Gibt es eine Leitkultur, und wenn ja – brauchen wir eine neue?

Viele reden von deutschen oder europäischen Werten. Kann man im Zuge der Integrationsdebatte von einer Leitkultur sprechen? Und wie müsste diese aussehen? | Foto: Lokalkompass / Grygierek
  • Viele reden von deutschen oder europäischen Werten. Kann man im Zuge der Integrationsdebatte von einer Leitkultur sprechen? Und wie müsste diese aussehen?
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Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Menschen aus aller Welt verlegen seit ihrer Gründung ihren Lebensmittelpunkt hierhin, viele sind längst selbst Deutsche, Generationen von Einwandererkindern sind längst fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Wenn es um die Integration von Migranten geht, ist immer wieder von einer Leitkultur die Rede. Aber wie sieht die aus? – Und brauchen wir eine neue?

Der Begriff der Leitkultur und die Debatte, die sich um das Jahr 2000 darum entzündete, geht vor allem auf den Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Bassam Tibi zurück, der 1998 in seinem Buch "Europa ohne Identität" allerdings keine deutsche, sondern eine europäische Leitkultur vorschlug, um die Herausforderungen der Integration zu bewältigen. Den Begriff der Leitkultur stellte er dem Multikulturalismus entgegen, von dem er fürchtete, dass er zu einer Beliebigkeit von gesellschaftlichen Werten führen könnte. Es sei, so seine These, ein gemeinsames und unverrückbares Grundgerüst der Werte notwendig, auf das sich alle Bevölkerungsgruppen einigen könnten. In seinem Essay "Leitkultur als Wertekonsens" schreibt er: "Innerer und sozialer Frieden bedürfen eines Einverständnisses über Gemeinsamkeiten. Diese nenne ich Leitkultur."

Leitkultur als Zwang zur Anpassung

Der Begriff löste erneute Kontroversen aus, als der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz im Oktober 2000 eine "deutsche Leitkultur" forderte. Bald wurde ihm vorgeworfen, Integration mit Assimilation zu verwechseln und von Migranten eine vollständige Anpassung an eine vermeintlich einheitliche deutsche Mehrheitskultur zu verlangen. Die taz bezeichnete den Begriff der Leitkultur im Jahr 2004 etwa als "defensiven Mobilisierungsbegriff, der oft nur einen 'Herr im Hause'-Standpunkt anzeigt" und somit vermessen und falsch sei. Vor allem sei kulturelle Vielfalt durch die Verfassung garantiert, während Integration keine einseitige Anpassung, sondern ein gegenseitiges Annähern sein müsse.

In Anbetracht der aktuellen Stärkung rechtskonservativer und nationaler Strömungen sowie der anhaltenden Einwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen gewinnt die Debatte um eine Leitkultur wieder an Brisanz. Die anstehende Integration der im letzten Jahr eingereisten Asylbewerber stellt die deutsche und die europäische Gemeinschaft vor die Frage, welche Werte sie vertreten wollen.

Was ist eure Meinung? Gibt es so etwas wie eine europäische oder deutsche Leitkultur oder ist der Begriff fehlgeleitet? Wir sind gespannt auf eure Meinungen.

Hintergrund: Die Frage der Woche
Immer donnerstags (und heute ausnahmsweise freitags) stellen wir an die gesamte Lokalkompass-Community die Frage der Woche. Denn wir interessieren uns für Euer Wissen, Eure Meinungen, Eure Fantasie. Lasst uns Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen - und beim Plausch darüber ein wenig Spaß haben - los geht's!

Autor:

Lokalkompass .de aus Essen-Süd

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