Verschwörungstheorien. Eine WDR-Sendung und kritische Anmerkungen dazu

4Bilder

Am 28. Juni 2016 moderierte Ranga Yogeshwar die Sendung Quarks & Co mit dem Titel »Wahn oder Wahrheit? Was steckt hinter Verschwörungstheorien?«

Der WDR-Programmtext:

Am 20. Januar 2017 wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten sein Amt antreten. Kurz darauf wird ihm oder ihr im Weißen Haus eine geheime Akte überreicht werden. Darin steht, was die Öffentlichkeit nie erfahren wird: Wer im Verborgenen die Geschicke der Menschheit lenkt. Wahn oder Wahrheit? Millionen US-Amerikaner glauben jedenfalls daran. Sie glauben ebenso, dass George W. Bush die Türme des World Trade Centers zerstören ließ, dass Harry Truman vom Angriff auf Pearl Harbour wusste oder Richard Nixon die Mondlandung inszenieren ließ. Doch nicht nur US-Amerikaner hängen solchen Vorstellungen an: Quarks & Co nimmt Verschwörungstheorien der Deutschen unter die Lupe.

• Was genau ist eine Verschwörungstheorie?

Wer 2012 behauptet hätte, US-Geheimdienste werteten weltweit fast alle Emails und Internetbewegungen aus, wäre als Verschwörungstheoretiker belächelt worden. Ein Jahr später bewies NSA-Whistleblower Edward Snowden die Richtigkeit dieser Theorie. Nicht jede absurd klingende Verschwörungstheorie, die finstere Mächte am Werk sieht, muss also falsch sein. Woran aber erkennt man einen Verschwörungstheoretiker? Und wenn man ihn identifiziert hat, muss man ihn in die Wirklichkeit zurückholen? Quarks & Co begleitet Verschwörungstheorie-Forscher bei der Arbeit und versucht, Starrköpfe zu überzeugen.

• „Lügenpresse“ – wie soziale Medien Verwirrung stiften

Dass der diffamierende Begriff „Lügenpresse“ – Unwort des Jahres 2014 – als Pauschalvorwurf um sich greift, ist ein alarmierendes Zeichen für die Demokratie. Denn die sozialen Gruppen, die Medien ablehnen und Journalisten angreifen, entziehen sich zunehmend dem Dialog in einer pluralen und streitbaren Öffentlichkeit. Quarks & Co fragt, welche Rolle soziale Medien als Flucht- und Rückzugsort spielen und wie in ihnen Verschwörungstheorien entstehen.

Eine Kritik der Sendung:

„Schon der Titel und die inflationäre Verwendung des Begriffes Verschwörungstheorie, ohne ihn im Wesentlichen zu definieren, diffamieren alle Menschen, die eben nicht unreflektiert die vorherrschende Meinung und damit die Meinung der Herrschenden wiedergeben. Die Sendung beschränkte sich neben ein paar Erläuterungen über die Historie des Begriffs vor allem darauf, möglichst abstruse Beispiele für ´Verschwörungstheorien` abzuliefern wie die Chemtrails und die jüdische Weltverschwörung, und daraus implizit abzuleiten, das ja alle, die irgend sowas glauben, durch den Wind sind…“
[Dieter Tremel am 29. Juni 2016 in seinem Hotchpotch-Blog]

Zur vollständigen Kritik

Dieser Kritik kann ich im Großen und Ganzen zustimmen. Zu beidem (Quarks & Co und Hotchpotch) noch drei Anmerkungen:

1. Die meisten Verschwörungstheorien haben einen realen Kern. 2. Nicht die Verschwörungstheorie ist das Übel, sondern wenn eine Verschwörungstheorie zur Tatsachenbehauptung gemacht wird, ist das ein Übel. 3. Nährboden, wenn nicht sogar Anlass für Verschwörungstheorien sind fast immer Geheimhaltung, fehlende Transparenz.

1. und 2.: Beispiele für reale Hintergründe: das „Weltjudentum“, „Chemtrails“ / „Geoengineering“, „Lügenpresse“.

Judenfeindliche Tatsachenbehauptungen gab es bereits im Mittelalter. Es waren niederträchtige, von Christen verbreitete Erfindungen wie angeblich von Juden begangene Ritualmorde. Dafür gab es keinen realen Kern. Den hat die Behauptung, „die Westmächte und das jüdische Kapital wollen ein selbstbewusstes nationales Deutschland verhindern, weil man Angst vor dem militärischem Heldentum und der Arbeitsfähigkeit der Deutschen hat.“ Ein Zitat aus dem Buch „Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“Rechtsradikale Propaganda und wie man sie widerlegt (S. 205), hrsg. von Jonas Lanig, Wilfried Stascheit.

Darin wird der mittelalterlichen Wucher- und Schachervorwurf aufgegriffen, in dem behauptet wurde, die Juden treiben christliche Bürger und ganze Handelsunternehmen durch Verschuldung systematisch in den Ruin, um schließlich die Herrschaft über die gesamte europäische Wirtschaft zu erlangen. Real ist daran, dass den Juden in Deutschland und im übrigen Europa Geldgeschäfte und Zinseinnahmen erlaubt wurden. Daraus wurde dann mit Hinweis auf „die Rothschilds“, die von 1815 bis 1914 die weltgrößte Bank besaßen, das „Finanzjudentum“: Hitler, der daraus ein „internationales“ gemacht hat, welches „die Völker noch einmal in einen Weltkrieg (…) stürzen (wolle); dann (würde) das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“ [In seiner Rede am 30. Januar 1939 im Reichstag]

Solche Wahnvorstellungen wurden auch im deutschen Bürgertum als solche nicht erkannt, übernommen und mit vermeintlichen Fakten aus dem eigenen Umfeld untermauert. So hörte ich damals meinen Vater, der ein Nazi war, sagen, Juden hätten in Ostpreußen Großbauern und Gutsbesitzer in die Schulden getrieben und um Haus und Hof gebracht.

Davon habe ich in meiner Heimatstadt Friedland/Ostpr., heute Pravdinsk, und Umgebung damals nichts bemerkt. Was ich dort als Kind wahrgenommen habe, steht in diesem Kapitel: Deutschland 1933

Eine besonders in rechtspopulistischen Kreisen verbreitete Tatsachenbehauptung ist, es gäbe sogenannte Chemtrails (in großer Höhe aus Flugzeugen versprühte Chemikalien); durch sie werde eine gezielte Vergiftung und Veränderung des pH-Wertes des Bodens mit Aluminiumverbindungen systematisch herbeigeführt, „um herkömmliches Saatgut unbrauchbar zu machen. Saatgutgroßkonzerne hätten längst schon präventiv genmanipulierte aluminiumresistente Sorten entwickelt.“ Auch werde durch von der US-Regierung eingesetzte Chemtrail-Versprühung die Zeugungsfähigkeit der Bevölkerung gesenkt, um das Bevölkerungswachstum zu stoppen. [Wikipedia]

Der reale Kern: Seit dem Zweiten Weltkrieg gehören „sogenannte Düppelwolken (einst in Berlin-Düppel erfunden) zum Repertoire aller Luftwaffen. Aus Flugzeugen werden dabei Täuschkörper abgeworfen, um das feindliche Radar zu verwirren. Damals warf man Stanniol-Streifen ab, heute sind es spinnwebfeine, mit Metall ummantelte Kunststoff-Fasern.

Eine solche (chemikalisch erzeugte) Düppelwolke entstand am 19. Juli 2005 vor der holländischen Nordseeküste. Anfangs sah sie noch aus wie ein kompaktes Regengebiet, aber innerhalb weniger Stunden wuchs sie zu einer 300 Kilometer breiten Gewitterfront an, die von den Nordfriesischen Inseln bis ins Ruhrgebiet reichte.“ [P.M. Magazin 01/2012] Siehe Foto und Fotokopie

Einen realen Kern hat auch das Unwort des Jahres 2014: „Lügenpresse“. Neonazis, Rechtsradikale, Pegida- und AfD-Anhänger meinen das Gros der Medien und diffamieren damit das gesamte demokratische Presse- und Verlagswesen, sowie die öffentlichen Fernsehanstalten.
Zum Beweis werden einzelne Fälle herausgegriffen, bei denen tatsächlich manipulierte, verfälschte Informationen und Erfindungen nachgewiesen wurden. Mit einem solchen Fall habe ich mich selber befasst. Siehe Fotokopie

3. Nährboden, wenn nicht sogar Anlass für Verschwörungstheorien sind fast immer Geheimhaltung, fehlende Transparenz.

Spektakulärstes Beispiel der jüngsten Vergangenheit ist das Attentat vom 11. September 2001 auf das World Trade Center:

Behauptet wird, es sei von US-Präsident George W. Bush angeordnet worden, um die Invasion in den Irak (2003) zu rechtfertigen. Als Beweis dafür wird ein angeblich echter „streng geheimer Hintergrundbericht des deutschen Bundesnachrichtendienstes“ genannt. Danach sei am 6. August 2001 der US-Präsident vom deutschen Botschafter in Washington über Erkenntnisse informiert worden, die „eindeutig darauf hindeuteten, dass am 10./11. September 2001 ein Terroranschlag gegen die USA durch teilweise von Deutschland aus operierende radikale arabische Gruppen zu erwarten ist.“

Bekannt ist, dass die USA seit 1945 enge Beziehungen zu Saudi Arabien haben. Und Fakt ist, dass der frühere Senator Bob Graham dem ARD-Magazin Monitor verraten hat: „Es habe ´systematische Unterstützung` aus Saudi-Arabien für die Attentäter des 11. September 2001 gegeben. Die saudische Regierung sowie in Amerika stationierte Diplomaten seien an der Finanzierung der Terroristen beteiligt gewesen.“

Der MONITOR-Bericht »Die Hintermänner von 9/11: Das Geheimnis der „28 pages“« vom 02. 06. 2016

Dies betrifft das vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush als „geheim“ eingestufte, zum Teil eingeschwärzte Kapitel des Untersuchungsberichts, ein brisantes Dokument, welches bis heute unter Verschluss gehalten wird.
Weitere Beispiele für durch Geheimhaltung und fehlende Transparenz hervorgerufene Verschwörungstheorien wären Geheimorden, die Bilderberg-Konferenzen“ und Think Tanks, soweit sie im Geheimen arbeiten. Letztere sind Denkfabriken, die „wichtige Komponenten der Macht-Elite seien, wo Entscheidungen in den Händen von wenigen Gruppen und Einzelpersonen konzentriert seien.“ [Die britischen Politikwissenschaftler und Publizisten Diane Stone und Andrew Denham lt. WIKIPEDIA]

Fakt ist: Überall, wo Macht- und Geldfragen im Raume stehen, wo Freund- und Feindbilder zur Schau gestellt werden, wo Kriege geplant und geführt werden, da sind Informationen Kampfmittel und für Uneingeweihte kaum verifizierbar.

Autor:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

3 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.