Kirchenfenster als Puzzle

Günter Pohl in seiner Werkstatt mit dem zerlegten Kirchenfenster von St. Mauritius. Foto: Pielorz
10Bilder
  • Günter Pohl in seiner Werkstatt mit dem zerlegten Kirchenfenster von St. Mauritius. Foto: Pielorz
  • hochgeladen von Dr. Anja Pielorz

Noch bis zum Frühjahr 2017 werden die Kirchenfenster von St. Mauritius in Niederwenigern restauriert. Der Ausbau der Fenster ist notwendig, weil die Steinmetze in umfangreichen Arbeiten den Stein an der Kirche austauschen müssen. Im Zusammenhang dieser Arbeiten müssen zum einen die Fenster geschützt, zum anderen aber auch die ein oder andere Ausbesserung vorgenommen werden. Diese Arbeiten führt Kunstglaser Günter Pohl aus Sprockhövel durch, der auch schon umfangreiche Arbeiten von 2004 bis 2007 an den Kirchenfenstern von St. Georg durchgeführt hat. Er gehört zu den wenigen Kunstglasern in Deutschland.

Nur noch drei oder vier größere Kunstglasbetriebe gibt es in Deutschland. Hinzu kommen einige selbständige Meister wie Günter Pohl, die ihr Handwerk in einer Kunstglaserei gelernt haben und die alte Handwerkskunst bewahren wollen. Der 51jährige hat 1988 eine Lehre in Münster absolviert und 1996 seine Meisterprüfung abgelegt. Gerade weil der Beruf so selten ist, verbindet sich die Ausbildung mit der eines Glasers. Auch Günter Pohl baut selbstverständlich normale Fenster ein und weiß, wie man eine Schaufensterscheibe zuschneidet. Doch die Kür und seine Leidenschaft ist das Bewahren des Alten, das Restaurieren und hier sind es vor allem Kirchenfenster, aber auch Wappenanfertigungen oder Arbeiten an denkmalgeschützten Objekten, die ihn begeistern.
Deshalb gehören zu seiner Ausbildung auch Heraldik (Wappenkunde), Baugeschichte, Maßwerk (filigrane Arbeit von Steinmetzen als geometrisches Muster), Zuschneiden, Kenntnisse über Blei und Glassorten, Restaurationsarbeit und Malerei. „In St. Mauritius wurde das Maßwerk aus Tuffstein gefertigt. Das muss man sich vorstellen wie Ton, so bröselig ist das Material. Jetzt wird es ausgetauscht und erneuert. Zum Schutz der Fenster müssen diese ausgebaut und dann eben auch in Teilen restauriert werden“, erklärt Günter Pohl. Schwindelfrei muss er auf jeden Fall sein, denn dafür muss er sowohl von innen als auch von außen auf meterhohe Gerüste klettern. Dann werden die Fenster vorsichtig ausgeschlagen und in die Werkstatt gebracht. Die einzelnen Fensterscheiben sind dabei numeriert, denn sie müssen später wie in einem Puzzle genauso wieder zusammengesetzt werden. Und es darf auch nichts kaputt gehen. „Aus jahrelanger Berufserfahrung weiß ich aber, wie ich ein Fenster anfassen muss, damit genau das nicht passiert.“

Bewahren des Alten

Licht ist bei der Arbeit des Kunstglasers ein wichtiger Faktor. Deshalb wird das Glas auf einen spezielle Lichtstaffel gelegt. „Ich kaufe sowohl verschieden farbiges Glas als auch Blei. Ich fertige Schablonen an und schneide das Glas entsprechend zu. Seit über 1000 Jahren gibt es die Schwarzlot-Malerei, mit deren Hilfe man auf das Glas malen kann. Auf diese Weise entstanden beispielsweise im Mittelalter relativ abstrakte Gesichter. Im 19. Jahrhundert malte man sehr fotografisch und detailliert. Wenn man etwas restaurieren möchte, muss man die Merkmale der einzelnen Epochen kennen, um sie genau umsetzen zu können. Neben der Schwarzlot-Malerei gibt es auch noch die Silbergelb-Malerei, die aber erst seit dem 19. Jahrhundert angewandt wird. Die Farben sind Schmelzfarben. Sie werden nach dem Auftragen im Ofen bei 650 Grad Schmelztemperatur gebrannt. Dann sind sie haltbar.“
Pohl arbeitet überwiegend in Nordrhein-Westfalen, war aber auch an der Renovierung der Kathedrale zu Canterbury beteiligt. „Eine Ausnahme sind Aufträge von Privatkunden wie zum Beispiel ein Wappen aus Glas herzustellen. Häufiger kommt es vor, Bleiverglasungen in alten Wohnhäusern zu ersetzen. Au energetischen Gründen möchte man sie entweder komplett tauschen oder zumindest eine zusätzliche Scheibe einsetzen. Die zusätzliche Scheibe wurde beispielsweise von mir auch in alle Kirchenfenster von St. Georg eingesetzt. Hier lagen die Gründe im Vandalismus, denn es gab öfter Ärger mit Steinwürfen. Diese Fenster halten die Steinwürfe jetzt ab und schützen auf diese Weise die Kirchenfenster.“ Je älter diese sind, desto wertvoller sind sie auch.
Fast schien der Beruf des Kunstglasers schon ausgestorben. „Die Blütezeit für Kirchenfenster lag zwischen dem 11. Und 14. Jahrhundert. Danach wurden erst wieder im 19. Jahrhundert Kirchen gebaut. Und sind die Fenster einmal restauriert, dann halten sie natürlich auch eine gewisse Zeit. So ist mein Handwerk selten geworden und die Branche sehr überschaubar. Aber es ist ein toller Beruf.“ Der allerdings auch körperlich sehr anstrengend ist. Übrigens: Kirchenfenster hätten ihn schon als Jugendlichen fasziniert. „Aber es war überhaupt nicht klar, dass ich einen solchen Beruf ergreifen würde. Mich begeistert es aber an Dingen zu deren Erhalt zu arbeiten, die von Menschen geschaffen wurden, die schon lange verstorben sind.“
Die Arbeitstechniken sind seit Jahrhunderten gleichbleibend. „Aber man hat natürlich mehr Unterstützung durch die Technik“, sagt Pohl und verweist auf den Brennofen, an dem man heute genau die Temperatur einstellen kann, während das Ergebnis früher auf der Einschätzung durch den Ofenmeister beruhte.
Bei seiner Arbeit bekommt Günter Pohl oft einen ganz speziellen Blick auf die Werke der früheren Künstler. In seiner Werkstatt liegen zur Zeit die Kirchenfenster von St. Mauritius, die normalerweise sechs bis acht Meter hoch in der Kirche zu finden sind. Eine Perspektive, die den meisten Menschen nicht vergönnt ist.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

11 folgen diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.