alles das auch gerne dreimal.
http://www.beispielklagen.de/IFG062/2012_Was_Jobcenter_kopieren_duerfen.pdf
(Auszug aus dem "Empfehlungspaket zum Aufbau und Führen einer Leistungsakte im Rechtskreis SGB II", SP II 23 - II-5020, Januar 2012)

Und während sich Jobcenter-Mitarbeiter hinter namen- und gesichtslosen Callcenter-Mitarbeitern verstecken, fordern sie die Leistungsberechtigten auf, den persönlichen Aufenthaltsort und die Handynummern preiszugeben.

Mangelhafte Schulung

Aber auch Jobcenter-Mitarbeiter sind nur abhängig Beschäftigte. Bei unzureichender Schulung, wird dies in die Beratungstätigkeit einfließen. Zudem muss man einräumen, dass in der stetig wandelnden Gesetzgebung und der „gefestigten“ Rechtsprechung kein Mitarbeiter auf dem Laufenden bleiben kann.
Zuständig für die Mitarbeiterschulung ist die Rechtstelle des Jobcenters. Und obwohl die Kenntnis der aktuellen Gerichtsentscheidungen als bekannt vorausgesetzt werden muss, wiederholen sich die Fehlentscheidungen und Rechtsverstöße der Jobcenter-Mitarbeiter regelmäßig über Jahre.

Mietbescheinigungen und Mietverträge

Erst eine „Untätigkeitsklage zwingt Jobcenter Märkischer Kreis zur Mitwirkung“ bei der Einhaltung der Informationspflicht.
http://www.lokalkompass.de/iserlohn/politik/untaetigkeitsklage-zwingt-jobcenter-maerkischer-kreis-zur-mitwirkung-d618540.html

Seit mehreren Jahren hat die Geschäftsführung des Jobcenter Märkischer Kreis Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Forderung nach „Mietbescheinigungen“ Kenntnis. Diese Sonder-Formulare sind überhaupt nicht erforderlich für die Berechnung der Kosten der Unterkunft, zwingen aber die Erwerbslosen sich gegenüber den Vermietern zu offenbaren. Dies stellt einen regelmäßig wiederkehrenden Verstoß gegen das Gebot der Datensparsamkeit dar und muss erneut der Datenschutzbeauftragten zur Kenntnis gebracht werden.

Im 25. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2013 - 2014 vom 17.06.2015 heißt es unmissverständlich:

9.1.8 Nachweis der Unterkunftskosten

Jobcenter dürfen Leistungsempfänger nicht verpflichten, vom Vermieter ausgefüllte oder unterschriebene Mietbescheinigung vorzulegen.

Das Jobcenter ist berechtigt, Sozialdaten zu erheben, soweit dies für die Erfüllung seiner Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist (§ 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X). Mit einer Mietbescheinigung werden Daten erhoben, die für die Berechnung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) benötigt werden. Diese Angaben können jedoch in der Regel mit anderen Unterlagen nachgewiesen werden. Hier bietet sich beispielsweise der zentral von der BA erstellte Vordruck „Anlage Kosten der Unterkunft und Heizung“ an, den jeder Antragsteller vom Jobcenter erhält.

Sozialdaten sind grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben (§ 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X). Daher muss das Jobcenter jedem Antragsteller die Gelegenheit geben, die erforderlichen Angaben durch geeignete Nachweise selbst zu erbringen. Viele Jobcenter haben in der Vergangenheit die Antragsteller aufgefordert, zum Nachweis der Unterkunftskosten eine Mietbescheinigung vorzulegen, die vom Vermieter ausgefüllt oder zumindest unterschrieben werden sollte. Für die Jobcenter ist die Vorlage solcher Mietbescheinigungen die einfachste Nachweisform, da sie den Aufwand bei der Vorlage aller erforderlichen Daten deutlich vermindern kann. Datenschutzrechtlich problematisch ist in diesen Fällen jedoch, dass der Vermieter dann regelmäßig Kenntnis über eine Antragstellung seines Mieters auf Hartz IV-Leistungen erlangt. Zudem bestehen weder gesetzliche Auskunfts- noch Mitwirkungspflichten des Vermieters gegenüber dem Jobcenter. Dieses muss daher die Antragsteller zwingend auf die freiwillige Mitwirkung von Vermieter und Antragsteller selbst hinweisen. Nur wenn die Betroffenen umfassend über die Freiwilligkeit der Vorlage einer Bescheinigung des Vermieters aufgeklärt wurden, halte ich diesen Weg, Kosten der Unterkunft und Heizung nachzuweisen, datenschutzrechtlich für zulässig."

S. 170 Tätigkeitsbericht des bfdi

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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