Wolfsangst in Deutschland: Ein Interview mit Wolfsberater Ralf Scholz

Grauwolf bei Jos de Bruin von wolf-auffang.de © 2018 by Stefan Thiesen
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Selm/Iserlohn Als Teil meiner Recherche zum Thema Wölfe in NRW hatte ich das Glück, im Rahmen meines Berufserkundungstages im Bereich Journalismus Interviews mit den Wolfsexperten Jos de Bruin und Ralf Scholz führen zu können. Ralf Scholz ist Wolfsberater des NABU für den Regierungsbezirk Arnsberg und hält auch mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, vor allem was die öffentliche Panikmache zum Thema angeht. Als Experte steht er klar für eine Versachlichung der Diskussion und eine Balance zwischen Tierschutz, Naturschutz und Interessenausgleich. „Rotkäppchen lügt“ sagt er zwar humorvoll, aber durchaus ernst gemeint.

Die Ruhr Nachrichten schrieben am 03.02. in einer Titelüberschrift „Der Wolf wird zur Gefahr“. Fachmann Ralf Scholz sagt dazu: „Ich habe bis heute drei angebliche Wolfssichtungen und einen Riss in unserem Regierungsbezirk bearbeitet, nach allen Untersuchungen von Bildern, Spuren und DNA nur negativ.“

Somit gibt es bisher keinen bestätigten Wolfsangriff im Regierungsbezirk, womit die Überschrift in den Ruhrnachrichten mindestens bereits als übertrieben entlarvt wäre. Aber - Wölfe sind Wildtiere, keine Kuscheltiere. Faszinierende Wesen, intelligent, geheimnisvoll - aber auch unberechenbar. Lassen wir Wolfsberater Ralf Scholz zu Wort kommen.

Sophie Thiesen (ST): Es gibt einen Film über den Yellowstone Nationalpark, wo die Wiederansiedlung von Wölfen praktisch das gesamte Ökosystem erneuert hat. Ist etwas Ähnliches auch in Deutschland und NRW denkbar?

Ralf Scholz (RS): Dieses ist meiner Meinung nach in Deutschland so nicht möglich, dafür gibt es hier nicht die großflächige Infrastruktur (hier in NRW schon gar nicht).

ST: Was sagen sie zur Forderung von Jägern und verschiedenen Interessengruppen zur Freigabe des Wolfes für die Jagd?

RS: Ich bin zu dieser Zeit gegen das bejagen von Wölfen, dafür ist die Population viel zu klein. Wenn wir die Wölfe hier wieder ansiedeln wollen brauchen wir große Flächen und vor allem auch die benötigte Anzahl an Tieren. Auch durch die Vehrkehrsdichte (vor allem in NRW) kommt es zu genug Ausfällen/Todfunde. Diese Meinung werde ich vielleicht ändern wenn wir so eine Wolf-Rudel-Dichte haben das sie sich gegenseitig stören oder wieder erwarten die normale Nahrungskette nicht mehr ausreicht

ST: Es gab einen Fall, wo ein Jäger einen Wolf „versehentlich“ erschossen hatte, weil er ihn angeblich für einen Hund hielt. Wie kann man überhaupt Wölfe, Wolfshybriden und Haushunde sicher unterscheiden?

RS: Ich bin kein Jäger, aber auf einem Hochsitz bei ruhiger Beobachtung sollte eine erfahrene Person schon einen Wolf von einem Hund unterscheiden können (sonst sollt er seinen Jagdschein abgeben), bei einem Wolfshybriden oder den gezüchteten Wolfshunden sieht es schon anders aus. Das ist ja auch eines der Probleme, die wir haben. Immer mehr Menschen brauchen für ihr eigenes Ego Züchtungen, die selbst den Artenschutz in Schwierigkeiten bringen.

ST: Sollten Wolfshybriden aus Gründen des Artenschutzes getötet werden dürfen?

RS: Auf jeden Fall, nun, um die Population Wolf, oder auch jede andere, rein und artgerecht zu erhalten, darf es in der freien Wildbahn keine Hybriden geben. Diese würden auch das Ökosystem stören, denn Hybriden verhalten sich ja nicht mehr artgerecht.

ST: Was ist nötig für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Wolf?

RS: Respekt! Respekt vor dem was um mich ist, egal was oder wer...   der Wolf ist ein Alphatier und hat damit, falls gesund, keinen direkten natürlichen Feind in der Fauna. Der Wolf ist sehr gelehrig, er passt sich immer seiner Umgebung an. Soweit sich der Mensch ihm mit dem nötigen Abstand, Respekt und Verhalten begegnet, wird es nicht zu Konflikten kommen.

ST: Ist Ihnen eigentlich ein einziger Fall in Europa bekannt, bei dem ein wilder Wolf einen Menschen wirklich angefallen und verletzt hat?

RS: Davon ist mir persönlich Nichts bekannt. Es kam zwar zur Tötungen von Menschen durch den Wolf, aber auch bekanntlich nur durch Tollwut oder Anfütterung. Das Anfüttern von Wölfen, vor allem Welpen, die recht zutraulich und neugierig sind, kommt leider immer wieder vor. Und der Wolf ist wie jedes andere Wildtier letztlich unberechenbar.

ST: Ist es denkbar, daß Wölfe durch Bejagung traumatisiert werden können, was sich vielleicht z.B. durch aggressiveres Verhalten oder eine Änderung des Beuteschemas äußern könnte? Was wäre z.B. wenn ein Jungwolf seine Elternteile vorzeitig verliert und sozusagen seine „Ausbildung“ nicht abgeschlossen ist? Könnte es sein, daß so ein Wolf sich hin zu leichter Beute wie Schafen oder anderen Haustieren orientiert?

RS: Durch eine normale Bejagung wird kein wild lebendes Tier traumatisiert. Auch das Jagdverhalten der Tiere bleibt gleich, und der Wolf hat sich auch schon immer an Nutztiere gehalten. Dieses ist aber der Vereinfachung der Jagd geschuldet, er ist kein Ausdauerläufer und sucht daher immer das leichteste Opfer. Im Normalfall ist er der Aufräumer der Natur, er nimmt die alten und kranken Tiere, die er schnell bekommt. Findet er natürlich Nutztiere, die ungeschützt auf einer Weide stehen, so ist das ein Sonntagsbraten für ihn. Bei einer Tötung von Elterntieren ist je nach Alter der Jungtiere auch deren Tötung zu erwarten, denn wenn sie zu jung zum Jagen sind, schafft es das übergebliebene Elterntier nicht, den Wurf zu ernähren. Ältere Jungwölfe müßen allerdings ohne Erziehung ihr Leben meistern, das heißt auch ohne die Erfahrung der Eltern leben. Dafür gibt es ein interessantes Beispiel in Brandenburg. Dort schützt ein Wolfsrudel eine Schafherde. Dadurch, dass den Wölfen durch Prävention gezeigt wurde, dass es einfacher ist, Wild zu erlegen, als über Schutzzäune zu gehen. Diese Erkenntnis geben die älteren an die jungen Tiere weiter, und ein Rudel-Gebiet wird auch nicht von streunenden Wölfen durchlaufen. Dadurch bleiben die in diesem Gebiet lebenden Schafe und andere Nutztiere relativ geschützt.

ST: Was denken Sie, weshalb derartig viele Menschen Angst vor Wölfen haben? Von einer ausgeprägten Angst z.B. vor Luchsen hört man ja eher selten…

RS: Rotkäppchen lügt!!!   Unsere Märchen-Legenden- und Heldenwelt dreht sich immer um den doch so sehr bösen Wolf...   der Wolf ist nicht böse, er ist ein Wolf...   intelligent, anpassungsfähig und ein Alphatier...   sobald es heisst, es ist ein Wolf in der Nähe, schreien alle nach Jägern und den Abschuss der Wölfe, vor allem wenn Kinder im Spiel sind. Was machen sie aber bei den Wildschweinen, wenn eine Bache mit ihren Jungen auftaucht? Liebe Sophie, sind sie gut und schnell im Klettern, falls ein Baum vorhanden???   Ansonsten...   die Angst vor Luchsen ist hier nicht so ausgeprägt, es gibt ja zum Glück keinen „Werluchs“! Im Fall der Nutztiere ist es aber gleich: wenn er Hunger hat und auf eine relativ ungeschützte Herde stösst, haben wir den gleichen Erfolg wie beim Wolf. Hier hören wir wenig vom Luchs, aber seine Präsenz ist bekannt. Im Naturschutzgebiet Bayrischer Wald sowie im Harz und in der Eifel werden Luchse wieder angesiedelt. Es ist kein Vergleich mit Wölfen, die sich selber verbreiten, das schafft der Luchs nicht ... nur warum schafft es fast kein Tier aus dem Naturschutzgebiet heraus? Er steht doch auch im Jagdschutz!!!

(Das Interview mit Ralf Scholz wurde Online geführt - vielen Dank dafür!).

Nach den Aussagen von Ralf Scholz scheint es mir eher so zu sein, daß der Wolf ein Problem hat und durch uns Menschen bedroht wird, und nicht umgekehrt. Ich muß an das Lied „Farbenspiel des Windes“ aus Pocahontas denken. Zwar sollte man wilde Tiere nicht zu romantisch betrachten, aber sie gehören zu unserer Welt dazu. Als Stadtmenschen, die vor Bildschirmen sitzen, haben die meisten von uns vielleicht verlernt, sie zu verstehen., „Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt“ sagt Pocahontas zu ihrem bewaffneten Englischen Gast, als dieser ohne zu nachdenken auf Wildtiere schießen möchte. Bevor wir urteilen sollten wir genau hinschauen - und es kann nicht schaden, Leute zu fragen, die sich wirklich auskennen. 

Fortsetzung folgt...

Siehe auch meinen Kommentar Wölfe in Westfalen - Problem oder Bereicherung?
sowie den den Artikel "Wölfe in NRW: Angst, Unwissen, Panikmache - und ein gehöriger Schuß Ideologie", beide hier auf Lokalkompass.de.

Quellenangaben:


Titelstory in den Ruhr-Nachrichten „Der Wolf wird zur Gefahr“ v. 03.02.2018



https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Cuxhaven-Fuehrungslose-Jungwoelfe-haben-sich-auf-Nutzvieh-spezialisiert-8788922.html



http://wolfsmonitor.de/?p=11829#more-11829



http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/entnahme-der-wolfsrudel-in-barnstorf-goldenstedt-und-cuxhaven-160311.html


Online-Interview von Sophie Thiesen mit Ralf Scholz, NABU Wolfsberater für den Regierungsbezirk Arnsberg am 03.02.2018

Persönliches Interview von Sophie und Stefan Thiesen mit Jos de Bruin bei „wolf-auffang.de“ in Sonsbeck am 04.02.2018

Hucht Kiorga, Ingrid und Kaise, Matthias: Wolfsmanagementplan für Nordrhein Westfalen, Natur in NRW 2/16

Reinhardt, Ilka und Luth, Gesa: Leben mit Wölfen – Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland, Bundesamt für Naturschutz, 2007


Autor:

Sophie Thiesen aus Selm

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