Berufsstand in Gefahr: Unnaer Hebamme befürchtet Geburten wie am Fließband

In Dortmund demonstrierten auch die Unnaer Hebammen für ihren Berufsstand. | Foto: Günther Schmitz
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Noch vor 100 Jahren war alles ganz einfach: Wurde eine Frau schwanger, ging sie zur nächsten Hebamme. Die Geburt erfolgte in den eigenen vier Wänden mit tatkräftiger Hilfe durch die vertraute Hebamme. Dieses jahrhundertelang gültige Bild hat sich inzwischen komplett gewandelt. Heute kämpft der Berufsstand um sein Überleben.

Was den Hebammen dabei zu schaffen macht, ist nicht die fehlende Kundschaft. Im Gegenteil, die Nachfrage nach der Hilfe durch Hebammen bei Schwangerschaft und Geburt ist steigend. Vielmehr droht das Aus vorrangig durch die Weigerung der Versicherer, die Haftpflichtversicherung zu übernehmen.

Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Arbeitet eine Hebamme freiberuflich – und das tun in Deutschland rund 16.000 Frauen – muss sie eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Damit sollen auch die Folgekosten durch Geburtsschäden abgedeckt werden.

Dabei gibt es nicht mehr Geburtsschäden als früher, wie der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) mitteilt. Aber: Behandlung und Pflege nach Komplikationen werden aufgrund des medizinischen Fortschritts immer vielfältiger. Von 2003 bis 2012 sind die Kosten für schwere Geburtsschäden um fast 80 Prozent gestiegen und erreichen schnell Millionenwerte.

Dadurch sind Hebammen in den vergangenen Jahren zu einem immer größeren Risiko für die Versicherer geworden. Die haben sich inzwischen zusammengeschlossen, um das finanzielle Risiko „Hebammen“ auf mehrere Schultern zu verteilen. Doch nun verlassen immer mehr Versicherungen diese Konsortien. Zuletzt hat die Nürnberger Versicherung angekündigt, ab dem 1. Juli 2015 keine Hebammen mehr zu versichern. „Das kommt einem Berufsverbot gleich“, empört sich Ulla Kayser, die als Hebamme vor rund 30 Jahren das Unnaer Zentrum für Geburt mitaufgebaut hat. Denn ohne Versicherung darf eine Hebamme keine Geburtshilfe leisten.

Hebammen werden zu Wellness-Coaches

In der Konsequenz haben bereits viele Hebammen aufgehört, Geburtshilfe zu leisten. Sie bieten Wellness für Schwangere, Fitness für Mütter oder andere „risikoarme“ Leistungen an. So gibt es auch weiterhin Hebammen – doch mit einem grundsätzlich geänderten Berufsbild.

Auch für angestellte Hebammen, zum Beispiel in Krankenhäusern, verschärft sich das Problem zusehends. Wie auch die Situation für Gynäkologen immer enger wird, die Geburtshilfe leisten. Auch sie haben enorm erhöhte Versicherungsbeiträge zu leisten. Im Umkehrschluss wollen immer weniger Gynäkologen in der teuren Geburtshilfe tätig sein.

Doch wie soll das Problem grundsätzlich gelöst werden? „Der Hebammenverband fordert eine Neustrukturierung der Haftpflichtversicherung mit einer Haftungsobergrenze für Hebammen“, erläutert Ulrike Linnemann, die stellvertretende Kreisverbandsvorsitzende der Hebammen ist. Für Zahlungen, die über diese Grenze hinaus gehen, soll der Steuerzahler oder die Sozialversicherung aufkommen. Und an dieser Stelle ist die Politik gefordert.
Doch abgesehen von Betroffenheitsbekundungen und Absichtserklärungen ist zu diesem Thema noch nicht allzu viel geschehen. Immerhin treffen sich inzwischen Vertreter der fachlich betroffenen Landesministerien mit Vertretern der entsprechenden Berufsverbände und weiterer Organisationen zu einem „Runden Tisch Geburtshilfe NRW“.

Wird keine Lösung gefunden, bedeutet das nicht nur das Aus für einen ganzen Berufsstand, vor allem geht den Frauen die Wahlfreiheit verloren, wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten“, stellt Ulla Kayser klar. Noch kann eine Frau wählen, ob sie eine Hausgeburt möchte, ein Geburtshaus aufsuchen oder aber in einer Klinik entbinden möchte. Diese Möglichkeiten entfielen dann. „Und auf die Kliniken bzw. die Klinikärzte würden mehr Geburten zukommen“, so Ulla Kayser. Geburten wie am Fließband mit einem hohen Einsatz von Medikamenten oder gar OPs könnten die Folge sein.

So muss die Politik – am besten auf Bundesebene – eine Lösung finden – und das noch dieses Jahr. Denn wer im Herbst schwanger wird, muss sich darauf verlassen, dass seine Hebamme auch über den Sommer 2015 hinaus versichert ist und damit arbeiten darf. Und tatsächlich scheint es Hoffnung zu geben. „Es wird auf jeden Fall eine Lösung geben“, verspricht Kathrin Jarosch vom Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV), „denn wir wollen auch weiter für die Hebammen da sein.“

Wie genau aber diese Lösung aussehen soll – dazu wollte sich Kathrin Jarosch nicht äußern. Es bleibt also spannend.

Autor:

Elke Böinghoff aus Unna

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