AV-Grubenfahrt: Stadtspiegel erfüllt Lesern Lebenstraum

Von Kohlenstaub bedeckt, verschwitzt und schwer beeindruckt: Die Stadtspiegel-Gewinner nach ihrer dreistündigen Grubenfahrt auf der AV. | Foto: Joerg Malkus (RAG)
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  • Von Kohlenstaub bedeckt, verschwitzt und schwer beeindruckt: Die Stadtspiegel-Gewinner nach ihrer dreistündigen Grubenfahrt auf der AV.
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„Ich bin überglücklich, dass ich das erleben darf.“ Gudrun Benner gehört zu den zehn stolzen Stadtspiegel-Lesern, die in eine Welt eintauchen, die es bald nicht mehr gibt. Willkommen zur Grubenfahrt auf dem Bergwerk Auguste Victoria in Marl.
13.15 Uhr. Alle sind pünktlich. Wir stehen am Tor der AV in Marl – dem letzten Bergwerk im Kreis Recklinghausen, das noch Kohle fördert. Holger Stellmacher begrüßt uns. Unsere Gruppe besteht aus zwölf Männern und Frauen, den zehn ausgelosten Gewinnern und zwei Stadtspiegel-Mitarbeitern. Jeder Einzelne stellt sich vor. Dass sie großes Glück haben, ist allen bewusst. Die AV wird mit Anfragen für Grubenfahrten förmlich überschüttet. Heißt: Von 100 Bewerbern schaffen es nur 10, an einer Grubenfahrt teilzunehmen. Montags bis freitags kommen jeweils zwei Gruppen zu maximal zwölf Personen in den Genuss einer Grubenfahrt. Mindestalter 18, Höchstalter 60. Nur kerngesunde und fitte Menschen dürfen einfahren.

Fahrt mit der Dieselkatze

Man spürt die Spannung und Vorfreude. Beides weiß Holger Stellmacher von der Markscheiderei der AV noch zu steigern: Er bereitet uns binnen einer Stunde auf die Grubenfahrt vor – informativ, humorvoll, ernst und prägnant. Eben ein Mann klarer Worte. Ein Beispiel: „Kein Bergbau ist moderner oder sicherer als der deutsche Bergbau. Aber das Ende ist politisch gewollt und so beschlossen. Aber weil Kohle in Deutschland dringend gebraucht wird wegen der Abschaltung von Atomkraftwerken, müssen wir über 80 Prozent Kohle importieren. Aus Länder wie der Türkei, die nicht unsere Sicherheitsstandards haben. An jeder zweiten Tonne Importkohle klebt Blut.“
In besten Zeiten waren über 10.000 Menschen auf der AV beschäftigt. Heute sind es 2.000 – und es werden täglich weniger. Stellmacher: „Für alle wird eine sozialverträgliche Lösung gefunden. Opel schafft so was nicht.“
Wir sehen einen Film über den Bergbau und die AV. Faszinierend sind schon diese Eindrücke von High Tech und harter Maloche.

Kameradschaft in 1223 Metern Tiefe

Dann geht’s in die Kaue, umziehen von Haut an. Selbst die drei Damen in der Runde müssen Männerunterhosen (mit Eingriff) anziehen. Sonja Zadler, AV-Mitarbeiterin, schickt Gudrun Benner drei Mal zurück, bevor sie mit ihr zufrieden ist. Grund: „Keinerlei Schmuck!“ Gudrun Benner muss Ohrringe ablegen, dann auch die Kette… So ist das eben auf Zeche.
Holger Stellmacher und zwei weitere RAG-Mitarbeiter betreuen die Grubenfahrt-Teilnehmer. Für die 800 Meter Luftlinie zum Flöz Zollverein 6 (unterm Bikertreff Vogel) in einer Teufe (Tiefe) von 1.223 Metern werden Marcus Bauer, Claus Peter Schwarz (just an seinem 50. Geburtstag), Philipp Trettin, Panagiotis Saltapidas, Andreas Schwarz, Wolfgang Dalhoff, Nicolas Pardey, Claudia Eschweiler, Gudrun Benner, Christa Mendla, Jörg Kozianka und Marco Ettrich drei heiße, anstrengende und verblüffende Stunden brauchen.

Schwarz-weiße Gesichter voller Zufriedenheit

Besucher haben’s leichter als Bergleute. Die Grubenfahrt-Teilnehmer dürfen die Dieselkatze benutzen, Bergleute tun das nicht. Das ist eine Art Schwebebahn unter Tage, mit der sonst nur Material und Werkzeug transportiert wird. Ansonsten muss Mann – Frau auch – laufen. Weite Strecken. Stellmacher erklärt: „Die Dieselkatze ist im Notfall der Krankenwagen.“ Aber Unfälle gibt es nicht, wir haben die stolze Statistik vorher gesehen: Es gibt keine Unfälle und Ausfälle.
Richtig nah ran kommen die Stadtspiegel-Gäste, wo die Kohle abgebaut wird. Sie sind bedeckt mit Kohlenstaub und fühlen sich dabei pudelwohl. Der Bochumer Philipp Trittin (34): „Ich arbeite an der Ruhr-Uni Bochum. Ich werde glühend um diese Grubenfahrt beneidet. Einige Kollegen wollten nicht glauben, dass wir richtig runterfahren, da, wo abgebaut wird. Sie meinten, das doch nur so’ne Art Werksbesichtigung.“
Nix da. Alles ist echt, Auch die Kohlebrocken, die die Gäste als Andenken mitnehmen. „Behandeln Sie die Brocken mit Lack, sonst lösen sie sich auf“, rät Holger Stellmacher.

Unbezahlbare Erfahrung

Die Helme sind ab, die Halstücher fahren durch die zur Hälfe schwarzen und weißen Gesichter, trocknen Schweiß. Es sind zutiefst glückliche Gesichter, die strahlen. In der Kaue stehen Getränke und belegte Brötchen bereit. Aus einigen sprudeln die Eindrücke nur so heraus, andere scheinen in sich hinein zu horchen. Panagiotis Saltapidas: „Ich muss das erstmal sacken lassen.“
Beim Gedanken daran, das die AV noch dieses Jahr schließt, wird die Stimmung traurig. Das Aus für den Bergbau, das Ende einer 200-jährigen Geschichte, die unsere Region geprägt hat und die Spuren in praktisch jeder Familie hinterlassen hat, ist den Stadtspiegel-Gewinnern unverständlich. Holger Stellmacher merkt’s und betont: „Bei uns auf der AV ist die Stimmung gut, wir leisten hier mit vollem Herzen und Einsatz unsere Arbeit. Bis zum Ende.“
Es ist 18.30 Uhr. Zwölf Menschen, die sich vorher nicht kannten, hat das Erlebnis Grubenfahrt einander nähergebracht. Man bekommt ansatzweise eine Vorstellung davon, warum die Kameradschaft und der Zusammenhalt unter Bergleuten so legendär ist.
Vielleicht gibt es doch noch ein Wiedersehen: Wenn die Grubenwehr der AV im Sommer ihren Lauf macht, ist das ein Fest für die ganze Familie. Sobald der Termin feststeht, werden Sie ihn im Stadtspiegel lesen – und auf lokalkompass.de/marl klicken können.
Glück auf!

Autor:

Kerstin Halstenbach aus Emmerich am Rhein

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