Die zweifelhaften Erfolge von Hartz IV – die schleichende Entrechtung Sozialschwacher

Seit 2005 hat die Bundesregierung eine Menge Arbeitsplätze für Sozialrichter geschaffen. Denn seit der Einführung der Agenda 2010 werden die Sozialgerichte mit einer außergewöhnlichen Klagewelle überschwemmt. Hunderttausende Menschen kämpfen in Deutschland verzweifelt um ein angeblich gesichertes Existenzminimum. Und die hohen Erfolgsquoten bei den Klagen demaskieren die schlechte Arbeit des Gesetzgebers, aber auch die Schlechtleistung der Jobcenter.

Und was tut die Politik gegen die Hartz IV-Klageflut?
Anstatt die eigenen Fehler nachhaltig zu korrigieren, erschwert die Regierung
die Rechtsdurchsetzung für Betroffene massiv.

Jahrelanger Betrug bei den Regelsätzen

Seit der Einführung der Hartz IV-Gesetzgebung wird das soziokulturelle Existenzminimum, die Regelsätze, rechnerisch verfälscht und gekürzt. Zuerst durch Ursula von der Leyen (CDU), jetzt durch Andrea Nahles (SPD). Mit jedem Jahr ist die rechnerische Anpassung niedriger als die tatsächliche Preissteigerung. Selbst die wohl begründeten Einreden des Bundesverfassungsgerichts und der Sozialverbände werden von den Regierenden selbstherrlich und/oder gleichgültig ignoriert. Die Anpassung der Diäten funktioniert großzügiger. Das ist offene Verachtung der schutzbedürftigen Bürger. Direkt betroffen sind wohl mehr als acht Millionen Sozialleistungsbezieher.

Zugang zur Beratungshilfe erschwert

Leistungsberechtigte Antragsteller auf Beratungshilfe werden häufig auf die Beratungspflicht durch Jobcenter verwiesen, also ausgerechnet an die Behörde gegen deren Bescheide sie Widerspruch einlegen lassen wollen. Dazu kommt eine Selbstkostenbeteiligung für jeden einzelnen falschen Bescheid. Ein Eigenanteil von 15,00 € erscheint vordergründig angemessen, stellt aber immerhin 3,7 % des monatlichen Existenzminimums (2017) dar. Bei einem Tagessatz für Essen und Trinken von 4,75 € (2017) kostet dies bereits mehr als drei Tage Ernährung.

Zugang zur Prozesskostenhilfe eingeschränkt

Was für ein Husarenstreich. Um die Klageflut um das Existenzminimum bei den Landessozialgerichten einzudämmen, erhöhte die Bundesregierung zum 01.04.2008 einfach den Beschwerdewert von 500,00 € auf 750,00 €. Die Messlatte wurde künstlich so hoch gehängt, dass einer Vielzahl erfolgversprechender Klagen schlichtweg die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Bei derzeit 409,00 € Regelleistung plus Kosten der Unterkunft bedeutet das bereits empfindliche Einschnitte im Beschwerdeverfahren. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit gar nichts mehr zu tun. Das ist verlogene Politik.

Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, das „Armenrecht“ wird mit einem frustrierenden Nachweiswahn ausgehöhlt. Leistungsberechtigte nach dem SGB II und SGB XII sind aber bereits nachgewiesen arm. Sozialrichter monieren Kinkerlitzchen wie fehlende Geburtsdaten, aktuellste Kontoauszüge und Kfz-Daten. Was für ein oberflächlich durchschaubarer Bullshit! Gerechtigkeit ist etwas anderes.
Trotzdem verlangt der Gesetzgeber vom Leistungsberechtigten, dass für den wirksamen Rechtsschutz ggfs. Kapitallebensversicherungen aufgelöst werden sollen und ein „zu wertvoller PKW“ verwertet werden muss bevor der Rechtsstaat Armenrecht schützt.

Empört Euch!

Die Menschenwürde, hieß es, wäre unantastbar,
jetzt steht sie unter Finanzierungsvorbehalt
- ein Volk in Duldungsstarre, grenzenlos belastbar,
die Wärmestuben überfüllt, denn es wird kalt.

Konstantin Wecker - Empört Euch 2014

Verkürzung der Überprüfungsanträge

Durch die nachgewiesen erschreckend hohe Fehlerquote bei den Jobcenter-Bescheiden und ermutigt durch etliche engagierte Erwerbslosenberatungsstellen und –Foren wagten Hunderttausende von Erwerbslosen Rechtsmittel einzulegen.
Auf die hohen Erfolgsquoten bei Widersprüchen und Klagen reagierte die „Gesetzgebung“ u.a. am 01.04.2011 mit drastischen Einschränkungen in die Rechte der Unterversorgten. Eine Rechtsverstümmelung war die Verkürzung der Überprüfungsanträge von 4 Jahren auf nur noch 1 Jahr. Danach wurden die Anforderungen an Überprüfungsanträge zusätzlich erheblich verschärft. Mit dem verkürzten Fristablauf wurde nachweisbares Unrecht per Gesetz für Recht erklärt.

Sozialgerichte – Wegfall der Kostenbeteiligung der Jobcenter

Während es zunächst üblich war, dass die Widerspruchstellen der Jobcenter als Qualitätssicherungsinstanz eine Vorprüfung der beanstandeten Bescheide auch unter dem Aspekt der Kostenreduzierung der Jobcenter bei den Gerichtskosten
 zu verantworten hatten, so ist mit dem Wegfall der Kostenbeteiligung eine weitere Hemmschwelle abgebaut worden.
Nach dem Motto: „Lasst sie klagen, das kostet uns ja nichts und die Erwerbslosen müssen vielleicht jahrelang auf ihre Existenzsichernden Leistungen warten“, provozieren einige Jobcenter inzwischen die Gerichte mit offenkundig rechtswidrigen Leistungsverweigerungen und provozieren selbstherrlich die Sozialrichter.

Tatsächlich werden Prozesse missbräuchlich geführt und nur wenige Jobcenter werden verurteilt Gerichtskosten zahlen
„Störrische Jobcenter sind keine Seltenheit. Auch wenn die Gesetzeslage eindeutig für die Betroffenen spricht, lassen es die Behörden immer wieder auf aussichtslose Gerichtsverfahren ankommen. Weil in Verfahren vor dem Sozialgericht normalerweise keine Gerichtskosten anfallen, versucht es so manches Jobcenter mit Aussitzen. Diese Zermürbungstaktik kostet Nerven, Zeit und Geld. Nicht nur der Kläger, die sich gegen diese Behördenwillkür zur Wehr setzen müssen, sondern auch der mit den Verfahren befassten Richterinnen und Richter. Es mehren sich die Fälle, in denen die Sozialgerichte den Jobcentern wegen „missbräuchlicher Prozessführung“ die Gerichtskosten auferlegen.“

Jobcenter-Mitarbeiter lügen aufgrund hausinterner Anweisungen

Einige konkrete Beispiele können überzeugend nachweisen, dass viele Jobcentermitarbeiter offensichtlich „im Auftrag lügen“.

Beispiel 1:

Bereits am 19.09.2008 bestätigte das Bundessozialgericht in einem Verfahren um die Gewährung von Leistungen (Antrag vom 10.05.2005) für die Anschaffung einer Waschmaschine als Erstausstattung, die Angemessenheit eines Kaufpreises von 250,00 € (B 14 AS 64/07 R)

Das beklagte Jobcenter Märkischer Kreis argumentierte: „Es bestehe auch kein unabweisbarer Bedarf; es sei dem Kläger vielmehr zuzumuten, für eine Waschmaschine Ansparungen zu treffen und vorübergehend die Wäsche in einem Waschsalon zu waschen.“
Weder das Sozialgericht in Dortmund, noch das LSG NRW folgte dem realitätsfernen Vortrag. Zuletzt bestätigte das BSG die Angemessenheit und verklagte das Jobcenter Märkischer Kreis zur Kostenübernahme für alle drei Verfahren.

Aber die Verantwortlichen des Jobcenter Märkischer Kreis missachteten diese durch das BSG festgeschriebene Rechtsanwendung und gewährten auch weiterhin lediglich eine Waschmaschinen-Pauschale von 100,00 €. Nur Kläger bekamen mehr.

"Auch die zu den Gerichtsakten gereichten Nachweise über die Preise der Waschmaschine reichen nicht aus, um zu der Ansicht zu gelangen, dass die 100,00 Euro, die die Beklagte gewährt hat, für den derzeitigen Kauf einer Waschmaschine ausreichend sind." (SG Dortmund, S 28 AS 308/09, 20.09.2011)

Langlebige Gebrauchsgüter sind in der Regelsatzermittlung nicht hinreichend berücksichtigt. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 (Rn. 120) ausdrücklich hingewiesen.

Das Jobcenter Märkischer Kreis ignoriert sowohl die Entscheidung des Bundessozialgerichts als auch die des Bundesverfassungsgerichts. Hier gilt „Iserlohner Dorfrecht“. Allerdings nur bis Klage erhoben wird.

Beispiel 2:

In einer Pressemeldung vom 14.06.2011 mit dem Titel „Alleinstehende Bezieher von Hartz-IV-Leistungen haben Anspruch auf 50 m² Wohnfläche“ machte der Verein aufRECHT e.V. in Iserlohn auf eine Gesetzesänderung in den Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) zum 01.01.2010 aufmerksam. Die Änderung führte im Märkischen Kreis zu einem Rechtsanspruch auf eine Anhebung der KDU von ca. 25,00 €/Monat.

Eine Anpassung von Amtswegen erfolgte nicht, obwohl viele Bedarfsgemeinschaften mit anteiligen Wohnungskosten belastet waren und sind.

Nur Kläger kamen in den Genuss einer Nachzahlung. So mussten einem Kläger aus Hemer 576,00 € nachgezahlt werden. Über ein weiteres Verfahren wurde am 16.12.2011 berichtet: „Jobcenter Märkischer Kreis - Erfolgreiche Klage wegen unrechtmäßiger Mietkürzung

„Die Beklagte erklärt sich bereit, für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 01.01.2007 und ab dem 01.11.2007 bis zum 01.05.2010 sowie für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis zum 30.11.2011 weitere Kosten der Unterkunft an den Kläger in Höhe von insgesamt 1.309,80 EUR zu zahlen.“ (SG Dortmund, S 28 AS 563/10, 13.12.2010)

Trotz eindeutiger Rechtslage verweigert das Jobcenter Märkischer Kreis einem Kläger aus Iserlohn bis zum heutigen Tage die Erstattung seiner Leistungen für das Jahr 2010 in Höhe von 580,80 (12 Monate á 48,40 €) weil die Jobcentermitarbeiterin in einem Gerichtstermin behauptete einen per Fax übersandten Überprüfungsantrag nicht erhalten zu haben, der an ein Fax an die Hauptstelle versandt wurde.

Im Gerichtstermin vor dem Sozialgericht Dortmund behauptete die Beklagtenvertreterin wahrheitswidrig das Fax vom 14.06.2011 mit dem Überprüfungsantrag sei nicht eingegangen. Diese Behauptung wurde ohne jeden belastbaren Beweis vorgetragen und völlig anhaltslos geglaubt.

In einem ersten Urteil heißt es wahrheitswidrig:
"Zur Begründung führt sie aus, ein Überprüfungsantrag vom 14.06.2011 sei dort weder bekannt noch zugegangen. Empfangsjournale des Faxgerätes mit der Nummer 02371/905799 für den 14.06.2011 seien bei dem Beklagten nicht mehr vorhanden."

Aber ab dem 01.07.2015 wurden je zwei Überprüfungsanträge wegen der Ablehnungsbescheide vom 03.04.2012 & 16.04.2012 per Fax an drei Faxgeräte im Jobcenter Märkischer Kreis (Fax: 02371 905-799; 905-848; 905-859) versandt. Um postalische Eingangsbestätigung der Überprüfungsanträge wurde ausdrücklich gebeten.

Am 03.08.2015, 31.08.2015, 05.10.2015, 28.10.2015, 30.11.2015 und 31.12.2015 erfolgten Erinnerungen. Zwei Faxe an jeweils drei Faxgeräte im Jobcenter Märkischer Kreis.

Siebenmal 6 Fax-Anträge. Bei keinem der 42 Anträge erfolgte auch nur ein Bescheid.Nicht einmal eine Eingangsbestätigung. Aber diesmal ist jede einzelne Übersendung dokumentiert und das auch mit Bildvorschau und OK-Bestätigung.

Dann war eine weitere Untätigkeitsklage fällig.

So arbeitet das Jobcenter Märkischer Kreis. Wir schaffen Fakten. 

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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