Stadt Iserlohn – die Ausbeutung der Armen kennt offensichtlich keine moralischen Grenzen

Im September 2017 wurde ein junger Mann in unserer Beratung vorstellig. Als Leistungsbezieher der Grundsicherung legte er uns einen Anhörungsbescheid vor in dem die Stadt Iserlohn von ihm 3200,00 € zurückforderte.

Der Sachbearbeiter schrieb:
„In einer Radiosendung, welche am 09.08.2017 um 21:04 Uhr auf den Frequenzen von Radio MK ausgestrahlt wurde, erzählten Sie, dass Sie seit 42 Monaten betteln und somit Ihren ganzen Lebensunterhalt finanzieren.“

Das ist natürlich nachweisbar Unsinn. Richtig ist nur, dass Jan mit seinem Hund Lussy, einem elf Jahre alten Yorkshire-Mischling, regelmäßig in der Iserlohner Laarstraße bei DM sitzt und bettelt.

Die Stadt Iserlohn bereichert sich an Jan, dem Bettler?

Haustiere sind für viele Leistungsbezieher geradezu Kinderersatz und von kaum zu unterschätzender Wichtigkeit für die soziale Bindung in der Gesellschaft.
Aber Tiere kosten Geld, obwohl sie lediglich als „Sache“ angesehen werden.
Hundehalterversicherung, Tierarzt und Verpflegung sind nicht im Regelsatz abgebildet und müssen aus dem Existenzminimum abgespart oder erbettelt werden. Trotzdem fordern die Kommunen auch von den Allerärmsten zumindest ermäßigte Hundesteuer ein.

Nicht zuletzt um seinen Hund versorgen, ist Jan auf Geld- und Sachspenden angewiesen. Zuletzt entstanden ihm zusätzlich hohe Tierarztkosten. Kosten für Haustierhaltung sind im Regelsatz nicht vorgesehen. Die Spenden dürften somit auch nicht als Einkommen aufgerechnet werden.

Trotzdem kürzt die Stadt Iserlohn seit September 2017 die Grundsicherung monatlich um eine fiktive „Betteleinnahme“ von 100,00 €.

Über den Widerspruch gibt es noch keinen Bescheid.

Übereifrige Behördenmitarbeiter sind kein Einzelfall

Dem arbeitslosen Michael Hansen aus Dortmund wurden im Dezember vergangenen Jahres seine ALG2-IV-Leistungen gekürzt, weil ihn eine Jobcenter-Mitarbeiterin beim Betteln erkannt hatte. Der Fall schlug hohe Wellen in der Armutsdebatte und konnte beigelegt. Auch hier schätze das Jobcenter „Betteleinnahmen“. Jetzt darf er einen Betrag behalten

Schon 2009 wurde ein „Korinthenkacker“ des Sozialamtes Göttingen medienbekannt. Kommunen betteln bei Bettlern - "So weit unten waren wir noch nie", sagte Manfred Grönig, vom Paritätische Wohlfahrtsverband Göttingen gegenüber dem Radio Sender "NDR1". Das Schreiben des Fachbereichs Sozialdienst sei "demütigend" für den Betroffenen. Außerdem wird dem Mann unverfroren ein "regelmäßiges Einkommen" unterstellt (28.03.2009)

Die Stadt Iserlohn kassiert ab – der Rechtsweg ist lang

Auch ohne Einkommensnachweis wird gekürzt.
„meine Sozialhilfebescheide vom 28.12.14, 28.02.15, 28.06.15, 28.12.15, 28.02.16, 28.03.16 ,28.08.16, 28.12.16, 28.02.17 und 28.03.17 sowie die konkludenten Auszahlungen vom 28.03.15, 28.04.15, 28.05.15, 28.07.15, 28.08.15, 28.09.15, 28.10.15, 28.11.15, 28.01.16, 28.04.16, 28.05.16, 28.06.16, 28.07.16, 28.09.16, 28.10.16, 28.11.16, 28.01.17, 28.04.17, 28.05.17, 28.06.17, 28.0 7.17 und 28.08.17 nehme ich hiermit gemäß § 45 SGB X für die Zeit vom 01.02.15 bis 30.09.17 teilweise zurück.
Die entstandene Überzahlung für die o .g. Zeiträume in Höhe von insgesamt 3.200,00 € ist gemäß § 50 SGB X von Ihnen zu erstatten.“

Wertewandel

Menschen faszinieren mich immer wieder. Mein Gespräch mit Jan hat mir ganz neue Einblicke in eine Lebenswirklichkeit gegeben, die sich meinem Horizont völlig entzogen hatte. Mein ehrlicher Respekt vor Jan ist gewachsen, für die erwähnten Behörden-Mitarbeiter ist vielleicht Mitleid die richtige Wortwahl.

Wer das Iserlohner Rathaus kennt, weiß auch um ein großes rotes Herz an der Fassade, die leise Botschaft heißt wohl: "das Herz bleibt draußen"?

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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