Bahnhof Dinslaken: Keine Treppen-Helfer mehr?

Für Rolli-Fahrer reine Glücksache, wenn sie aufs Gleis zum Zug hochkommen: Hier helfen Fahrgäste dem städtischen  Kofferträger.
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  • Für Rolli-Fahrer reine Glücksache, wenn sie aufs Gleis zum Zug hochkommen: Hier helfen Fahrgäste dem städtischen Kofferträger.
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Realität überholt Satire: Stadtverwaltung Dinslaken versucht die Bahn zu übertreffen:

Ein regnerischer Abend, kurz vor 18 Uhr am „Bahnhof“ Dinslaken: Thomas Rauher hat die Abendschicht als „Kofferträger“ am Bahnhof, der diesen Namen nicht mehr trägt. Und auch nicht verdient.

Als Thomas Rauher die Lisa (Name von der Redaktion geändert) durch den Tunnel zur Treppe rollen sieht, ruft er: „Hallo Lisa, warte einen Moment, ich schau mal, wer uns helfen kann.“ Drei kräftige junge Fahrgäste sind spontan bereit, mit dem Thomas die Lisa in ihrem Rollstuhl zum Bahnsteig hoch zu tragen. Zu Viert schleppen sie mühevoll und vorsichtig die Gehandicapte volle 26 Stufen zum Gleis hinauf.

Dies in einer Stadt, die seit letzter Woche verstärkt die Region zum Shoppen auch per Nahverkehr einlädt! Aber seit einem Jahrhundert Bahnanschluss nicht mal einen Bahnhofslift hat. Wie ältere Einkäuferinnen ihre Tüten oder den belasteten Rollator in die Regionalbahn bekommen? Wie Mütter den Kinderwagen in den Zug nach Hause?

Die Jungs an diesem Abend wollten sich bescheiden eigentlich gar nicht beim Tragen fotografieren lassen. Denn sie halten das einfach für selbstverständlich. Was es nicht ist. Selbstverständlich wäre ein Lift zum Gleis in einer Stadt wie Dinslaken. Selbstverständlich wäre ein Service von 6 Uhr bis Mitternacht, wenn man sich schon von der Bahn auf der Nase rumtanzen lässt. Und nicht nur zu Bürozeiten.

Kein Einzelfall, sondern Alltag in Dinslaken:

Denn wie oft stand Lisa schon vor dem abgestuften Versagen von Politik und dem höhnischen Treppen-Witz der DB Regio. Und war heilfroh, wenn sich abends zumindest ein zufällig anwesender Helfer fand, der ihr wenigsten den leeren Rollstuhl hochtragen konnte. Während sich dann gleichzeitig die Behinderte Stufe für Stufe mit beiden Händen hoch stemmen muss, halb liegend, halb sitzend, halb rutschend, unzählige Male. Unwürdig für eine Stadt, die diesen Namen verdienen will. Unwürdig für die Deutsche Bahn. Und bei Regen ist die Treppe besonders schmutzig und glitschig.

Als die Jungs hören, dass nun auch noch die „Kofferträger“ zum Ende des Jahres ihren Job hier verlieren sollen, sind sie empört. Und sind nun bereit, sich doch beim Helfen fotografieren zu lassen. Um an diesem Beispiel von vielen auf den unwürdigen Zustand erneut hinweisen zu können, den sich die Deutsche Bahn hier leistet, den zu beenden unsere Politiker nicht schaffen.

Kein Fahrstuhl weit und breit in Sicht. Seit Jahren von der Deutschen Bahn der Stadt versprochen und immer wieder, immer weiter hinausgeschoben. Derzeit mindestens auf 2016 der „Bau-Beginn“.

Keine Kofferträger und kein Fahrstuhl

Was da noch fehlte, war ausgerechnet dann auch noch die gewohnt geschickt lapidare Mitteilung eines städtischen „Presseamtes“, die Kofferträger verlören zum Ende des Jahres ihren Job. Hallo? Ist dort jemand? Geht`s noch? Frohe Weihnachten! Guten Rutsch!

Die Meldung hätte heißen sollen:

Lisa und andere dürften künftig wieder auf den Händen rutschen, ältere Einkaufs-Interessenten oder Famlien-Besucher sollten besser aus dieser Stadt wegbleiben. Aufbruch in Dinslaken.

Thomas Rauher sagt es nicht, aber er bleibt oft freiwillig auch länger als seine Schicht es erlaubt. Besonders, wenn er zufällig weiß oder auch nur ahnt, dass Lisa oder andere hilfsbedürftige wohl noch kommen werden, wartet er eben unbezahlt, bis er sie mit Hilfe zahlender Bahnkunden sicher im Zug sitzen hat. Auch Michael Spangenberg und Dieter Maiwald, sie wechseln sich in drei Halbtags-Schichten von je nur vier bezahlten Stunden mit Thomas ab beim Tragen von Koffern, Fahrrädern, Kinderwagen oder Rollstühlen – kurz mit allem, was einen Bahnhof weltweit seit anderthalb Jahrhunderten ausmacht!:

Auch sie waren geschockt, als sie durch die Tagespresse von den Plänen der Stadtverwaltung erfuhren, den notdürftig eingerichteten Trage-Service am Bahnhof wieder einfach sang- und klanglos pünktlich am Nachmittag vor dem Jahreswechsel „auslaufen“ zu lassen.

Wie man das richtig macht?

Im nahen Oberhausen gibt es in Absprache von Stadt und der DB eine Telefon-Nummer für den Bereitschaftsdienst zur Einsteigehilfe – obwohl dies ein an frequentierteren Bahnsteigen längst fahrstuhlversorgter Bahnhof ist. Diesen Bereitschaftsdienst zur Einsteigehilfe kann man in Oberhausen erfolgreich von 6 Uhr früh bis Mitternacht anrufen. Die Telefonnummer steht im Netz bei bahn.de.
Für Dinslaken wurde eine solche Telefon-Nummer erst gar nicht bei der Bahn ins Netz gestellt. Weil die Stadtverwaltung wusste, dass die nur bis spätnachmittags bezahlten Tragehelfer vor der Kommunalwahl ohnehin nur zeitlich begrenzt eingerichtet wurden?

Seit der unglaublichen Verlautbarung der städtischen Pressestelle werden die Bahnhofsträger täglich von Reisenden angesprochen.

Viel Lob für Thomas Rauher & Co

Auch an diesem Abend gibt es Lob von einer älteren Dame, die auch mit Gehstock unterwegs ist und mir unaufgefordert von der besonderen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von Thomas Rauher erzählt: „Das kann doch einfach nicht wahr sein, dass eine Stadtverwaltung solch elementar wichtigen Helfern die Jobs wieder streicht. Anstatt sie auf die Zugverkehrszeiten auszuweiten.“

Es waren allein die Dinslakener Linken, die sich schon länger für eine feste Anstellung mit angemessener Bezahlung für die Kofferträger einsetzten, aber wer hört auf sie?

Was zudem bei der derzeitigen Haushaltslage der Stadt, folgt man formalen Kriterien, nicht so einfach durchzusetzen ist.

Dinslakens Grüne haben nun unter Federführung ihrer rührigen Ratsfrau Lilo Wallerich einen Antrag eingebracht, der den Trage-Service „zunächst einmal bis zu Errichtung des Fahrstuhl am Bahnhof“ sichern soll. Soll das heißen, also unbefristet, also bis in alle Ewigkeit? Welcher Rat könnte dies beschließen?

Lilo Wallerich, vorsichtig formulierend über den Skandal: „Ich habe im Hintergrund einige positive Signale aus den anderen Parteien auf unseren Antrag erhalten. Wer noch zögert, soll sich am Bahnhof einfach mal selbst ein Bild von der unerträglichen Situation machen. Menschen, die ohne Hilfe nicht mit ihrem Gepäck, Fahrrad, mit Rollator oder Rollstuhl über die Treppe nach oben auf den Bahnsteig oder herunter gelangen können. Wo bleibt die vielbeschworenen Barrierefreiheit hier in Dinslaken?“. Und vor allem, selbst wenn, wo bleibt sie, wenn die Träger Feierabend haben?

Wo blieb in den zurückliegenden Monaten die Rufnummer im Netz, um sich voranzumelden, wie in Oberhausen? (Text: Caro Dai).

Autor:

Lokalkompass Dinslaken-Voerde-Hünxe aus Dinslaken

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