Familienalbum

Kennengelernt haben sie sich am Rosenmontag des Jahres 1952 in Düsseldorf. Weil ihr Kavalier ihr ständig auf die Füße trat, forderte meine Mutter bei der nächsten Damenwahl einen jungen Mann auf, der ihr als guter Tänzer aufgefallen war.

Dieser junge Mann sollte mein Vater werden. Aber bis dahin vergingen noch ein paar Jahre.

Zunächst einmal verliebten sie sich und weil das nicht ohne Folgen blieb, heirateten sie. Im April 1953 standesamtlich. Die kirchliche Trauung folgte im Mai

– und im Juli 1953 kam meine älteste Schwester zur Welt. Nein, Sie brauchen nicht nachzurechnen, es war keine Frühgeburt!

Noch lebte die frischgebackene Familie bei den Eltern des jungen Vaters. Da das Zusammenleben aber nicht besonders harmonisch war, musste eine andere Lösung her. In einer nahegelegenen Laubenkolonie erhielten sie eine Parzelle, auf der auch ein kleines Häuschen gebaut werden durfte. Mein Vater machte sich sogleich an die Arbeit.

Aber ein wenig Freizeit schien doch noch übrig gewesen zu sein, denn genau ein Jahr und drei Tage nach der ersten Tochter kam die zweite zur Welt. Das Häuschen war auch fertig und einem harmonischen Familienleben stand nichts mehr im Wege. Zumal in der Nachbarschaft auch noch eine liebevolle Ersatzoma gefunden wurde, die sowohl die junge Frau als auch die beiden kleinen Würmchen für das weiterhin etwas unterkühlte Verhältnis zu den, gar nicht so begeisterten, Großeltern entschädigte.

Fehlte nur noch der Stammhalter. Doch auch diesem Mangel wurde abgeholfen und im Mai 1956 schrie ein strammer Junge erstmals was die Lunge hergab. Die jungen Eltern platzten vor Stolz und die gute „Tante Schwarz“ hatte in ihren Armen genug Platz. Der reichte auch für drei so kleine Stöpsel.

Ein kleines Häuschen, drei Kinder – dazu noch Hühner

und Kaninchen..

mehr brauchte man nicht. Damit schien das Familienglück komplett zu sein. Es schien jedoch nur so, wie meine Mutter irgendwann im Frühjahr 1957 feststellen musste. Auch, wenn meine Geschwister später im Streit oft meinten, das (mich) hätten meine Eltern sich besser sparen sollen, habe ich meine Geburt am Weltspartag niemals damit in kausalen Zusammenhang gebracht.

Nun war aber die Familienplanung wirklich abgeschlossen. Wenn meine Mutter sich auch gern mit dem reizenden Nachwuchs ablichten ließ – vier Kinder reichten ihr! Da konnten es noch so niedliche Blondschöpfe sein!

Die oben erwähnten Kaninchen zählten bei uns nicht zu den Hausgenossen, sondern zu den Nahrungsmitteln. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – ließen mein Bruder und ich es uns nicht nehmen, einigen der möglichen Todeskandidaten wenigstens ein paar Streicheleinheiten und Leckereien zu spendieren.

Fernsehen gab es damals noch längst nicht in jedem Haushalt. Allerdings war es früher schon so, dass gerade die einen hatten, die sich eigentlich keinen leisten konnten. Wir hatten keinen. Meine Mutter war schon seit jeher der Meinung, dass man nur das kaufen sollte, was man auch bezahlen konnte. Und wenn sich eine Anschaffung auf Raten partout nicht vermeiden ließ, dann nur äußerst ungern und nicht für so einen Schnickschnack!

Aber ein Radio besaßen wir. Und einen Plattenspieler. Am Tage durften wir dann manchmal die Kinderstunde hören – und abends wurde eine Märchenplatte aufgelegt. Wir saßen auf der Sofalehne und hörten gebannt zu, wenn Rotkäppchen und Co. plötzlich Stimmen bekamen.

Zumindest meine Schwestern und ich. Mein Bruder weilte währenddessen meist schon im Reich der Träume. Alle Versuche, ihn wachzubekommen, waren zum Scheitern verurteilt. Vielleicht hätte es funktioniert, wenn ich ihm sein Lieblingsauto gemopst hätte – ein Griff durch das Gitter und es wäre meins gewesen. Doch ein gesunder Selbsterhaltungstrieb ließ mich von diesem Vorhaben Abstand nehmen. Große Brüder können nämlich ganz schön fies werden! Selbst wenn sie im Schlaf noch so harmlos aussehen!

An dieser Stelle klappe ich mein Familienalbum zu. Dem einen oder anderen hat es vielleicht gefallen. Und wenn nicht… mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, in alten Erinnerungen und Fotos zu wühlen.

Ich widme diesen Ausflug in ein kleines Stück Vergangenheit meinen Eltern, die uns zwar keine Reichtümer, aber eine behütete und glücklichen Kindheit gegeben haben.

Vielen Dank dafür!

©Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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