Gedenkfeier zum Volkstrauertag 2016 auf dem Friedhof Obermassen

Dietmar Wünnemann (1. Vorsitzender des Schützenvereins Massen 1830 e.V.  und Dr. Peter Kracht (Ortsvorsteher)
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  • Dietmar Wünnemann (1. Vorsitzender des Schützenvereins Massen 1830 e.V. und Dr. Peter Kracht (Ortsvorsteher)
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Sonntag, 13. November 2016 I 11:00 Uhr

Von der Varusschlacht bis zum aktuellen Zeitgeschehen

alles war in in der Gedenkrede unseres Ortsvorstehers Dr. Peter Kracht dabei.

Der Schützenverein Massen 1830 e.V. mit dem 1. Vorsitzenden Dietmar Wünnemann, die Freiwillige Feuerwehr der Löschgruppe Massen mit Löschgruppenführer Bernd Tepe und einer Jugendabordnung, der Massener Bürgerhausverein mit dem Vorsitzenden Helmut Tewes, Vertreter aus den Kirchen, der Politk und viele Massener Bürger hatten sich auf den Weg zum Obermassener Friedhof gemacht. Musikalisch begleitet wurde diese Gedenkstunde durch die Musikfreunde Hellweg mit ihrem Dirigenten Jörg Budde.

Rede von Ortsvorsteher Dr. Peter Kracht
Liebe Massener Mitbürgerinnen und Mitbürger,
im Archäologischen Park Kalkriese, dem vermeintlichen Ort der oft zitierten Varusschlacht zwischen Römern und Germanen des Jahres 9 n. Chr., gibt es einen unscheinbaren Pavillon, einen Ort des Erinnerns. Der Pavillon wurde dort 2000 Jahre nach der Varusschlacht eröffnet. Er soll nicht nur an die womöglich mehr als 10.000 Opfer jener weltgeschichtlich bedeutsamen Schlacht erinnern, er soll vielmehr auch das Bewusstsein der Besucher schärfen, nämlich dafür, dass Frieden in Deutschland, in Europa, in der Welt nicht nur ein hohes Gut, sondern das höchste Gut überhaupt ist. Ohne Frieden gibt es kein menschenwürdiges Leben und keine Kultur, die diesen Namen verdient. Der Frieden ist der Schlüssel des Lebens - hier bei uns wie anderswo auf der Welt.

Der Pavillon des Erinnerns ist kein besonderes architektonisches Highlight
Aber eine kleine Tafel am Eingang lässt so manchen Besucher inne halten, denn die knappe Botschaft, die dort steht, überrascht selbst diejenigen, die sicher sind, auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, per Fernsehen und Internet so informiert zu sein, dass sie gut Bescheid wissen, was in der Nähe und in der Ferne, in Massen, in Westfalen, in Deutschland und weltweit passiert.
Doch der kurze Text auf der Tafel hat selbst mich als Historiker überrascht und sehr nachdenklich gestimmt, weil wir doch nicht alles mitbekommen - oder es, weil weit entfernt, weitab in einer Ecke unseres Gedächtnisses ablegen und es nach und nach vergessen.
Auf dieser kleinen Tafel steht: „Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es auf der Welt 43 Tage Frieden.“. Seit der Aufstellung der kleinen Tafel sind gut sieben Jahre vergangen. Ich habe die Befürchtung, dass es nicht viele Tage mehr geworden sind, die die Welt seither in Frieden verbracht hat und die zu den 43 genannten Tagen hinzuaddiert werden können. Die Zahl 100 dürfte noch lange nicht erreicht sein.

Am heutigen Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Krieg, Terror, und Gewaltherrschaft
Auch in diesem Jahr bewegen uns schreckliche Attentate religiöser Fanatiker und Irregeleiteter, deren wahnwitziges Motiv darin besteht, Andersgläubige auf brutale Weise umzubringen und einen eigenen Gottesstaat zu etablieren. Auch an anderen Orten der Welt gerät die Ordnung durcheinander, Volksstämme und Völkergruppen ziehen gegeneinander in die Schlacht.
Die Gründe sind verschiedenen, doch in vielen Fällen erkennt der Historiker Parallelen zur einstigen Erbfeindschaft mit Frankreich, die zum Glück heute Vergangenheit ist. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle haben die Weichen gestellt, Helmut Kohl und Francois Mitterrand haben im September 1984 mit ihrem Erinnern Hand in Hand über den Gräbern von Verdun die deutsch-französische Freundschaft dauerhaft besiegelt.

In der Schlacht um Verdun starben 1916 mehr als 300.000 Soldaten
Da man nach dem Ende des Krieges die Gebeine von über 130.000 Toten nicht mehr nach Person oder Nationalität identifizieren konnte, vereinigte man sie im Gebeinhaus zu Douaumont. Der bekannte Journalist Ulrich Wickert war bei dem Treffen 1984 dabei. Er verfasste dazu 25 Jahre später in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Gastbeitrag: „.Da stehen an diesem Samstagnachmittag (im September 1984) der Franzose, der im Zweiten Weltkrieg kämpfte, und der Deutsche, der seinen älteren Bruder in diesem Krieg verlor, inmitten von Kreuzen vor dem Gebeinhaus. Höhepunkt ist ihr stummes Verweilen vor dem mit Fahnen beider Länder bedeckten Sarg. Es ist kalt. Sie tragen Wintermäntel…
In die Stille hinein ertönt der langgezogene Ton der Trompete. Wer jetzt hier steht, den bedrückt allein das Wissen um den Wahnsinn der Menschen, die sich hier gemordet haben. Meist junge Männer um die zwanzig. Ganze Dörfer sind in Frankreich ausgestorben, weil die Mädchen wegzogen, nachdem die Männer nicht zurückkamen. Mit jedem Ton, den die Trompete zur Klage formt, steigt das Gefühl der Hilflosigkeit. Und der Einsamkeit. Jeder schaut in sich hinein. Auch ich achtete auf den Trompeter und habe die Bewegung der Hände zueinander nicht gesehen.
Später fragte ich Francois Mitterrand, wer von beiden die symbolische Geste initiiert habe. Mitterrand antwortete, er habe plötzlich das Bedürfnis gespürt, aus seiner Vereinsamung herauszutreten und mit einer Geste Helmut Kohl zu erreichen. Da habe er seine Hand ausgestreckt, und Kohl habe sie ergriffen. Helmut Kohl hat mir dies später bestätigt. Der deutsche Kanzler war erleichtert über die Geste Mitterrands. Mitterrand, der seine Gefühle stets für sich bewahrte, blickte trotz seiner Gebärde weiter in sich hinein, während Helmut Kohl in diesem beklemmenden Augenblick erleichtert zu dem Franzosen hinüberschaute, dankbar für diesen scheinbar kleinen Ausdruck von Menschlichkeit.“

Als ich im ersten Semester an der damals noch jungen Ruhr-Universität begann, Geschichte zu studieren, haben wir uns im Seminar die gar nicht so einfache Frage gestellt: „Kann man aus der Geschichte lernen?“ Wir alle waren der Meinung: JA!! Doch lernt der Mensch wirklich oder verweigern sich die herrschenden Klassen des Öfteren oder besser zu oft des Wissens aus der Geschichte?
Ich habe heftige Zweifel, dass Wissen aus der Geschichte überhaupt erwünscht ist. So lässt sich etwa der führende Politiker eines NATO-Landes, das auf zwei Kontinenten liegt und Mitglied der Europäischen Union werden möchte, folgendermaßen zitieren: „Es kümmert mich überhaupt nicht, ob sie mich einen Diktator oder Ähnliches nennen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.“ Das muss man erst einmal verarbeiten! Wir haben das Jahr 2016! Klingt das irgendwie demokratisch oder erinnert das doch eher an unselige Zeiten hier in Deutschland?

Die Welt kommt nicht zur Ruhe
In Afrika, Asien und im Nahen Osten toben Kriege weiter, sterben hunderte, ja tausende Menschen. Sie erleiden Not und Vertreibung, machen sich auf den Weg nach Europa. Ob sie ankommen ist ungewiss. Fast jeden Tag lesen wir von Flüchtlingsbooten, die im Mittelmeer kentern oder sogar von Schleusern vorsätzlich versenkt werden.
Volkstrauertag heißt daher auch und gerade heute, die Frage zu stellen, was können wir tun? Was muss sich ändern, damit der Teufelskreis aus Armut und Hunger, kriegerischer Auseinandersetzung und Terrorismus ein Ende findet? In Zeiten der Globalisierung heißt das auch, dass unsere Verantwortung nicht auf nationale Grenzen beschränkt bleiben kann. Angesichts der Opfer ist es müßig, der Frage nachzugehen, wann und unter welchen Umständen ein Krieg gerecht oder ungerecht genannt werden darf. Auf diese Frage wussten schon die alten Römer keine rechte Antwort. Es kommt heute also mehr als je zuvor darauf an, jegliche kriegerische Auseinandersetzung mit den Mitteln der Politik im Keim zu ersticken.
Der Volkstrauertag ist keineswegs anonym. Es sind viele Namen, an die wir uns in dieser Stunde erinnern. Namen, die altbekannt sind, aber auch Namen, die wir nur vom Hörensagen kennen. Es gibt auch Namen, die nur wenige hier auf dem Friedhof in Obermassen kennen. Ein solcher Name ist Qualid Antabi, mein alter, fröhlicher Freund aus Damaskus in Syrien. Vor zwei Jahren hat er mir geschrieben: „Lieber Peter, es ist aktuell nicht eben rosig, in Damaskus zu leben. Aber ich hoffe, dass wir uns bald einmal wiedersehen werden - in Syrien oder in Deutschland oder wo du willst! Wenn der Flug zu teuer ist, komme ich auf einem Kamel angeritten.“ Seither habe ich von Qualid nichts mehr gehört - ich hoffe, dass er noch lebt, aber ich weiß es nicht und mache mir große Sorgen.

Liebe Massenerinnen und Massener, ein jüdisches Sprichwort sagt:
„Menschen, die man vergisst, sterben ein zweites Mal.“
Besser kann man den Sinn des heutigen Volkstrauertages nicht in einem Satz zusammenfassen, denn:
Die Erinnerung an die Toten wachzuhalten, ist zweifelsohne eine der vornehmsten Aufgaben der Lebenden.
Glück Auf!

Zum Abschluss
Vielen Dank, dass Sie heute so zahlreich hier zu unserer Gedenkfeier auf den Obermassener Friedhof gekommen sind, sagte der Dietmar Wünnemann der 1. Vorsitzende des Schützenvereins Massen 1830 e.V. und ich füge hier noch hinzu: Vielen Dank an unseren Ortsvorsteher Dr. Peter Kracht, der mir die Rede hier zu Veröffentlichung überlassen hat.

Fotos © Jürgen Thoms
14.11.16 07:20:47

Autor:

Jürgen Thoms aus Unna

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