Wilhelm Neurohr: „SPD ist heute eine Partei der Akademiker, Berufspolitiker und Besserverdienenden“

Die nachfolgende Fakten belegen ziemlich eindeutig: Die als „Arbeiterpartei“ gestartete und als „Volkspartei“ gescheiterte SPD ist heute in ihrem gehobenen Funktionärskörper eine abgehobene Partei der Akademiker und Besserverdienenden und spiegelt nicht mehr den eigentlichen Bevölkerungsquerschnitt wider - und das vor allem im SPD-Stammland NRW der viel zitierten „Malocher und sozial Abgehängten“. Deshalb nimmt die sozialdemokratische Partei mit ihren fast ausschließlich akademisch gebildeten Berufspolitikern als bestens bezahltes Führungspersonal, das selber auch nicht innerhalb der eigentlichen sozialen Brennpunkte und Milieus wohnt, zwangsläufig den Blickwinkel des gehobenen Mittelstandes ein und bewegt sich in seiner abgehobenen Subkultur fern ihrer Klientel, mehr noch als die andere „große Volkspartei“.

Hier der Fakten-Check: für NRW: Während in der Gesamtbevölkerung nur 31% das Abitur oder Fachabitur haben und nur 17% Akademiker sind, stellt sich der Akademiker-Anteil im 36-köpfigen SPD-Landesvorstand NRW wie folgt dar: Im Gesamtvorstand sind 78% Akademiker, im engeren 7-köpfigen Vorstand beträgt die Akademiker-Quote sogar 86 % , denn der Vorsitzende und sämtliche 5 Stellvertreter sind Akademiker. (Lediglich der Schatzmeister war vorher Gewerkschaftssekretär und Chefredakteur). Es dominieren Juristen, Lehrer, Ökonomen, Sozialwissenschaftler und Beamte. Die ganz wenigen Nicht-Akademiker im Landesvorstand haben aber andere gehobene Berufe, vom Bankkaufmann und Handwerksmeister über selbständigen Textilkaufmann bis zum aufgestiegenen Konzernchef einer Immobiliensparte.

Die 18 Mandatsträger im SPD-Landesvorstand (11 Landtags- und 4 Bundestagsabgeordnete sowie 3 Europa-Abgeordnete) sind ebenfalls zu 78% Akademiker. Rühmliche Ausnahmen „zum Vorzeigen“ sind eine Krankenschwester und ein Akademiker, der vor dem zweiten Bildungsweg Bergmechaniker war. Wo sind heute in den Parteigremien die Handwerker und Fabrikarbeiter, die prekär Beschäftigten und Arbeitslosen, die alleinerziehenden Frauen und die Rentner, denen der Zugang zu den nicht repräsentativen Parlamenten akademisch verbaut ist?

Das war zur „Blütezeit“ der NRW-SPD völlig anders, als die Arbeitnehmer und Betriebsräte sich auch in der damals repräsentativen und volksnahen Funktionärsschicht der Partei und als Mandatsträger wiederfanden und für absolute Mehrheiten sorgten. Inzwischen sind sie von ehrgeizigen und eloquenten „studierten Genossen“ komplett verdrängt wurden, die sich auf eine Dauerkarriere als „Berufspolitiker“ eingerichtet haben und von denen viele gleich nach dem (vereinzelt abgebrochenen) Studium in parteinahen Einrichtungen, von der AWO oder der Ebert-Stiftung bis zu den Stadtwerken, beruflich gestartet und parteipolitisch gefördert worden sind, um nicht ins „akademische Proletariat“ abzurutschen.

Damit ging auch das Bewusstsein von einem bloßen „Mandat bloß auf Zeit“ völlig verloren, denn die meisten akademischen Genossen streben nach einem Mandat auf Lebenszeit als „ewige Berufspolitiker“ mit sicherem Spitzeneinkommen. Im Bundestag schafften sie es, dass sie sich als Mandatsträger nach nur 2 Wahlperioden von 8 Jahren Dauer soviel Rentenansprüche gesichert haben wie ein normaler Durchschnittsverdiener nach 45 Jahren.

Wen verwundert deshalb die oft fehlende Empathie der akademischen Agenda-Partei für das Millionenheer der wirklichen sozialen Verlierer und auf 48% gedeckelten Armutsrentner in diesem Land, in das sie sich als deren „politische Interessenvertreter“ nur theoretisch hineinversetzen können. Deshalb in der vergangenen Wahlperiode auch die viel kritisierte Verschärfung statt Lockerung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger durch SPD-Arbeitsministerin Nahles?

Wann also will die SPD nach ihren historischen Wahlniederlagen in NRW mit fast 8% Stimmenverlusten und im Bund mit über 5% Verlusten nun endlich an eine ernsthafte Ursachen- und Fehleranalyse herangehen und sich „neu aufstellen“? Dann kommt sie nicht umhin, der sehr unbequemen Tatsache ins Auge zu sehen, warum sie sich mit ihrer obersten Funktionärsschicht von ihren Stammwählern und ihrer sozialen Klientel komplett fortentwickelt hat und deshalb auch eine personelle Erneuerung dringend benötigt.

Wilhelm Neurohr

Autor:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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