Gierige Anwälte: Das Geschäft mit Hartz IV

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„Viele Hartz-IV-Bescheide halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Oft liegt das an einer fragwürdigen Auslegung der Gesetze durch die Jobcenter, oft aber auch an den unklaren Gesetzen selbst. Das machen sich einige Anwälte zunutze und überziehen die Jobcenter mit einer Flut von Widersprüchen und Klagen. Selbst dann, wenn es nur um Cent-Beträge geht. So hat ein Jobcenter einer niedersächsischen Kleinstadt mehr Klagen zu bewältigen als alle Jobcenter des Landes Rheinland-Pfalz zusammengenommen. Für die Anwälte ein sicheres Geschäft. Die Verfahren an den Sozialgerichten sind für die Betroffenen kostenlos. Um ihren Anwalt bezahlen zu können, bekommen sie in der Regel Prozesskostenhilfe und verliert das Jobcenter, zahlt alles der Steuerzahler. Finanziell gewinnt der Anwalt immer.“
plusminus

Für die Ausgangssituation ist allein die Politik verantwortlich

Laut der Statistiken der Bundesagentur für Arbeit wurden in der Zeit von November 2012 bis Dezember 2014 deutschlandweit durchschnittlich jeden Monat 57.519 Widerspruchsbescheide erlassen. Bereits in diesem ersten Rechtsschritt wurden 27%-28% der Verfahren vollumfänglich zugunsten der Widerspruchsführer entschieden, weitere 8% zumindest teilweise. Bereits dies entspricht einer nachgewiesenen Fehlerquote von 35%-36% der Bescheide. Darüber hinaus errechnet sich eine Grauzone von 2897 Erledigungen (5%) pro Monat ohne Widerspruchsbescheid. Darunter dürften sowohl Abhilfebescheide zugunsten der Betroffenen fallen, aber auch Widerspruchsrücknahme aus Einsicht oder Einschüchterung.

Nur ein Bruchteil der abgelehnten Widersprüche wird ins Klageverfahren geführt. Und auch im Klageverfahren beträgt die Erfolgs/Teilerfolgsquote der Erwerbslosen noch einmal 42%. Das sind immerhin 8% der Gesamtwidersprüche.
Somit weist bereits die Statistik der BA eine Fehlerquote der Bescheide von 42% + 8% aus.
statistik.arbeitsagentur

Wenn Sie Brot kaufen und die Hälfte ist bereits verschimmelt, klagen Sie nicht. Wenn Sie Ihr Auto aus der Werkstatt holen, und es ist fast fahrtauglich klagen Sie nicht. Und wenn das gerade eingekaufte Obst zu Hause bereits zur Hälfte vergammelt ist, genießen Sie doch einfach die andere Hälfte. 50% was ist das schon? Fifty-fifty. Jobcenter-Roulette eben. Setzen Sie auf schwarz oder rot?

Jeder einzelne falsche Bescheid, ist eine konkrete Unterschreitung des Existenzminimums

Wenn die Widerspruchstelle, als Qualitätssicherungsfachabteilung des Jobcenters nicht die umfassende Bedarfsdeckung der Erwerbslosen sicherstellen will, ist es angeraten fachanwaltliche Hilfe hinzuzuziehen.
Auch bei gefestigter Rechtsprechung und wiederholten Niederlagen vor Gericht in gleich gelagerten Fällen, verweigern viele Jobcenter die Auszahlung der rechtmäßigen Leistungen. Wissentlich und mit voller Absicht, werden Erwerbslose abgewiesen und in rechtlicher Hinsicht oftmals getäuscht. Darauf weisen etliche Erwerbsloseninitiativen und Foren immer wieder hin.

Gierige Anwälte?

Jeder Erwerbslose, der zum Anwalt geht, misstraut dem Jobcenter. Und umgekehrt gilt: jede unterzeichnete Anwaltsvollmacht zeigt ein Stück Vertrauen in die Rechtsberatung, in den Anwalt, in die Person. Manche habe sich ein guten Ruf erworben, andere sind Lumpen.

Sicherlich könnte es attraktiv sein bei einer Erfolgschance von 50% im Sozialrecht mitzumischen, allerdings sind die Gebühren enorm niedrig, der Arbeitsaufwand bei etlichen Verfahren enorm hoch und somit muss eine Mischkalkulation einen Ausgleich schaffen.

Der Bericht ist ein wenig naiv, wenn die Verfasser behaupten: „Kleiner Aufwand – große Wirkung“. Offensichtlich verkennen sie den erheblichen Aufwand der Aktenerfassung und Kundenbetreuung, der oftmals in keinem Verhältnis steht zu den verhältnismäßig geringen Gebühren.

„§ 3 Gebühren in sozialrechtlichen Angelegenheiten
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren.“
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)

Richtig peinlich wird es aber, als die beiden Verfasser fachsimpeln:
„Für den Anwalt lohnt sich das Geschäft mit den Massenklagen: Gewinnt er, zahlt das Jobcenter sein Honorar. Verliert er, zahlt die Justizkasse, weil seine Mandanten als Hartz IV-Empfänger in der Regel Prozesskostenhilfe bekommen.“

Wenn ein Anwalt ein Verfahren gewinnt, zahlt die unterlegene Partei. Das gilt in jedem anderen Rechtsgebiet auch. Wenn der Anwalt gewinnt, dann weil das Jobcenter schlechte Arbeit gemacht hat. Dann gewinnt der Erwerbslose. Er erhält die ihm vorenthaltene Leistung nachgezahlt, die ihm meinst über Monate oder sogar Jahre vorenthalten wurde. Im günstigsten Fall findet er auch ein Stück Selbstwert wieder, weil er sich gewehrt und gewonnen hat.

Für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe genügt es schon lange nicht mehr nur arm zu sein. Der zuständige Richter prüft zunächst die Erfolgsaussichten der Klage selbst. Nur wenn eine ausreichende Erfolgsaussicht besteht, wird PKH gewährt und selbst darüber entscheidet nicht selten erst das Landessozialgericht als zweite Instanz.

Mit der Ablehnung der PKH ist die Rechtsverteidigung für Erwerblose wegen des Kostenrisikos nahezu verunmöglicht. Und die Politik hat die Rechte der Erwerbslosen in mehreren Stufen eingeschränkt. Weitere Verschlechterungen sind in Vorbereitung.

Das Jobcenter Gifhorn als leuchtende Signalfackel

„Das Jobcenter in Gifhorn musste zum Beispiel in einem Jahr 72.000 Euro Honorar an den Anwalt Wellnitz überweisen. Viel ärgerlicher waren die 600.000 Euro, die man an eine externe Anwaltskanzlei zahlen musste, um die Massenklagen von Rechtsanwalt Wellnitz abzuwehren. Geld, das den Leistungsbeziehern dann fehle, sagt Wilfried Reihl vom Jobcenter Gifhorn.“

Ein weiteres Mal zeigt sich, dass die Interpretation von Fakten, durchaus auch für abstruse Gedanken offen ist. Die drei zitierten Sätze demaskieren die Hartz IV-Gesetzgebung als völlig fehlgeleitet:

1. Wenn das Jobcenter nicht in der Lage ist, rechtskonforme Bescheide zu erlassen, lassen sich die ganzen Mitarbeiter einsparen, egal wie viele es sind.
2. Ein Jahreshonorar von 72.000 € ist für einen selbstständigen Rechtsanwalt nicht zu hoch. Das liegt noch unterhalb des Grundgehaltes für einen Geschäftsführer im Jobcenter nach A 16-Tarif http://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner?m=beamte%2Feu&id=beamte-bund&g=A_16&s=6
3. Und die „Investition“ von 600.000 € für eine externe Rechtsanwaltskanzlei, anstatt der Aufstockung der eigenen Widerspruchstelle bei nur ca. 4540 Bedarfsgemeinschaften ist keine Fehlinvestition?
4. „Geld, das den Leistungsbeziehern dann fehle“? – In einem Bewertung-Portal haben sich 82 Kunden zu Wort gemeldet. Die Gesamtnote liegt gerade mal bei 4,7.

Hartz IV schafft endlich neue Jobs

Richtig gute Nachrichten gibt es von den Jobcentern Oberspreewald Lausitz und Senftenberg. Um der Klageflut Herr zu werden stellt das Jobcentern Oberspreewald Lausitz 9 neue Mitarbeiter ein, Rechtsanwalt Thomas Lange hat inzwischen vermutlich 6 Mitarbeiter und außerdem wurden beim Sozialgericht 5 neue Richterstellen eingerichtet.

Mit den meisten Hartz-IV-Klagen verdient die Kanzlei in Großräschen gegenwärtig 57,12 Euro brutto. »Dafür würden andere Rechtsanwälte wohl kaum arbeiten«, sagt der Chef. Nur schätzungsweise fünf Prozent des Umsatzes mache die Kanzlei über die Prozesskostenhilfe. Er beantrage aber kaum noch Prozesskostenhilfe, weil wenig Aussicht bestehe, dass sie gewährt wird.
neues-deutschland

Rechtsanwalt Thomas Lange bezieht Stellung

Zu den Anschuldigungen der Berichterstattung nimmt der Anwalt auf seinem Internetauftritt wie folgt Stellung:

Wie wir die Ärmsten der Armen abzocken
Zur Richtigstellung der Berichterstattung über meine Arbeitsweise in MDR und ARD darf ich diejenigen, die es wissen wollen, darauf hinweisen, dass wir unser Geld nicht mit der Armut verdienen, sondern mit der Dummheit, Ignoranz und den permanenten bewussten und unbewussten Rechtsbrüchen der Jobcenter. Dass die öffentlichen Medien die permanenten Rechtsbrüche einer Behörde nicht wahrhaben wollen, ist nachvollziehbar. Es kann nicht sein, was nicht sein darf … und doch ist es Realität. Es gibt in Deutschland tatsächlich Behörden, man mag es kaum glauben, auf ALLEN Verwaltungsebenen, die von ihrer verfassungsrechtlichen Bindung an Recht und Gesetz offensichtlich noch nie etwas gehört haben. Und die Qualität der Rechtsbrüche nimmt zu, permanent und deutlich und der soziale Abgrund kommt näher. Schritt für Schritt.

Trauriger Höhepunkt ist ein aktueller „Nichtanwendungserlass“ des Bundessozialministeriums an die untergebenen Behörden, worin die Sozialbehörden offen angewiesen werden, die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) zugunsten von Behinderten nicht umzusetzen und damit tausende Betroffene zu Klagen gegen bewusst falsche Bescheide der Sozialbehörden zwingt.

Wir werden auch diese Verfahren gern betreiben und damit auch gern viel Geld verdienen … mag sich der MDR und die ARD auch noch so das Maul zerreißen und mich als den großen Schmarozer darstellen. Die Kriminellen sitzen in den Behörden und Ministerien.

Wir sind unseren Mandanten verpflichtet, nicht der Öffentlichkeit. Und die Ansprüche unserer Mandanten werden wir solange und mit so vielen Verfahren verfolgen, wie notwendig sind, seien es fünfzehn, fünfzig oder hundert. Darauf können Sie sich verlassen.
RA Thomas Lange“

Quelle

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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