Immer wenn ich Brot hole ...

Bis dass der Tod sie scheidet: Brot und Fahrrad gehören zusammen!
  • Bis dass der Tod sie scheidet: Brot und Fahrrad gehören zusammen!
  • hochgeladen von Anke Müller

Immer wenn ich Brot hole, fahre ich mit dem Fahrrad durch den Wald. Insgesamt bin ich knapp eine Stunde unterwegs, deswegen gehört so eine Beschaffungstour reiflich überlegt. Per Häkchenkontrolle ist abzuklären: 
- Regnet es auch nicht?
- Habe ich denn Zeit?
- Hat der Bäcker überhaupt offen?

Natürlich könnte ich mir das ganze Theater auch sparen und wie jeder normale Mensch die Straße benutzen. Dann wäre die Sache auch binnen zwanzig Minuten erledigt. Aber ich liebe die Tour und habe richtig Freude daran. Das ist ähnlich beschaulich wie bei Rotkäppchen, nur mit moderner, ans Zeitgeschehen angepasster Handlung. Seine Großmutter hat heute keiner mehr mutterseelenallein im Wald wohnen, und damit ich mich zwischen finsteren Fichten nicht vorm bösen Wolf fürchten muss, habe ich ein Pfefferspray dabei.

Aus den genannten Gründen rede ich mir seit Jahren ein, dass zum Bäcker keine Straße führt. Das klappt auch gut, wir essen halt wenig Brot.

Gestern Nachmittag sprach nichts gegen eine Beschaffungstour. Es nebelte scheußlich wie in einer Waschküche, das Thermometer bibberte bei vier Grad, die Turmuhr zeigte kurz vor 15:00 – wenn ich mich beeilte, käme ich noch vorm Dunkelwerden zurück nach Hause. Vor allem könnte ich es mir aber erlauben, die letzte lange Steigung mit meinem unbeleuchteten Fahrrad auf der Straße hochzustrampeln. Da habe ich deswegen immer Bock drauf, weil ich dabei richtig schön ins Schwitzen komme. Also hurtig!

Beim Bäcker ergatterte ich das allerletzte Brot aus dem Regal - was Kleines, so was in der Menge für zwei der sieben Zwerge - und machte mich mit meiner Beute auf den Weg in den Wald. Wie es der Zufall will, hatten etliche Mülheimer Hundebesitzer die gleiche Idee mit dem fixen Heimkommen vor der Dämmerung und so war es ungewöhnlich voll.

Gerade sauste ich bei den ersten Fichten am Bächlein um die Kurve, da gewahrte ich hinter der Brücke vier dick vermummte Damen älteren Semesters. Die schlenderten nebeneinander und nahmen die komplette Breite des Weges ein.
Wobei Weg echt untertrieben ist. Er hat die Abmessungen einer Straße, auch die Qualität. Der Asphalt weist weniger Schlaglöcher auf, als die Straße, auf der ich wohne.
Die Damen schwatzten aufgeregt und verhielten sich auch ansonsten arttypisch. Vornweg versuchte ein kleiner Hund heimzuflitzen. Er trug Mäntelchen und Stiefelchen und zog so kräftig an der Leine, dass er auf den Hinterbeinen lief und vorne hoch stand. Wohl wegen seines Fliegengewichts und wegen des interessanten Gespräches schienen die Damen das aber nicht zu bemerken.

Ob der Kaffeekränzchen-Idylle plagte mich zwar ein wenig das schlechte Gewissen, doch dann betätigte ich sacht meine Klingel. Nichts passierte. Ungerührt palaverten die Damen weiter. Ich schellte lauter: wieder nichts.

Vemutlich lag es an den wollenen Mützen und an den Ohrenschützern, dass die Girls nichts hörten und so bremste ich hinter der Truppe scharf ab. Doch auch meine quietschenden Reifen störten sie nicht und so blieb mir nicht weiter übrig, als mich auf dem Grünstreifen vorbeizuquetschen. Ich entschied mich für die Seite mit dem schmächtigsten Weiblein.

Das hätte ich besser bleiben lassen sollen, denn als ich eben auf gleicher Höhe dran vorbeischlich, kreischte das Weiblein fürchterlich auf.
Vor Schreck fiel ich fast vom Fahrrad!
Doch damit nicht genug: Statt wenigsten stehen zu bleiben, sprang die dusselige Kuh mir auf den Gepäckträger!
In letzter Not gelang es mir, den Drahtesel in Balance zu halten. Leider kam ich trotzdem von der Straße ab.

Wie ich mit der entführten Alten schnurstracks auf dem Weg in den Bach war, hatte die Zweite sich so weit gefangen, dass sie losblökte: „HILFE! HILFE!“
Die Dritte kreischte: „POLIZEI!
„KLINGELN SIE GEFÄLLIGST, JUNGE FRAU!!“, brüllte die Vierte.

Herrschaftszeiten, ich sage Ihnen weiter nichts! Mein Herz! Die Girls machten so einen Terz - so muss es dem Fuchs ergehen, wenn er im Hühnerstall vom Bauern erwischt wird. Also machte ich es wie der Fuchs und gab eilig Fersengeld.

Ich hatte mich gerade wieder beruhigt, bog 800 Meter weiter um die nächste Ecke, wanderte vor mir eine junge Frau mit vier riesengroßen Schlittenhunden. Wieder über die gesamte Wegbreite verteilt. Ich dachte noch: Nicht schon wieder! - Doch die junge Frau achtete auf ihrer Umwelt. Sie gab den Hunden ein Kommando und die vier stellten sich brav zwei rechts und zwei links vom Frauchen auf.

Wir Frauen winkten uns zu, wir lächelten uns an und setzten beide beschwingt unseren Weg fort.
So einfach kann einem ein Lächeln den Tag erhellen.

So, und wie ich kurz davor war, den Wald zur Straße hin zu verlassen, dann noch diese beiden sportlichen Herren hier: mit extrabreiten Lenkern gestylte und schön eingeschweinste Biker im besten Mannesalter.
Die heizten wie zwei Kometen auf mich zu.
Solche Vorstandvorsitzenden, die gemeinsam auf der Jagd Geschäfte machen - sicher wissen Sie, welchen Typus Mann ich meine. Die reiten da nach ihrem Bürotag, der aus unnützen Konferenzen, überflüssigen Telefonaten, Schlipswechseln und täglich neu verteidigter Hackordnung besteht, mit gezogenen Lanzen durch den Wald. Sie sind auf dem Survivaltripp und haben vorher gemeinsam zwei Kilo rohes Fleisch verschlungen, damit der Aggressionspegel auch hier in der Natur nicht sinkt. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird überrannt. Ich habe sie echt dick, solche Kerle.

Jedenfalls schossen die beiden Lichtgestalten gleichfalls wegbreit heran. Logisch, die nehmen ja schon einzeln mächtig Raum ein - allein die Aura drückt uns Kleinvieh wie ein Rambock von der Piste.

Jetzt ist es aber so, dass ich mit einem Fahrrad geboren wurde. Würde ich zu Fuß schüchtern und ängstlich vor soviel geballter Entscheiderkompetenz beiseitespringen und schuldbewusst für nichts den Kopf senken - straffte ich mich stattdessen und fasste den Lenker fester. Ich kniff die Augen ein bisschen zusammen und hielt die Spur. So in etwa.

Doch der Zufall oder das Schicksal wollten es - oder vielleicht waren es auch die beiden Idioten gemeinsam: Plötzlich lag da auf dem Teerweg vor mir ein überdimensionaler Pferdeschiss! Fein säuberlich Appel für Appel zu einer Pyramide gekackt - bestimmt einen halben Meter hoch!

Verdammte Scheiße, ich und die Chefs würden genau am Scheißhaufen zusammentreffen!
Der Riesenschiss war megafrisch, er dampfte sogar noch.
Der Herr Generaldirektor, der auf meiner Seite fuhr, gewahrte den Kack wohl im gleichen Moment wie ich, denn er grinste fies. Der andere Bankier kriegte die Sache auch spitz und grinste noch fieser. Eines muss man solchen Typen ja lassen: Deren Auffassungsgabe ist wieselflink!

Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass die die Sache auf einmal als Autorennen einstuften. Sie wissen schon, als Illegales. So eines, wo beide Kontrahenten aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zurasen, und der mit den schwächeren Nerven im letzten Moment beiseite zieht. Mit dem Unterschied, dass sich normalerweise beide Parteien einig sind und keiner ungewollt, so wie ich eben, Protagonist und somit Teil der Show wird.

Aber man muss das Leben nehmen, wie es kommt!
Zum Glück stamme ich aus einer Zeit, wo man bei kleinen Problemen weder zur Kindergärtnerin, noch zur Mutter, geschweige denn die zur Lehrerin rannte. Wir lösten noch selber.
Und so gab ich mich der Sache halt hin und stellte mich: Ich fasste den Lenker noch ein wenig fester, kniff die Augen noch ein bisschen mehr zusammen und trat noch kräftiger in die Pedale.

Die Leitfigur, die auf mich zuschoss, erkannte wohl meine Absicht, nicht zu weichen, und verlegte sich augenblicklich aufs Rumbrüllen, darauf verstehen sich solche Typen ja besonders gut: „DU DÄMLICHE PUTE! WENN ICH DAS SCHON SEHE! BLOSS NICHT BREMSEN!“, feuerte er mitten im Naturschutzgebiet eine Maschinengewehrsalve auf mich ab. Im selben Moment sausten wir um Haaresbreite aneinander vorbei. Der Ärmel seines BikerJackets schürfte über meinen kleinen Finger.

„Arschloch!“, informierte ich und weil ich so viel Schwung hatte, war der Wald da auch schon zu Ende.

Diese Brottour war mir jedenfalls zu aufregend.
Das nächste Mal fahre ich auf der Straße, da ist zwischenmenschlich weniger los.
Und vielleicht gibt es dann bei uns auch öfter mal ein Brot zur Wurst.

Lasst Euch nicht die Butter vom Brot nehmen, Leute!

Autor:

Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr

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