O je, du fröhliche..... Neues aus dem Veedel

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Der schönste Baum - ein Krippenspiel

Im Oktober stand es endgültig fest: Özdemirs werden in Deutschland bleiben statt, wie bei der Hochzeit geplant, im nächsten Frühjahr das Land zu verlassen.
Vater Kamil hatte von seinem Chef ein Angebot und Zusagen erhalten, die auszuschlagen er sich im Leben nicht würde verzeihen können; Mutter Aische war als Halbtagskraft "beim Türken" unverzichtbar, so dass die Großeltern allein zurück nach Anatolien gehen würden, denn sie waren auch nach mehr als 26 Jahren immer noch fremd hier und vom Heimweh geplagt.
Die neue Situation hatte natürlich Folgen: Vater Kamil würde für die Meisterprüfung noch viel lernen müssen, unter anderem sein Schriftdeutsch verbessern, die Mutter wollte mit einer Freundin die Angebote der Stadt wahrnehmen, Gruppen besuchen und so ihre Sprachkenntnisse vermehren und ihre Lebensumstände verbessern. Bleibt noch Sibel, die kleine Tochter, die bisher in der Familie aufwuchs und von der Oma betreut wurde. Ihre Deutschkenntnisse beschränkten sich auf die weit herausgestreckte Zunge, sowie den gelegentlich alternativ angebotenen "Stinkefinger".
Weil es also pressierte und weil zufällig im Kindergarten ein Platz frei war, kam Sibel eines Montagsmorgens an der Hand der Mutter völlig verstört und verängstigt in Sankt Johannes an, wo eine Menge fröhlicher Kinder aus vielerlei Ländern sie begrüßten, ohne das sie ein Wort verstand. Der kleine Achmed, der schon anderthalb Jahre in der Gruppe war, gab gekonnt den Dolmetscher, wie er das bei Arztbesuchen mit der Oma oft getan hatte. Kinder haben gottlob die Begabung einander auch ohne große Worte zu verstehen, und die kleine Sibel wurde einfach mit Händen und Füßen in die Spiele integriert.
Anfang November begann man mit dem Einstudieren des alljährlichen Theaterstückchens für die vorweihnachtliche Feier mit den Eltern. Jetzt stellte sich den Erzieherinnen die Frage, welche Rolle sie der kleinen Sibel anvertrauen sollten, die nach wie vor selbst einfache Problemchen nur mit Achmeds Hilfe lösen konnte. Aber das vorgesehene Krippenspiel verlangte zwingend Sprachkenntnisse, und da in Sankt Johannes - und nicht nur dort -
die Ansicht herrscht, dass in Bethlehem Deutsch gesprochen wurde, war große Not. Nach Rücksprache mit dem Psychologen, mit der Mutter und - mit Achmeds Hilfe - mit der Kleinen, gab es eine Lösung. Frau Mai, eine der Erzieherinnen wusste Rat: sie schrieb für die kleine Sibel eine stumme Rolle in das Stück, nämlich "der Baum am Eingang zur Höhle".
Bäume haben im Krippenspiel traditionell kaum Text, aber dieser Extrabaum war eine Rolle mit viel Äktschen: Wenn das heilige Paar auf der Herbergssuche an der Höhle vorbei kommt, verneigt sich der Baum bis zur Erde, wenn das Paar in der Höhle Zuflucht sucht, reicht er dem Josef Feuerholz aus seinem Geäst, wenn die Hirten das Kind anbeten, hält er deren Hunde, Stäbe und Laternen.
Die Heiligen drei Könige binden ihr Dromedar und ihren Elefanten bei ihm an und endlich, wenn kurz vor Schluss der teuflische Herodes vor der leeren Höhle den Auftrag erteilt, das Jesuskind überall zu suchen, schlägt der Baum mitten im Winter aus, wenn auch nur symbolisch.
Die kleine sprachlose Sibel war hellauf begeistert, bald korrigierte sie Stellfehler der Akteure, blökte mit im Chor der Schäfchen, sang die Liedchen der Hirten, der Engel und des Hofstaats des Herodes mit, ohne auch nur im Entferntesten ein Wort zu verstehen.
Eines Freitags kam Vater Kamil seine Tochter abholen, war aber etwas zu früh dran, so kam er in den Genuss, den Kindern eine Viertelstunde beim Üben zuzusehen. Froh und dankbar stellte er fest, wie engagiert und fröhlich sein Kind mit den anderen agierte, und wie zierlich es dem Herodes gegen das Schienbein trat.
Am Freitag vor Weihnachten war der große Tag. Eltern und Geschwister, Verwandte und Freunde waren gekommen, die Frau Berg und die Frau Nowak von MoKi unter 3, der Pastor von St. Gereon und der halbe Migrationsbeirat, und alle waren voll Vorfreude. Sehr gespannt waren die Eltern, denn man hatte sie gebeten, mit bescheidenen Versatzstücken und Kleidern die kleinen Künstler so auszustatten, dass die dargestellte Figur zu erkennen ist: Der Josef mit Bart und Laterne, Maria mit dem blauen Gewand und Sternendiadem, die Könige mit Geschenkkartons, der Herodes mit Krone und langem Messer und was weiß ich sonst noch.
Das Spiel nahm seinen Lauf, alles klappte wie geübt und es war ein fröhliches Fest für Kinder und Gäste. Glanz- und Mittelpunkt des Dramas war allerdings nicht das Hochheilige Paar, auch nicht das liebe Christkindlein in der Krippe -
übrigens dargestellt vom wohlbehüteten "Schlummerle" der Frau Mai - sondern.. richtig! "Der Baum am Eingang zur Höhle"! Nicht nur, dass Sibelchen den Baum souverän und gewissenhaft verkörperte. Vater Kamil hatte sich bei seinem Probenbesuch so begeistert, dass er die Ausstattung seiner Tochter einer Änderungsschneiderin am Reuterplatz übertragen hatte. Das prächtige Gehölz stach selbst Herrn Herodes nebst Gattin, Salome mit den sieben Schleiern, gar nicht zu reden vom Hofstaat und den Drei Königen derart aus, dass sich wohl niemand im Saal gewundert hätte, wenn am Schluss "der Baum am Eingang zur Höhle" sich auf den dicken Elefanten geschwungen und ins ferne Morgenland begeben hätte.

Autor:

Paul Scharrenbroich aus Monheim am Rhein

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