Abgeschoben ins Ungewisse


Katja Lange-Müllers Roman "Drehtür"

"Irgendwann saß ich senkrecht in meinem Bett und dachte, was wäre eigentlich aus dir geworden, wenn du weiter im Krankenhaus gearbeitet hättest? Das war die Initialidee für das Buch", hatte die Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller in einem Interview über das Entstehen ihres neuen Romans berichtet.

Anfang der 1970er Jahre hatte die gelernte Schriftsetzerin als Hilfskrankenschwester in der geschlossenen Psychiatrie gearbeitet, und die Bewältigung ihres ersten Todesfalls während einer Nachschicht soll sie zum Schreiben gebracht haben. 1984 war Katja Lange-Müller, Tochter einer einflussreichen SED-Politikerin, in den Westen übergesiedelt, hatte zwei Jahre später den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten und gehört seitdem - trotz ihres nur schmalen Oeuvres - zu den renommiertesten deutschsprachigen Autorinnen.

Die Protagonistin Asta Arnold steht rauchend vor einer Drehtür am Münchner Flughafen. Sie ist gerade von einer großen Hilfsmission aus Managua zurückgekommen - desillusioniert, denn irgendwann war ihre Hilfe unerwünscht. Sie hatte "kettenrauchend und gedankenverloren, ja, wie weggetreten, stundenlang in unserem Pausenraum herum gesessen", beschwerten sich ihre Kolleginnen bei der Krankenhausverwaltung. Nach 22 Jahren steht für sie die Rückkehr ins deutsche Leben an - die Drehtür am Flughafen fungiert als Schwelle in eine ungewisse Zukunft. Abgeschoben aufs Altenteil, eine lebenslange Helferin, die nun selbst Hilfe bitter nötig hätte und mit ihrem Gefühl der Nutzlosigkeit allein fertig werden muss.

Asta, die uns leicht abgewandelt schon im 2003 erschienenen Erzählband "Die Enten, die Frauen und die Wahrheit" begegnete, "leidet" an einem ausgeprägten Helfersyndrom. Sie hatte einst zu DDR-Zeiten einen Koch aus Nordkorea mit starken Zahnschmerzen von der Straße aufgelesen, hatte Hilfsaktionen für die Mongolei, Rumänien, Bolivien und Indien organisiert. Nur ihr eigenes (privates) Leben bekam sie zeitlebens nicht in den Griff. Asta ist, so wie ihre geistige Schöpferin Katja Lange-Müller kürzlich freimütig über sich selbst einräumte, "bindungsschwach." All ihre Liebschaften endeten chaotisch - ob mit dem Österreicher Kurt, mit Maler Georg oder Entwicklungshelfer Manfred.

Die Protagonistin sucht nach ihrer unfreiwilligen Rückkehr nach Deutschland in den Gesichtern der ihr fremden Menschen nach Geschichten, nach Erinnerungen, nach Assosziationen, und es geht auch um die bedächtige Wiederaneignung der Sprache. Vokabeln wie "Heimat", "Vaterland", "Urlaub" oder "Gesundheitswesen" sind ihr fremd geworden und lösen ein spürbares körperliches Unwohlsein aus.

Große Kunst zwischen Tragik und Komik

"Der Helfende ist immer in der überlegenen Situation. Das macht den, der Hilfe braucht, klein. Es entsteht sofort eine Hierarchie", heißt es äußerst zutreffend im Roman. Um so zu helfen, dass die Hilfe auch effektiv ist, bedarf es großer mentaler Stärke. Die Grenzen zwischen lediglich Gutgemeint und wirklich Gutgemacht sind fließend.
Als Kontrastfigur zu Asta lernen wir in einem erzählerischen Schlenker Tamara Schröder kennen, eine ambitionierte linke Entwicklungshelferin, die aufgehört hat, Romane zu schreiben und als Krankenschwester in eine Klinik zurück gekehrt ist.
"Kein Geld, kein Zuhause, keine Familie, keine Freunde, keine Perspektive." So unpathetisch, aber dafür mit ungeschminkter Härte beschreibt Katja Lange-Müller, die Anfang des Jahres ihren 65. Geburtstag gefeiert hat, die Zukunftsaussichten ihrer Anti-Heldin Asta. Das Erinnern und Erzählen wird zur Überlebensstrategie. Katja Lange-Müller hat die einzigartige Fähigkeit, den schäbigsten Orten, den skurrilsten Typen und den miesesten Lebensbedingungen mit Humor zu begegnen. Das ist nicht platt und wirkt auch nicht aufgesetzt. Das ist große Kunst, fein austariert zwischen Tragik und Komik.

Katja Lange-Müller: Drehtür. Roman. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2016, 216 Seiten, 19 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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