Gesundheitssystem Deutschland - doch 3 Klassen-Medizin?

Wer in der gesetzlichen Kasse versichert ist, muss mehr leiden und länger warten? Und wer schon mal psychisch lädiert war, ist stigmatisiert und wird nicht mehr richtig behandelt?.


Auch Arztpraxen und Kliniken müssen wirtschafltich leben können

Leider wohl doch. Tests, die durch Stiftung Warentest durchgeführt worden sind, beweisen es ja immer wieder. Wer gesetzlich versichert ist und nicht privat, wartet bei diversen Fachärzten wesentlich länger auf einen Termin, als ein privatversicherterter Patient. Auch, wenn die Praxen das immer wieder vehement bestreiten. Welcher Arzt kann es sich heute noch leisten, für 38,50€ Fallpauschale pro Quartal einen chronisch kranken Patienten zu behandeln? Oder sich gar die Zeit zu nehmen, dem Patienten aufmerksam zuzuhören und entsprechend zu behandeln, wenn er bei einem Privatpatienten all diese Leistung, die wir immer so schön als „sprechende Medizin“ im Visier haben, auf Euro und Cent bezahlt bekommt?


ZUSATZLEISTUNGEN - SINN UND UNSINN

Wer wenig Geld hat, um Zusatzleistungen - ob sinnig oder unsinnig - zu finanzieren - hat schon ein Problem. Wer gar kein Geld dafür hat, hat die Rote Karte erwischt. Wer einmal psychisch angeknackst war oder ist, hat bei manchen Ärzten den Anspruch auf die Untersuchung der Physis – also der Organe irgendwo verloren. All das ist nichts Neues, wir leben halt damit. Immer in der Hoffnung, dass es uns selbst nicht trifft. Es gibt sicherlich auch gute Beispiele, aber seien wir doch mal ehrlich: der größte Teil von uns lebt nun mal mehr mit den schlechten.

Ich habe nun die bitterböse Erfahrung machen müssen, wie hart das Gesundheitssystem zuschlägt, wenn man nicht mehr so kann, wie es erwartet wird.


DER FALL

Ich habe seit Jahren schon mit meiner kaputten Halswirbelsäule zu tun. Das ist nichts Neues, bei 45 Jahren Abrackern in diversen Arztpraxen mit höllischen Überstunden, sowie 13 Jahre Pflege der Eltern in Stufe 2-3 bleibt das nicht aus. Nun ist der Dienst an den zu pflegenden Angehörigen weder gut bezahlt, noch anerkannt. Die Gesellschaft ist froh, dass es immer noch ein paar Kinder gibt, die ihre Eltern bis zum Ende derer Tage pflegen, belasten diese doch dann nicht auch noch die überleeren Pflegekassen.
Aber bislang waren die Ärzte immer der Meinung, dass das alles vom Stress her kommt. Die vielen Überstunden, die Pflege der Eltern in den Jahren 1995-2008. All das sollte Auslöser für einen Schwindel sein, der mich ständig Erbrechen und Stürzen ließ und meine Motorik schachmatt setzte. Von den Schmerzen mal ganz abgesehen.

In 2007 verschaffte mir ein Neurologe in Borken dann eine „unerwartete Lösung“ für mein Problem. Eine Klinik in Laer im Kreis Steinfurt. Die wären darauf spezialisiert, arbeiten interdiziplinär mit allen andern Bereichen zusammen und ich könne mich da erholen. Wie eine Art Kur. Und die würden mich dann auch mal so richtig untersuchen.

Wie gesagt – ich bin Kassenpatientin.

Die „Kur“ war ein Flop, es war eine psychosomatische Klinik, die sich nicht darum gekümmert hat, mich „auf den Kopf“ zu stellen. Nachdem meine „Belastungsdepression“ klar definiert war, entließ man mich nach 8 Wochen, ohne nach den wahren Ursachen des Schwindels zu suchen. Mein „Begehren“, mal die HWS abzuchecken und zu Röntgen wurde dort milde belächelt und mit einer weiteren „Diagnose“ geahndet. FIXIERUNG AUF SOMATISCHE LEIDEN.


DIE PRIVATE ZUSATZKARTE - Privatpatient mit Service

Ein Jahr später landete ich im EVK hier in Wesel. 2 Wirbelschiefstände, ich konnte nicht mal mehr das Auto einparken, verschafften mir dann 10 Tage auf der Station 2 des EVK in der Orthopädie. Erstmals habe ich meine private Zusatzversicherungskarte gezückt. Und siehe da – die Behandlung war eine andere. Die Ärzte und Schwestern haben mich nicht links liegen lassen, mir geholfen, so gut, wie es ging. Das Essen konnte ich mir aussuchen, der „Zimmerservice“ mit Handtüchern, frischem Obst und Saft sowie Tageszeitung war schon klasse. Pro Tag zahlte die Zusatzversicherung einen Betrag von über 138 EURO zusätzlich auf den Tagespflegesatz für das Zwei-Bett-Zimmer dazu. Ich habe zuvor ein MRT Termin gewollt, auf den ich 2 Monate hätte warten müssen. Als „privat-zusatzversicherte Patientin“ erhielt ich den Termin innerhalb 12 Stunden. WOW!


PSYCHOPATHOLOGISIERUNG

Seit diesem Zeitpunkt bin ich durch die Vorgeschichte in der psychosomatischen Klinik in Laer bei jedem Arzt „unten durch“. Ich gelte als psychisch bemackt, sämtliche Diagnosen werden nicht mehr im somatischen – also körperlichen Bereich gestellt – sondern ausschließlich auf Stressbasis, einer Persönlichkeitsstörung oder Depression gesucht. Das bescherte mir eine fast geplatzte Galle, nachdem man mich mit dem RTW im August 2010 auf den Notfall-OP Tisch des EVK brachte. Sicherlich hätte der alte Hausarzt auch mal den Ultraschall bemühen können, wenn er gewollt hätte. Da hätte er schon recht früh meine Gallensteine gesehen und die erhöhten Entzündungswerte nicht dem Streß zugeschrieben.

Mai 2012 fiel meine gesamte linke Körperhälfte aus. Kein Gefühl – alles taub. Sehstörungen mit dunklen Flecken am linken Auge, taubes Gefühl im Ohr. Also ab ins Krankenhaus, ins EVK auf die Stroke Unit mit Verdacht auf eine Trans-Ischämische Attacke – Schlaganfall. Wieder die Zusatzkarte gezückt, um mich mit Freundlichkeit und Kompetenz behandeln zu lassen. Doch als ich sagte, wie mein Arbeitstag aussieht, war die Diagnose klar: psychosomatische Beschwerden aufgrund von zu viel Stress.

Der Chefarzt empfahl mir eine verhaltenstherapeutische Behandlung. Halswirbelprobleme? Nie davon gehört.

Die Augenbeschwerden wurden schlimmer, ich habe auf dem linken Auge fast nichts mehr gesehen. Ist auch immer noch so. Aber im Gegensatz zum Augenarzt hier in Wesel befand mein alter Augenarzt in Dinslaken Monate später nicht, dass ich an einer Vorstufe zur Multiplen Sklerose leide, sondern schlicht und ergreifend Grauen Star auf beiden Augen habe, der dringend operiert werden muss. Für mein Alter schon ungewöhnlich, aber nun mal da. Das ist doch prima – das erste Mal war es umgekehrt! Bei der hiesigen Augenärztin war ich durch die Zusatzversicherung als Privatpatientin unterwegs, bei meinem Augenarzt „nur“ als Kassenpatientin. Und da stimmte die Diagnose!


Interessenlosigkeit macht sprachlos

In 2012 ereilte mich im September eine Kur. Nach 3maliger Ablehnung wegen meines immer schlimmer werdenden Asthmas in den Jahren 1997-2008 hatte ich es eigentlich schon aufgegeben. Statt an die Ost – oder Nordsee „verbrachte“ man mich für 3 Wochen in den Schwarzwald. Nach Todtmoos. Klinik 900m über dem Meeresspiegel, der Parkplatz lag ca. 2 km und 600 m unterhalb der Klinik. Aufstieg inbegriffen. Für geübte Wanderer ohne HWS-Probleme kein Problem, für mich glich der Auf-und Abstieg eher einer Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff. Nach 1 Woche bekam ich meinen alten Lagerungsschwindel vom Innenohr wieder zurück, weil ich die Höhenunterschiede nicht mehr ausgleichen konnte. Dazu gesellte sich ein schiefstehender Wirbel, den die Klinik überhaupt nicht interessierte. 5 Tage musste ich auf einen Termin bei einem HNO in 30 km entfernten Waldshut warten, weil in Todtmoos nichts ist. Dumm gelaufen! Der HNO hat zwar geholfen, aber ich musste einen Teil der Behandlung selbst bezahlen. Keine Kassenleistung. Nur – dieses Lagerungsmanöver nach Epley ist das Einzige, was hilft, aber die Kassen sagen, es hilft nicht und belastet den Kassenkatalog. Nach 3 Wochen durfte ich dann nach Hause und war weiterhin arbeitsunfähig. Arbeitsfähig in die Kur – arbeitsunfähig heraus. Das hatte ich auch noch nicht.

Auch hier war im gesamten Kreis Wesel kein einziger HNO in der Lage, dieses Manöver nach Epley durchzuführen. Ich musste 3 Wochen auf den HNO Termin warten, obwohl dieser Lagerungsschwindel immer noch akut war. Der Hausarzt konnte damit gar nichts anfangen und verschrieb nur ein Medikament gegen den Schwindel, das zwar die Symptome lindert, nicht aber die Ursache behebt.

Nach weiteren 2 Wochen fand ich endlich einen HNO in Düsseldorf-Benrath, der das Manöver konnte und für eine Zuzahlung von 17,50€ mich vom Schwindel wenigstens für eine kurze Zeit erlöste. Er war der Erste, der zwischen dem Schwindel hier und der HWS Problematik die erste Verbindung zog.

Danach folgten endlose Wochen mit Warten zwischen den einzelnen Termin beim Orthopäden und MRT-Abteilung. Der letzte Orthopäde sagte mir, ich habe nichts an der HWS – wie fast alle Frauen – sondern zu wenig Nierenenergie. Die könnte er nach der Traditionellen Chinesen Medizin (TCM) für 420€ Eigenleistung wieder aufbauen und damit wäre meine HWS-Probleme auch gelöst. Ich habe dankend abgelehnt und zog wieder von dannen.

Das MRT Anfang November wurde Anfang Dezember 12 – nach endlosen 4 Wochen – ausgewertet. Der Bericht kam zum Hausarzt, der nur mit den Schultern zuckte und sagte, er könne nichts für mich tun. Außer mich weiter AU zu schreiben.

Die ganze HWS ist kaputt, die Vorwölbungen an JEDEM Wirbelkörper führe über kurz oder lang zu einem Bandscheibenvorfall. Ich habe dann die Auswertung als Kopie bekommen und habe mich im Internet mit dem HWS-Zentrum in München vernetzt. Der dortige Neurochirurg hat mir eine ausführliche Expertise geschrieben, die ich nicht mal bezahlen musste! Super! Leider teilte diese Diagnose und auch die Therapie keine hiesige Klinik. Man schob – wie immer – alles auf die Psyche. Ich bekam vom Hausarzt ein Muskelrelaxans in die Hand gedrückt, starke Schmerzmittel und das war’s. Ach ja, und Krankengymnastik nur einmal 6 Stück mit Hängen und Würgen, weil das ja im Budget hängt. Und Massagen schon mal gar nicht! Die sind immer im Budget drin.


ENDE GUT - ALLES GUT?

Dann fand ich per Zufall auf Empfehlung meiner Freundin aus Bremen (ist selber Zahnärztin) hier in Wesel einen fabelhaften Neuro-Chirurgen, der mit mir nun arbeitet und mich adäquat behandelt. Auch als Kassenpatientin. Nett, freundlich und kompetent. Kein überfülltes Wartezimmer, immer ein offenes Ohr für mich als Patientin, die auch noch mit heftigen Allergien gesegnet ist.


FAZIT

Es kommt auf den Arzt in der Praxis an und auf das Interesse, dass er an dem „Fall“ hat. Die Wartezeiten sind real. Bei Kassenpatienten immer mehr, als bei den Privaten. Die Krankenhausversorgung ist bei privaten Patienten um Klassen besser und angenehmer. Service, der dem Kassenpatienten nicht zuteilwird. Freundlichkei, Zeit für den Patienten und Service sind nun mal ans Geld gebunden, und wenn die Kassen weiterhin die Pflegesätze kürzen, wird das noch schlimmer werden. Ganz fatal dabei ist, dass das Pflegepersonal immer weiter reduziert wird, weil die Planstellen wegen der Kostenexplosion im Gesundheitswesen nicht mehr besetzt werden.

Wenn eine Station der Chirurgie mit max. 2 Nachtschwestern besetzt wird und am Tag der Rest durch Zeitarbeitsfirmen notfalls gedeckt wird, ist eine gute Versorgung der Patienten nicht mehr gewährleistet. Und es geht zu Lasten des Personals. Ergo werden die Konsequenzen eines mangelnden und maroden Gesundheitssystem auf dem Rücken von Ärzten, Pflegepersonal und den Patienten ausgetragen. Es kann nicht angehen, dass meine Waschmaschine mehr kostet, wenn der Monteur sie nur „anschauen“ kommt, als das, was ein Arzt pro Quartal verdient, wenn er sich einen Menschen mit seinen Beschwerden „anschaut“.

Wenn Ärzte und Pflegepersonal auf die Straße gehen, um gegen ein unmenschliches Schichten-und Arbeitssystem mit geringer Bezahlung in den Kliniken und Praxen demonstrieren, habe ich keinen von unseren Kassenpatienten gesehen, die mit demonstrierten.

„Seht ihn an den Doktor,
in der Ecke hockt er
zwischert sich einen und mach Krach
legt die Oberschwester flach.
Wenn der Dir den Armbruch schient,
schaut er das er Geld verdient
Klebt er auf Wunden seine Pflaster
Denkt er nur noch an den Zaster.
Ein jeder, der ins Gras gebissen,
hat er von vorn und hinten besch… „
(Otto Waalkes)

Ich denke nicht, dass das stimmt.

Mit so etwas brachte einst ein Otto Waalkes in den 80er das Publikum zum Lachen. Das System ist krank, wenn nicht gleich tot. Nur hat das niemand gemerkt. Für alles ist Geld da, nur nicht für die Gesundheit und die Pflege. Wir werden immer älter und immer kränker. In naher Zukunft werden immer mehr Patienten an Demenz erkranken. Nur – wer will die dann Pflegen? Landen wir dann alle in solchen „Aufbewahrungsstätten“ wie die Mini-TV-Serie „ 2030 - Aufstand der Alten zeigte?

Ein Horrorszenario, von dem wir gar nicht mal so unweit entfernt sind. Denn - solange sich Regierung und Co sich damit nicht wirklich auseinandersetzen, bleiben beide Parteien - Ärzte, Krankenhäuser und Pflegepersonal auf der einen Seite und der Patient auf der anderen Seite - auf der Strecke.
Die Diskussion um Kontrollen, bessere Bedingungen, bessere Bezahlung für die geleistete, gute Arbeit macht ja auch nicht vor der "normalen" Dingen unseres Lebens halt. Siehe Landwirtschaft. Pferdefleischskandal, Eier, die für teueres Geld unter dem Label BIO verscherbelt werden, aber nicht mal den Mindeststandard der artgerechten Tierhaltung erfüllen, sind nur ein Beispiel. Alle haben es gewusst, Gemeinden und Kontrolleure. Nur wir nicht - die Verbraucher. Vielleicht sollten wir alle mal überlegen, ob wir im Alter nicht auch so gehalten werden, wie die Hühner in den Drahtkäfigen.

Wenn ich jetzt ganz gehässig und provokant wäre, würde ich glatt sagen, wer alt wird und dement, kriegt das eh nicht mit, ob er ans Bett sprichwörtlich gefesselt ist und mit Tetrazepam ruhig gestellt wird, damit er keinen Streß macht. Für alles gibt es eine Lösung, Essen kann über Infusionen künstlich zugeführt werden. Und selbst für das Problem des "auf die Toilette gehen müssen" gäbe es eine Lösung. Darmkatheder und Urinkatheder halten das Bett sauber. Heute wird schon in einigen Altenheimen mit Riesen-Erwachsenenwindeln gearbeitet, die nur einmal am Tag gewechselt werden brauchen. Kein Wunder, bei einem Aufnahmevolumen von bis zu 20 Litern.

Damit das Personal noch mehr reduziert werden kann, und noch weniger Ärzte noch weniger Zeit für die Patienten haben. Hauptsache ist, die Kasse(n) stimmt, oder? Was nutzen da noch Bonusproframme zur Erhaltung der Gesundheit, wenn von 20 Leisungen, die ich im Jahr "erbringen" muss, 10 von mir selbst zu bezahlen sind. Ich gebe dann bis zu 400 EURO aus, um 120 EURO von der Kasse wieder zu bekommen. Und das alles mit dem guten "Gewissen" auch wirklich etwas zur Entlastung der Kassen und zum Erhalt meiner Gesundheit getan zu haben? Und der, der eben die Eigenleistung nicht aufbringen kann, bekommt auch vom Bonusprogramm nichts wieder. Eben - weil er nichts zuzahlen kann.

DOCH WOLLEN WIR EIN SOLCHES SZENARIO UNS WIRKLICH VORSTELLEN?

Ich denke, dass das niemand von uns will. Wir stellen heute - hier und jetzt - die Weichen für unsere ZUKUNFT. Auch und gerade im Gesundheitswesen. Was bleibt denn noch für unsere Kinder - die der nächsten und der übernächsten Generation - übrig? Ich finde, da sollten so einige Gesundheitspolitiker mal in sich gehen und nachdenken. Und zwar richtig.

Sonst müsste ich denen ein Medikament verschreiben, was für sich spricht: (siehe Bild)

In diesem Sinne verbleibe ich wie immer
Ihre
Silvia Wolf

Autor:

Silvia Wolf aus Wesel

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