Ach, wie war es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem

„Karlchen??? Karl?? KAHARL!!!!!! Wo steckst du denn?“ Karlchen Legerfald verzog schmerzlich das Gesicht. Musste Rosalinde immer so kreischen? Er hätte beim Heimkommen nicht so mit der Tür knallen sollen, dann hätte sie ihn gar nicht bemerkt und er hätte seine Ruhe! Ach was, er würde einfach so tun, als wäre er nicht da.

Zu spät! Sie rauschte bereits ins Zimmer. „Sag mal, sitzt du auf den Ohren? Ich schrei mir die Lunge aus dem Hals und der werte Herr befindet es noch nicht mal für notwendig, zu antworten. Was für ein Benehmen. Tja, man sollte eben nicht unter seinem Stand heiraten. Meine Mutter hat mich ja gleich gewarnt! Aber ich konnte ja nicht hören. Das hab ich nun davon!“

Karlchen ließ ihre Tirade mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Ihr Gekeife ging ihm aber so was von am Arsch vorbei. Sollte doch froh sein, dass überhaupt jemand sie genommen hatte, die olle Usselsprumm! Außerdem hatte er ganz andere Sorgen. „Sag mal, Karl, was wollte Erdal denn von dir? Warum hat er dich denn so eilig aufs Schloss beordert? Hast du vielleicht wieder 7 Riesen erledigt?“ Geflissentlich überhörte er die beißende Ironie in ihren Worten. Das hörte er sich jetzt schon während seiner ganzen Ehe an. Dabei hatte er niemals von 7 Riesen gesprochen. War es seine Schuld, dass alle hier so eine ausschweifende Phantasie hatten?

„Lass mich in Ruhe, das geht dich gar nix an!“ fauchte er seine Gattin an. „Pah... dann leck mich doch!“ keifte Rosalinde und verließ, nun ihrerseits türenknallend, den Raum. Erleichtert ließ Karlchen sich auf das Sofa sinken. Was für ein Tag! Er hatte ja gleich ein ungutes Gefühl gehabt, als Erdal ihn so plötzlich ins Schloss zitierte. Hätte er allerdings gewusst, was ihn erwartet, dann wäre er wohl ausgewandert. Ein Tsunami war nix gegen die Flutwelle, die ihn gerade überrollt hatte. Oh Mann, hätte er doch diesen blöden Wettbewerb nicht gestartet. War schon an sich eine Schwachsinnsidee gewesen, aber welcher Teufel hatte ihn geritten, zur Krönung des Ganzen auch noch diesen geistigen Tiefflieger Pieter Dohlen als Juroren zu wählen? Na ja, es gibt eben Tage, da verliert man!

Seufzend lehnte Karlchen sich in die Polster zurück. Das heißt: er wollte sich zurücklehnen, aber irgendwas bohrte sich unangenehm schmerzend in seinen Rücken. Er griff hinter sich und beförderte einen von Rosalindes Stöckelschuhen ans Tageslicht. Überhaupt, wie es in der Bude wieder aussah! Wie bei Hempels hinter dem Sofa! Seine Gattin war nun mal keine begnadete Hausfrau, leider. Früher war das ja noch anders gewesen.

Damals lebten die Heinzelmännchen noch im Märchenland und erledigten des Nachts alle unangenehmen Arbeiten für die Bewohner. Das waren noch Zeiten! Abends legte man Stoff und Schnittmuster hin und morgens fand man die fertig genähte Robe. Und alles für Nöppes! Okay, ab und zu stellte man ihnen einen kleinen Imbiss hin, aber was war das schon? Für die Lohnkosten, die man dadurch sparte, hätte man ihnen auch jeden Abend ein Buffet aufbauen können.

Eigentlich waren sie ja aus dem Menschenreich hier eingewandert. Aus Köln, um genau zu sein. Aber irgendwann war ihnen der Kölsche Klüngel und der Kölsche Karneval so auf den Keks gegangen, dass sie sich ins Märchenland abgesetzt hatten. Superfleißig waren die Burschen. Kochen, putzen, nähen... egal, was getan werden musste, sie taten es. Die einzige Bedingung war, dass niemand sie je zu Gesicht bekommen sollte. Sie wollten einfach ihre Ruhe haben. Erdal hatte ihnen das vertraglich zugesichert und so blieben sie halt da. Tja, und sie wären wohl auch heute noch da, wenn die Weiber nicht so neugierig gewesen wären.

Allen voran seine Angetraute und Mathilde, Erdals Mutter. Es ließ ihnen einfach keine Ruhe, dass sie nicht wussten, wie diese Wichtel aussahen. Konnte ihnen doch egal sein – aber nein! Die Neugier fraß sie fast auf! Leider nur fast! Wär zu schön gewesen, wenn so was funktionierte, dann hätte er jetzt ein großes Problem weniger. Und Erdal würde seine gestörte Mutter wahrscheinlich auch nicht sehr vermissen!

Wie dem auch sei! Es hatte den beiden Tussen jedenfalls keine Ruhe gelassen. Nacht für Nacht hatten sie sich auf die Lauer gelegt, um endlich mal einen Blick auf die kleinen Männlein werfen zu können. Aber regelmäßig kurz vor Mitternacht pennten sie ein und schnarchten harmonisch im Duett. Bis Mathilde eines Tages auf die „geniale“ Idee kam, Erbsen auszustreuen. Tja.. das wirkte leider! Es gab ein Riesengepolter, als die Heinzelmännchen über die Hülsenfrüchte kullerten. Angeblich sollen sie nachher so stinksauer gewesen sein, dass sie sofort ihre sieben Zwetschgen packten und sich auf den Rückweg nach Köln machten.

Karlchen jedoch wusste es besser! Hatte er doch einen Streit zwischen Mathilde und Rosalinde belauscht. Du lieber Himmel, was hatten die sich angekeift. Rosalinde war an dem Tag sowieso schon geladen, weil er ihr mal wieder Vorhaltungen über den versifften Haushalt gemacht hatte. Wenn sie die fleißigen Helfer schon vertrieb, dann sollte sie wenigstens mal selber ein bisschen was tun. War er denn bekloppt, sein sauer verdientes Geld für eine Putzfrau auszugeben? Na ja, jedenfalls erschien an diesem Tag auch noch Mathilde zu einem unangemeldeten Besuch und mokierte sich ebenfalls über die Unordnung.

Da kam sie Rosalinde aber gerade richtig auf den Kaffee!!!! „Du bist doch schuld daran, du durchgedrehte Alte! Nur weil bei dir der sexuelle Notstand ausgebrochen ist und du unbedingt jemand fürs Bett haben wolltest.“ Karlchen glaubte erst, sich verhört zu haben. Jemand fürs Bett? Diese alte Schachtel? Die war doch schon längst jenseits von Gut und Böse, hatte er immer angenommen.

War scheinbar ein Irrtum! Wie es aussah, waren die Heinzelmännchen gar nicht deswegen abgehauen, weil jemand sie gesehen hatte. Nein! So, wie Karlchen es mitbekam, wären sie bereit gewesen, zu bleiben. Wenn die Frauen sich entschuldigt und versprochen hätten, dass es nicht wieder vorkommt. Aber Tilla konnte sich wohl nicht beherrschen und baggerte den stattlichsten von ihnen an. Schmiss sich an ihn ran, flüsterte ihm Dinge ins Ohr, die ihm die Schamesröte ins Gesicht trieben – und zu allem Überfluss berührte sie ihn auch noch unsittlich.

Das war es dann, was dem Fass die Krone ins Gesicht schlug. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – das lassen sich nicht einmal die Heinzelmännchen gefallen. Und so hatte es ein Ende, mit dem bequemen Leben im Märchenland. Nur weil diese alte Schabracke ihre Libido nicht unter Kontrolle hatte, konnten die Leute ihre niederen Arbeiten wieder selbst verrichten. Oder für teures Geld Bedienstete einstellen.

Aber da hatte Rosalinde sich geschnitten! Bei ihm nicht! Königstochter hin oder her – sie war mit Schuld daran, also sollte sie auch den Dreck in Zukunft selbst wegmachen. Wär nur schön, wenn sie es auch mal täte! Karlchen seufzte. Ihre Wohnung sah mittlerweile aus, wie das Menschenreich nach dem Verdi-Streik! Trotzdem! Er würde nicht nachgeben! Er nicht!

Erdal hatte ja noch mal versucht, die Heinzelmännchen zurückzuholen, hatte aber leider nicht geklappt. Die jungen Herren waren nämlich inzwischen der Meinung, dass sie auch noch etwas anderes könnten, als für andere Leute zu putzen und zu kochen. Die Klügeren von ihnen hatten Jura studiert, die weniger Begabten eine Ausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen gemacht. Schließlich wollten sie ja auch weiterhin zusammen arbeiten. Und sie hatten Glück. Sie fanden nämlich eine total überarbeitete Anwältin, die dringend Verstärkung für ihre Kanzlei suchte.

Tja, und seitdem gibt es irgendwo am Niederrhein eine Kanzlei mit dem schönen Namen: K. Wil.. – Heinzel und Männchen!

(Für eine liebe, aber völlig überarbeitete Freundin, die sich dringendst ein paar Heinzelmännchen wünscht.)

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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