Die Brotdose

Müde stand sie in der Küche. Es war so heiss in den Nächten. Jetzt, um 5 Uhr morgens, war es kühler. Und auch schon ein wenig hell.

Ihre Hände suchten in der Brottrommel nach dem Weissbrot, das sie immer da hatte, und trocknen liess. Sie nahm es für die Enten. Im Park, hinter dem Seniorenwohnheim, war ein Teich. Dort sass sie gerne. Am liebsten wenn sonst niemand unterwegs war. So wie jetzt. Etwas später kamen dann die Leute mit den Hunden. Aber jetzt war sie alleine. Nur sie und ihre Gedanken, die Enten und die kühle Luft.

Die Brotscheiben legte sie sorgfältig in eine Dose. Jede einzelne hatte sie auf Schimmelbefall kontrolliert. Sie wollte ihre Freunde ja nicht vergiften.
Ein Lächeln spielte um ihren Mund, als sie an die kleine Ente dachte, die immer so vorwitzig war.
Die kleinste war sie, aber sie hatte den meisten Mut. Und war am schnellsten an den Brotkrumen. Jetzt war sie selber Mutter geworden. Und sie hatte ihre Kinder gebracht .
Zu ihr hatte sie die Kinder gebracht.

Sie legte den Deckel auf die Dose, nahm die Tasche und eine Flasche Wasser, dann ging sie durch die Tür. Gewohnheitsmässig drehte sie den Schlüssel im Schloss und dachte: "Warum schliesse ich ab? Bei mir kann man ja doch nichts holen!" Alles von Wert trug sie an sich.

Die goldene Uhr, die ihr nach 25 jahren in der Firma geschenkt wurde. Und der Ring, den ihr der Mann, der der Vater ihrer Tochter war, zur Geburt geschenkt hatte.
Sie hatte die Stelle nicht mehr. Als sie 47 jahre wurde, rationalisierte man sie weg.
Den Mann hatte sie auch nicht mehr. Er hatte ihr den Ring geschenkt, dann war er gegangen. Alles hatte sich um ihre Tochter gedreht. Geschuftet hatte sie für ihr Kind. Studiert hatte sie.
Ja, sie war etwas geworden.

Und dann ging auch sie. Sie lebte jetzt ein anderes Leben. Eins, in das eine Frau wie ihre Mutter nicht passte. Eine Frau, die nur harte Arbeit kannte, und nicht mithalten konnte, wenn die Freunde der Tochter über Dinge redeten, die sie nicht verstand.

Sie stieg die 5 Stufen hinunter, die zur Haustür führten, und blieb draussen eine kleine Weile stehen. es roch so gut, so frisch, so nach Leben. Entschlossen ging sie los. Heute würde sie sich nach dem Park ein Frühstück gönnen. Sie würde sich bedienen lassen, und sie würde ein Glas Sekt dazu trinken.

Ja! Das würde sie heute tun....

....Ihre Schritt wurden leichter. Fast fröhlich. Die Konditorei öffnete um 7. Sie hatte also Zeit.

Auf ihrer Bank sass jemand. Ärger stieg in ihr hoch. Das war IHRE bank. Was wollte der Mann dort? Nie war jemand dort, wenn sie kam. Warum jetzt?

Trotzig ging sie zur Bank, fischte ein Taschentuch aus ihrer Tasche und rieb damit über die Sitzfläche. Sie ignorierte den Mann, der es wagte, ihre Stunde zu stören. Doch sie merkte, das er sie hin und wieder verstohlen ansah.

"Ich bin sonst abends hier." sagte eine tiefe, ruhige und wohlklingende Stimme leise. "Wenn nicht mehr viele Leute da sind. Aber jetzt ist das anders. Sie kommen am Abend, weil es dann kühler ist. Also komme ich am Morgen!" Er sah aufs Wasser beim reden.
Sie schwieg.

Eine Weile sassen sie stumm und bewegungslos. Dann zeigte der Mann auf eine Ente und sagte: "Sehen sie diese Ente? Sie war die kleinste, und die mutigste. Jetzt bringt sie mir ihre Kinder." und er packte eine Dose mit Brotscheiben aus. Getrocknet! Die Frau sah ihn verblüfft an. Dann platzte es aus ihr heraus:
"Aber das ist MEINE Ente!" Der Mann sah sie erstaunt an.
"IHRE Ente?"
"Ja! MEINE Ente!"
"Wissen sie was, gnädige Frau. Erzählen sie mir doch, von IHRER Ente! Das Cafe, dort am Ausgang beim Kindergarten, das macht schon um 6 uhr auf. Wir könnten frühstücken, und vielleicht sogar ein Glas Sekt dabei trinken. Nun? was sagen sie? Und sie erzählen mir alles über ihre Ente."
Er stand auf, hielt ihr die Hand hin, und sie ergriff sie widerspruchslos.

Seidem sieht man am Morgen und am Abend zwei Menschen am Teich sitzen. Mit einer Dose, in der Scheiben Brot liegen. Sie brauchen nur noch eine Dose. Eine Dose reicht auch für zwei Menschen.

Autor:

Claudia Jacobs aus Mülheim an der Ruhr

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