Totensonntag ist ein stiller Feiertag - Interview mit Pfarrerin zum Thema Trauerrituale

Der Besuch auf dem Friedhof hilft, ebenso wie andere Rituale, dabei, mit der Trauer über einen Verlust weiterzuleben. Hier ein Bild vom Friedhof in der Pferdebachstraße in Witten. | Foto: Kirchenkreis HaWi
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  • Der Besuch auf dem Friedhof hilft, ebenso wie andere Rituale, dabei, mit der Trauer über einen Verlust weiterzuleben. Hier ein Bild vom Friedhof in der Pferdebachstraße in Witten.
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Das städtische Ordnungsamt weist darauf hin, dass Totensonntag, 23. November, ein stiller Feiertag ist. Der Gesetzgeber stellt diesen Tag unter einen besonderen Schutz, der über den allgemeinen Sonn- und Feiertagsschutz weit hinausgeht.
Insbesondere Folgendes ist von 5 bis 18 Uhr nicht erlaubt:
- Märkte, gewerbliche Ausstellungen und ähnliche Veranstaltungen wie beispielsweise Weihnachtsbasare;
- sportliche Veranstaltungen einschließlich Pferderennen und -leistungsschauen;
- Zirkusveranstaltungen, Volksfeste und der Betrieb von Freizeitanlagen, soweit dort tänzerische oder artistische Darbietungen angeboten werden;
- der Betrieb von Spielhallen sowie die gewerbliche Annahme von Wetten;
- musikalische und sonstige unterhaltende Darbietungen jeder Art in Gaststätten und in Nebenräumen mit Schankbetrieb sowie alle anderen der Unterhaltung dienenden öffentlichen Veranstaltungen einschließlich Tanz.

„Trauer-Rituale geben Halt “ - Pfarrerin Annedore Methfessel im Interview

Der November gilt nicht gerade als Everybodys Darling. Das Wetter ist oft trübe und grau, die heimelige Adventszeit lässt noch auf sich warten. In die gedrückte Stimmung passen die Gedenktage: Allerheiligen und Allerseelen (katholisch), der Volkstrauertag und jetzt am Sonntag, 23. November, der Totensonntag. Fröhlich geht anders. Im Kirchenjahr gilt der November als ein Monat der Besinnung und des Gedenkens – und während draußen das Jahr zu Ende geht, werden auch die Menschen an den Lauf des Lebens und ihre eigene Sterblichkeit erinnert.

Eine zentrale Rolle spielt für die Christen im November das Gedenken an die Verstorbenen – und so manche Erinnerung quält dann noch nach Jahren. Das ist schmerzhaft und heilsam zugleich – weiß Pfarrerin Annedore Methfessel, 57 Jahre alt, im Kirchenkreis zuständige Theologin für Seelsorge, Beratung und Supervision. Eine lebensfrohe, lebendige Frau – mit der sich Nicole Schneidmüller-Gaiser über Leben, Sterben und die Bedeutung der Trauer unterhalten hat.

Frage: Eigentlich wissen wir doch alle, dass das irdische Leben endlich ist – warum wirft uns der Tod eines Menschen oft dennoch so aus der Bahn?
Annedore Methfessel: Weil es um Gefühle geht. Gefühle lassen sich nicht einfach an- und abstellen. Schon gar nicht das Gefühl des Verlustes. Mir kommt es immer so vor, dass der eine auf dem Bahnhof in einen Zug steigt und eine Reise antritt, während die andere ungewollt auf dem Bahnsteig stehenbleibt und hinterherschaut. Das ist einfach schwierig.

Trauer unterdrücken, ablenken, den Verlust ersetzen oder Trauer ausleben – nach einem Verlust reagieren die Menschen doch wahrscheinlich sehr individuell – gibt es so etwas wie eine „typische“ Trauer-Reaktion?
Akute Symptome können das Gefühl von Betäubung oder Gefühllosigkeit sein, eingeschränkte Aufmerksamkeit bis hin zum sozialen Rückzug, auch Unruhe oder Überaktivität können auftreten. Manche weinen schneller als sonst, andere weinen gar nicht. Wie wir reagieren, hat auch viel damit zu tun, wie wir aufgewachsen sind, was wir sonst erlebt haben, wie in unserer Herkunftsfamilie überhaupt mit Trauer und Tod umgegangen wurde.

Gibt es denn einen „typischen“ Trauer-Verlauf?
Trauer kommt nicht in Phasen, eher in Wellen und verläuft nahezu immer sehr individuell. Neuere Erkenntnisse verweisen auf die Resilienz der Menschen, also auf die Fähigkeit, einen eigenen Weg zu finden und einzuschlagen. Unsere Angebote unterstützen dies. Wir gehen heute auch nicht mehr davon aus, dass „man/frau“ den oder die Verstorbene/n unbedingt innerlich loslassen muss. Viele Menschen fühlen sich auch über den Tod hinaus verbunden.

Auf der Homepage des Vereins für Trauerarbeit las ich „Trauer ist keine Krankheit, aber sie kann krank machen…“. Wie ist das gemeint?
Trauer ist keine Krankheit, man kann sie nicht „medizinisch“ behandeln. Sie ist ein natürlicher Prozess, der zum Leben dazugehört. Wird sie aber nicht beachtet, dann kann Trauer krankmachen. Zum Beispiel vorübergehende Schlafstörungen, deprimierte Grundstimmung, sozialer Rückzug, die im Rahmen der Trauer normal und verständlich sind, sollen sich nicht dauerhaft verfestigen. Genau da versuchen wir, anzusetzen. Wir versuchen, Menschen zu ermutigen, sich unter Begleitung ihren schweren und schwierigen Gefühlen zu stellen, sozusagen einen Resonanzboden zu bieten, der hilfreich ist.

Der Volksmund sagt: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Und doch bleibt oft auch lange nach dem ersten „großen Schmerz“ eine Erinnerung, die auch nach Jahren noch weh tut oder wehmütig macht. Ist das normal?
Ja, das ist völlig normal. Wir beobachten an uns selbst und bei anderen, dass sich die Heftigkeit der Trauergefühle wandelt, die Gefühle treten mit der Zeit seltener und weniger heftig auf. Aber sie begleiten oft auch ein ganzes Leben lang, ohne dass jemand deswegen permanent traurig wäre, sie gliedern sich insgesamt in das Erleben ein und können es natürlich auch bereichern.

Im Kirchenkreis bieten Sie für Trauernde verschiedene Angebote des Austauschs an: Seminare, Gesprächsgruppen, Trauercafés. Wenn die Trauer doch etwas so Persönliches, Individuelles ist, warum kann ausgerechnet eine Gruppe helfen?
Weil an der Stelle Bestätigung erlebt wird. Die Teilnehmenden erfahren, dass es anderen in der Gruppe entweder genau so geht wie ihnen selbst oder aber auch total anders. Aber alles hat seine Berechtigung. Alles ist individuell verschieden. Da entstehen zwischen den Teilnehmenden Verbindungsfäden. Wo in unserer Gesellschaft entstehen so persönliche Gespräche wie in den Trauergruppen? Und wo hat man sonst Zugang dazu?

Im November kommen die Gedenktage je regelrecht geballt. Warum macht diese „verordnete Trauer“ im November Sinn?
Weil diese Tage den Umgang mit Trauer und Tod in den Lebensalltag holen, in den Jahreskreislauf. Die Menschen, die jemanden aktuell betrauern, sind da besonders gemeint und hoffentlich angesprochen, aber auch den anderen ist es ein Zeichen der Erinnerung. Das gehört zum „Abschiedlich-leben“ dazu.

Für viele gehört ja zum Stillen Feiertag der Besuch auf dem Friedhof oder eine andere, wiederkehrende Handlung. Wie wichtig sind Rituale bei der Trauerbewältigung?
Rituale geben Halt wie ein Geländer, an dem wir uns festhalten. Der äußere Rahmen hält, was innerlich noch ungeordnet und vielleicht chaotisch ist und erst einen Weg finden muss. Und dass dieser Rahmen nicht nur individuell gilt, sondern die Gemeinschaft aufzeigt, finde ich ebenfalls wichtig.

Der Besuch auf dem Friedhof hilft, ebenso wie andere Rituale, dabei, mit der Trauer über einen Verlust weiterzuleben. Hier ein Bild vom Friedhof in der Pferdebachstraße in Witten. | Foto: Kirchenkreis HaWi
Pfarrerin Annedore Methfessel ist die im Kirchenkreis zuständige Theologin für Seelsorge, Beratung und Supervision – und eine lebensfrohe, lebendige Frau. | Foto: Kirchenkreis HaWi
Autor:

Annette Schröder aus Bochum

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