Ich danke Dir, Lünen

Meine Eltern sind Migranten. Und meine Heimat ist hier: Lünen. Vor fünf Monaten bin ich in das Große Köln gezogen und möchte mich einmal richtig verabschieden. Ein offener Brief an alle Lünerinnen und Lüner

Ich sitze im Bürgerbüro in Köln, starre auf die große elektronische Tafel, die die nächsten zehn Nummern der Warteliste anzeigt. „Mann, ist das groß hier", denke ich mir und stelle mir die schlichte Tafel vor, die im Bürgerbüro in Lünen nur die nächste Zahl anzeigt. Ich bin hier, um mich offiziell ummelden zu lassen. Aus „Lünen" auf meinem Ausweis wird dann „Köln". Irgendwie kann ich mich mit diesem Gedanken nicht recht anfreunden. Letztendlich bin ich immer noch Lünerin.

Ich verstehe nicht viel vom Krieg

In Zeiten von Pegida, Legida, Terror und ISIS denke ich oft darüber nach, wie ich selbst aufgewachsen bin und wie ich mit verwandten Themen wie „Migration“ groß geworden bin, immerhin sind meine Eltern nicht in Deutschland geboren worden. Die Tatsache, dass sie nun in Deutschland sind, sind die direkten und indirekten Nachwirkungen des Kalten Krieges. Ich verstehe nicht viel vom Krieg und ich verstehe auch nicht viel davon, wie es sich anfühlen muss, wenn Familien auseinander gerissen werden. Mein Vater war sogar jünger als ich, als er hier, in Deutschland, aufgenommen wurde. Alleine der Gedanke lässt mich unruhig werden.

„Boah, Lünen ist voll das Kaff“

Es soll hier aber auch gar nicht um meine Eltern gehen. Letztendlich waren sie aber in Lünen – die Stadt, wo sie später auch ihr erstes Kind haben sollten. Und hier bin ich auch die nächsten zwanzig Jahre aufgewachsen. Ein Lüner Krankenhaus, ein Lüner Kindergarten, eine Lüner Grundschule und ein Lüner Gymnasium. Meine ersten Nebenjobs und meine erste Teilzeitanstellung waren alle in Lünen. Ich bin hier aufgewachsen und getreu der Lüner Jugend im neuen Jahrtausend sagte ich oft Sachen wie „Boah, Lünen ist voll das Kaff.“ Erst in den letzten vier, fünf Jahren ließ ich diesen Gedanken hinter mir und sah andere Sachen in dieser kleinen Stadt. Vor allem sah ich sie als meine Heimat, mein zu Hause.

Es gibt so viele Dinge, die ich mit Lünen verbinde. Der kleine Weihnachtsmarkt, wo mein Bruder und ich immer Backkartoffeln essen. Die Lüner Himmelfahrtskirmes, von denen ich noch Fotos habe, wo ich vielleicht vier Jahre alt war. Mittlerweile motiviere ich meine ganze Familie jedes Jahr zu jedem dieser Veranstaltungen zu gehen, auch wenn wir am Ende nur eine Bratwurst essen. Und meine Liebe zu türkischem Essen, die ich dank der der Essstände auf der Kirmes entdecken konnte.
Und dann war ich noch in der Schülerjury beim Kinofest und durfte in unserer Abschlussrede sogar vor dem Bürgermeister sprechen. Wir überreichten den Schülerjury-Preis an den Film „Kriegerin“ der sich mit der deutschen Neonazi Szene auseinandersetzte. Auch damals sagte ich in meiner Rede, dass „die Jugend sehr wohl an Politik interessiert ist und wir Rassismus nicht willkommen heißen.“

Menschen, die ihr zu Hause hier haben und nicht woanders

Es geht mir hier nicht darum, eine große Diskussion loszutreten. Es geht mir nur darum, allen Lünerinnen und Lünern zu zeigen, dass es junge Menschen gibt, die Lünen als ihr zu Hause bezeichnen. Und das, egal mit welchen Wurzeln, sie diese Stadt schätzen zu wissen und sich selbst als „Lüner“ bezeichnen. In schwierigen Zeiten wie diesen, wo viele Menschen von ihren Sorgen und ihrer Angst kontrolliert werden, ist es wichtig, sich an Menschen wie mich und andere zu erinnern. Menschen, die ihr zu Hause hier haben und nicht woanders.

Nach knapp zwei Stunden Wartezeit werde ich endlich vom Bürgerbüro aufgerufen. Die Prozedur dauert nur drei Minuten und schon bin ich Kölnerin. Zumindest offiziell. In Gedanken überlege ich bereits, wann ich meine Familie besuchen könnte, wenn ich in Köln alles erledigt habe. Als ich dann in der gleichen Woche noch nach zwei Stunden Zugfahrt mit einem Koffer meine Eltern besuche und am Bahnhof durch diesen komisch-gelben Flur schlendere, weiß ich: Ich bin wieder zu Hause.

Autor:

Anh-Thu Nguyen aus Lünen

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