Lachen ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen

Jupp und der Zauberer Christian | Foto: Marita Gerwin
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Jupp und der Zauberer.

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Bach. Christian Bach. Mein Beruf: Künstler. Genauer gesagt: Zauberkünstler! Mit 14 Jahren packte mich die Magie und sie hat mich bis heute nicht losgelassen. Meine ersten Gehversuche auf diesem Gebiet fanden in der Manege des Kinder- und Jugendzirkus Fantastello in Arnsberg statt. Gerne erinnere ich mich an diese Zeit zurück, in der ich Zaubertricks bastelte und Applaus erntete. Hier wurde ich mit allen meinen Ideen gefördert und immer wieder ermutigt weiterzumachen.

Auf diesem Grundstein baue ich noch heute auf und im Jahr 2006 habe ich sogar beschlossen mit meiner Magie nicht nur Menschen zu verzaubern, sondern auch meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Ein Traumberuf? Ja! In den letzten acht Jahren habe ich viel gezaubert und gelernt. Ich durfte einige der größten Firmenveranstaltungen Europas mitgestalten, stand in Dubai und Abu-Dhabi auf der Bühne und spielte für das chinesische Staatsfernsehen in Peking. Dank meiner Zauberkunst habe ich viel von der Welt gesehen und tolle Dinge erlebt. Ich habe mich vollends selbst verwirklicht und alles erreicht, was ich mir erträumt hatte.

Doch trotz meiner Erfolge merkte ich bald, dass mein Herz noch andere Dinge verlangte und ich spürte, dass die Glitzerwelt des Showbusiness mich niemals völlig zufrieden stellen würde.

Was war es nur was mir fehlte, ich hatte doch alles erreicht? Es dauerte lange bis ich erkannte, dass ich mich bislang nur um mich selbst gekümmert hatte. Es waren soziale Aspekte die mir fehlten, wie das Gefühl etwas Gutes zu tun und Verantwortung zu übernehmen. Zudem gestaltete sich mein Leben so, dass ich neben meinen Auftritten viel Freizeit hatte, die ich fortan, wenigstens teilweise, zum Wohle der Gesellschaft nutzen wollte.

So kam es, dass ich mich an meinen Zivildienst erinnerte, den ich nach meiner Schulzeit im Altenheim Klostereichen abgeleistet hatte. An diese Zeit habe ich nur gute Erinnerungen, hier habe ich meine soziale Kompetenz erworben, die ich nicht mehr missen möchte. Warum also sollte ich nicht genau dort wieder anknüpfen? Gesagt getan. Ich wusste, dass meine damalige Vorgesetzte Silvia
Hageleit noch immer dort im sozialen Dienst arbeitet und nach einem kurzen Telefonat saß ich ein paar Tage später in ihrem Büro. Herr Beckmann, so hieß es, würde sich sicher hin und wieder über einen Besuch freuen. Ruck zuck wurden wir einander vorgestellt.

Aus Herrn Beckmann wurde schnell Jupp und aus einer flüchtigen Bekanntschaft schnell ein Freund. Viele Themen verbinden uns, wie z. B. das Dorf Herdringen, die Liebe zum Wandern und nicht zuletzt das Interesse an der Zauberei. Jeden Donnerstag Vormittag besuche ich Jupp, den ich in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis gerne meinen Leih-Opa nenne. Wir halten Pröleken über alte Zeiten, schauen uns Videos des passionierten Hobbyfilmers an und verbringen eine schöne Zeit bis das Mittagessen ruft. Jupp hat viel zu erzählen, und ich höre gerne zu. Gerade die Geschichten aus dem Krieg und der Zeit danach empfinde ich als sehr spannend, denn es ist ein großer Unterschied ob man den Erfahrungen eines Augenzeugen lauschen darf oder in einem Geschichtsbuch liest. Hier können die Jungen sehr viel von den Alten lernen.

Lange Zeit habe ich auf meinem wöchentlichen Weg zum Altenheim Klostereichen gedacht, wie gerne ich für Jupp diese Zeit aufbringe. Und tatsächlich macht es mir Spaß, ihm eine Freude zu bereiten. Doch mittlerweile habe ich erkannt, dass ich es genauso gerne für mich tue. Diese zwei Stunden in der Woche sind seit langem fest in meinem Kalender integriert und zu einer Wohlfühl-Zeit geworden. Keine Gedanken an meine Auftritte, keine E-Mails, kein Telefon. Nur Jupp und seine Geschichten. Ich höre zu, bin ganz bei ihm und vergesse meinen Alltag.

Meine Besuche im Seniorenheim haben sogar noch weitere Auswirkungen auf mich. Zum Mittag hin, nach meinem Pröleken mit Jupp, helfe ich im großen Saal beim Essen reichen. Hier habe ich alle anderen Bewohner nach und nach kennengelernt, sehe die verschiedenen Krankheiten, die das Alter mit sich bringt, und werde immer wieder mit Leiden und Tod konfrontiert - zwei Themen, die wohl jeder von uns nur allzu gerne verdrängt. Für mich ist es eine sehr wertvolle Erfahrung zu sehen, wie das Alter aussieht, das auch auf mich unweigerlich zukommen wird. Ich habe mich durch meine Besuche in diesem Haus, für dieses Thema geöffnet und dadurch viele Ängste überwunden. Das Bewusstsein darüber, dass auch ich nicht ewig jung bleiben werde, dass auch ich jederzeit durch einen Unfall sterben oder zu einem Pflegefall werden kann, hat mir gezeigt, wie kostbar das Leben ist. Ich möchte in Zukunft nicht mehr viel davon mit Stress und Hektik vergeuden oder falschen Werten hinterherlaufen. Ich möchte meine Talente nutzen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und gleichzeitig einer guten Sache zu dienen. Noch vollführe ich hier einen Spagat, aber ich bin mir sicher, dass ich beide Seiten unter meinem Zylinder vereinen kann.

Einen Versuch, dieses zu schaffen, gab es bereits. In Zusammenarbeit mit der Fachstelle Zukunft Alter der Stadt Arnsberg haben wir den Kindergarten aus Herdringen in das Altenheim Klostereichen eingeladen. Hier saßen die Jüngsten und Ältesten unserer Gesellschaft in einem Raum und ich durfte für dieses einzigartige Publikum zaubern. Es hat mich überrascht, dass ich beide Generationen mit der gleichen Show, aber auf zwei völlig unterschiedliche Arten, begeistern konnte.

Die Kinder waren fasziniert von den Zaubertricks, und die Senioren erfreuten sich an den staunenden Kindern. Es ist eine gewaltige Kraft, die in einem Kinderlachen steckt und es war uns gelungen, diese positiven Emotionen auf die Senioren zu übertragen. Jupp spricht noch heute von der kleinen Lisa, die auf der Bühne plötzlich bunte Tücher hervorzaubern konnte und ein unglaublich verdutztes Gesicht dazu machte. Das war ein Nachmittag, an dem sich Alt und Jung gemeinsam freuen konnten und der bei vielen sicherlich noch lange im Gedächtnis war.

Und auch wenn bei Menschen mit Demenz die Erinnerungen schnell verblassten, so konnten sie den Moment jedoch genießen und ein Stück Lebensfreude spüren. Seit mehr als einem Jahr besuche ich jetzt regelmäßig das Altenheim Klostereichen und in dieser Zeit hat sich bei mir viel verändert. Auf meinem Heimweg fühle ich immer eine gewisse Leichtigkeit sowie eine große Dankbarkeit für meine Gesundheit. Und was ist mit Jupp? Ja, mein lieber Jupp. Er ist zu einem Teil meiner Familie geworden.

Nun ist Jupp vor Monaten verstorben. Ich vermisse ihn, meinen Leih-Opa.

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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