Kain & Abel - ein Traum

Eura lächelte verschlagen, als sie um sein Bett schlich:
„Na, hat Dir mein Essen geschmeckt?!“ zischte sie und lachte hämisch:“ Ich habe Dich vergiftet!“
Bei dieser Art von Humor schafft man sich keine Freunde, dachte Orf und lächelte unsicher. Der Schweiß kroch in seinen Haaransatz, während er sich im Bett hin und her wälzte.
Plötzlich drehte sich Eura abrupt um und ließ sich in den nächsten Sessel fallen.
„So, da bin ich, “ sagte sie und gab ihrem Vater, der in einem vergilbten Foto-Album blätterte, einen aufmunternden Klaps.
Selbst wenn ich tot sein sollte, sterben will ich nicht, dachte Orf.
Noch bin ich mit meinem Leben nicht fertig. Außerdem mußte ich zu oft miterleben wie mühsam das ist - sterben. Das ist keine Krankheit, sondern ein Kampf. Und irgendwann wird es eine Zumutung für den, der noch lebt. Aber irgendwann sind die meisten Menschen dann doch mit ihrem Ende einverstanden. Das hat mich immer wieder erstaunt.
Aber das heißt ja noch lange nicht, daß ich das „Sterben“ verstehe. Dabei bin auch ich in einem Alter, in dem man sein Testament hinterlegt.
Obwohl, für mich ist das Alter keine Kategorie, mit der ich mein Leben beschreiben könnte. Im Gegenteil, ich wundere mich immer wieder, daß die „Welt“ durch die „Alten“ nicht weiser wurde, obwohl wir Menschen statistisch gesehen länger alt sind als jung bleiben.
Dabei stirbt die Mehrheit der Menschen so, wie sie gelebt hat, dachte Orf. Bieder und stumm. Denn zur Mythenbildung taugt nicht jeder. Vielleicht gibt es daher Zeitungen, die vom Unterhaltungswert des Sterbens leben. Warum nicht? Der sensationelle Tod fördert immer die Auflage. Der Sturz aus dem obersten Stockwerk einer Mietskaserne ist schon ein paar Zeilen wert. Aber noch besser ist der Mord auf offener Straße oder der Herzinfarkt eines Politikers im Bordell. Noch eben lächelte dieser Volksvertreter selbstgefällig und schon riß er die Hand zum Herzen. Nun liegt er da hingestreckt mit offenem Mund. Und über das erstarrte Gesicht, das eben noch den Anflug eines süffisanten Lächelns zeigte, huschte eine Art von Erstaunen.
Aber auch ein erstochener Priester auf dem Bahnhofsklo ist nicht schlecht für die Zeitungsauflage. Und eine geplante Hinrichtung, über die monatelang berichtet wird, entwickelt sich zum Einschaltknüller. Wer verspürt da nicht die Lust auf Sensationen? Und wer ist frei von Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude?
Wer ist da nicht bereit die Schranken der Scham für eine höhere Art von Gerechtigkeit einzureissen? dachte Orf. Und wer will auf den wohligen Schauer verzichten, wenn Recht gesprochen wird und Du Dich selbst unschuldig fühlst?
Dabei dürfen die Nachrichten natürlich nicht zu grotesk sein. Das verbietet schon die Pietät. Wie auf dem Hochseil muss die Balance stimmen.
Denn der Schrecken des Alltages bleibt in seiner Banalität nur dann noch verständlich, wenn er sich nicht im Monströsen verliert. Aber ist das schon ein Grund den Schirlingsbecher zu leeren? Oder, wenn man nicht schon von den Klippen sprang, sich den Dolch ins Herz zu rammen? Kurz und gut, das ist immer wieder die Geschichte von Kain und Abel. Aber, dachte Orf, warum beobachtet mich Eura ständig wie ein Voyeur, obwohl sie sich angeblich mit ihrem Vater über die Fotos unterhält?

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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