Anno 2045

Foto: Rainer Sturm / PIXELIO http://www.pixelio.de

Was wäre wenn und wie mag es wohl sein?

Der Wecker klingelt erbarmungslos. Wie, schon wieder Zeit zum Aufstehen? Ich muss mich erst daran gewöhnen, vor dem Frühstück einen Haufen gymnastischer Übungen zu absolvieren. Doch der letzte CheckUp im MedizinCenter NRW hat es ganz eindeutig erwiesen. Verschleiß, Verschleiß, Verschleiß. Und um überhaupt Punkte auf der Apo-Card zu sammeln, um zum nächsten Termin zugelassen zu werden, heißt es fleißig trainieren. Ja, das waren noch Zeiten, als es in jeder Stadt mehrer Ärzte gab! Und eine freie Apothekenwahl. Ein jeder weiß, bevor man sich mit seiner "kleinen Grippe" nach Düsseldorf schleppt, wo sich das Ärztehaus für unser Bundesland befindet, kutschiert man doch besser mit seinem Rolli zur Arbeit.

Während vor 30 Jahren das Wort „Rolli“ noch für sogenannte Rollatoren stand, mit denen sich gehbehinderte oder durch Krankheit geschwächte ältere Mitbürger mühsam zum nächsten Supermarkt schleppten, meine ich jetzt meine Nelly damit. Nelly ist meine neueste Errungenschaft, ein vollautomatisches Roboter-Auto Typ 2. Die Anschaffung war nötig geworden, da ich mit meinen knapp 75 Jahren fast nachtblind geworden bin. Nach der Bestätigung in Köln bekam ich die erforderlichen Punkte auf meiner Apo-Card gutgeschrieben. Damit ich keinen Grund hatte, im Winter schon bei Einbruch der Dunkelheit Büroschluss zu machen. Und so tippe ich nach Feierabend das Nachtprogramm ein und Nelly bringt mich sicher nach Hause.

Nein, wie damals befürchtet, als ich mich noch in der Blüte meiner Jahre befand - es ist im Alter nicht alles schlechter geworden. Die wenigen Jungspunde der heutigen Zeit haben die ehemaligen geburtenstarken Jahrgänge der Siebzigerjahre aus dem vergangenen Jahrhundert schnell als Werbezielgruppe erkannt. Ob Hygieneartikel und sonstige Hilfsmittel, Freizeit- und Urlaubsangebote, ja sogar Ü-70-Flirtbörsen schießen wie Pilze aus dem Boden. Entgegen meiner Befürchtungen ist Alterseinsamkeit kein großes Thema mehr. Ganz im Gegenteil, es sind eher die jungen Leute, die keine Partner mehr finden. Keine Zeit für ein Familienleben haben.

Seitdem einer unserer Sülzminister endlich auf die Idee gekommen ist, unser Land ganz offiziell für Pflegekräfte aus dem Ausland zu öffnen, profitieren beide Seiten davon. Ich habe keine Angst mehr davor, nach meinem Tod erst Wochen später in einem unschönen Stadium der Verwesung gefunden zu werden. Bis jetzt habe ich viel Glück gehabt - aber sollte ich eines Tages unheilbar krank werden, ist mittlerweile auch das vieldiskutierte Gesetz zur aktiven Sterbehilfe verabschiedet worden. Unter strengsten Richtlinien natürlich, und hier kommt wieder die Apo-Card ins Spiel. Einst als Schlüssel zum „gläsernen Menschen“ verteufelt, gibt sie nun alle notwendigen Informationen.

Ich freue mich, denn für heute Mittag hat sich Jana angesagt. Jana ist meine „Wahl-Tochter“, ich habe sie auf dem Portal „Alt und Jung - Wahlverwandtschaften“ kennen und lieben gelernt. Die Eltern dieses knapp 30-jährigen Wirbelwinds sind vor ein paar Jahren tragischerweise bei einem Robo-Unfall ums Leben gekommen. Nun sucht sie sich manchmal Rat bei mir, gerade helfe ich ihr, über die Trennung von ihrem Lebenspartner II hinwegzukommen. Tja, schon vor einiger Zeit wurde die Ehe als nicht mehr zeitgemäß erkannt und das Modell Lebenspartnerschaft I - V ist in Kraft getreten. Ein ziemlicher Streitpunkt zwischen uns beiden, glaube ich doch nach wie vor daran, dass man auch mit nur einem Mann glücklich werden kann. Auf der anderen Seite hilft sie mir gleich bei der Installation eines Updates für meine Nelly, bevor wir gemütlich Kaffee trinken wollen.

Ich hoffe allerdings, dass sie heute überhaupt vorbeikommen kann. Vielleicht muss sie auch noch zu ihrer Gruppe „Wasserförderung und Verteilung“, und das kann dauern. Seitdem das Klima so unberechenbar geworden ist, gibt es für alles und jedes Gruppen von Freiwilligen und Ehrenamtlern. Die Menschen scheinen doch langsam zu lernen, dass der einzelne machtlos ist. Machtlos über die von meiner Generation so achtlos verschleuderten Rohstoffe und Ressourcen. Über die Klimasünden. Das rächt sich jetzt gnadenlos. Blizzards im Winter, die bis Ende April anhalten können. Dürren und Temperaturen bis weit über 40°C sind im Juli und August keine Seltenheit. Ich bin froh, dass ich letztes Jahr endlich in meine altersgerechte Wohnung am Waldberg umgezogen bin, so brauche ich mir wenigstens um schlimme Frühlings- und Herbsthochwasser keine Gedanken mehr zu machen. Demnächst wollen noch zwei Freunde einziehen, ich freu mich drauf, denn so ist eins der Gedankenspiele meiner Jugend doch noch wahr geworden - unsere „Oldie-WG“

;-)

© Christiane Bienemann 18.01.2015

Autor:

Christiane Bienemann aus Kleve

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