Es war stockdunkel - aber echt lecker.

Hinein in den Dunkelgenussraum. | Foto: Zukunftsakademie Spees in Osterreich
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  • Hinein in den Dunkelgenussraum.
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Genuss im Dunkeln!

Ich kann meine Hand vor Augen nicht erkennen. Eine eindrucksvolle Reise in die Finsternis. Am eigenen Leib habe ich erfahren, um wie viel intensiver wir Sinneswahrnehmungen in völliger Dunkelheit empfinden. Es war stockdunkel - aber echt lecker. Ich empfinde großen Respekt vor den Menschen, die mit den Händen sehen!

Ich werde meine Gefühle der anfänglichen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit niemals vergessen. Mit weiteren Gästen aus Österreich, Tschechien, Bulgarien, Italien, Dänemark und Deutschland genießen wir ein Abendessen im Dunkelgenussraum. Ein Sprachengewirr: italienisch, dänisch, englisch, tschechisch, bulgarisch, deutsch, ein wildes Durcheinander vor der Tür des Dunkelrestaurants. Der Ein oder Andere hat ein Wörterbuch in der Hand. Aber was wird uns das nützen, in völliger Dunkelheit? Wir werden uns auf unsere fünf Sinne verlassen müssen. Also, rein damit in die Hosentasche und auf geht’s in das kleine Abenteuer.

Noch wissen wir nicht genau, was uns erwartet. Was uns verbindet, ist die Neugier auf unser gemeinsames Abendessen in völliger Finsternis. Ob wir das aushalten? Wie sollen wir uns verständigen? Werden wir eine Sprache finden, in der wir uns unterhalten können?

Wir sind zuversichtlich. Am Eingang des Dunkelgenussraumes erwartet uns Eva Felbauer. Ihren weißen Stock hat sie in der Hand. Sie ist blind, kann nur hell und dunkelt unterscheiden – sie wird uns durch den Abend begleiten, Speisen und Getränke servieren. Wir schalten unsere Handys aus, nehmen Uhren vom Handgelenk, damit auch nicht die kleinste Lichtquelle in den Raum gelangt. Als Eva Felbauer die Tür hinter uns schließt, wirds mit einem Mal stockdunkel.

Gar nichts zu sehen, ist sehr ungewöhnlich. Nie zuvor habe ich dies so eindrucksvoll erlebt.

Der Dunkelgenussraum ist ein komplett abgedunkelter Raum, der nicht den kleinsten Lichtstrahl herein lässt. Durch eine Lichtschleuse werden wir von blinden Menschen an den Tisch geführt und müssen uns dort erst einmal orientieren: Wie groß wird wohl der Raum sein? Wie sieht er aus? Jedes Geräusch, jede Berührung erleben wir plötzlich viel eindrucksvoller.

„Black is beautiful! Great experience!“ höre ich meinen Nachbarn Richard. Wir fassen mit der rechten Hand auf rechte die Schulter des Vordermanns und gehen wie an einer Menschen-Kette in die Finsternis hinein. Tasten uns an den Tisch heran, nehmen Platz. Die Frage ist nur: Wer sitzt rechts und links neben mir? Es ist Bernhard aus Bayern und Vera aus Österreich. Ich orientiere mich an ihren Stimmen. Nicht weit entfernt sitzt Jelana aus Bulgarien und Henry aus Italien. Die komplette Gruppe tappt im Dunkeln. Schlagartig wird mir klar: Licht ist Lebenselixier. Sehen ist ein Geschenk! Finsternis bedeutet totale Raumerfahrung. Einen Platz in Besitz nehmen, Geräusche erfahren. Man kann Allerhand ohne zu sehen! Für uns ist es eine Reise in eine unbekannte Welt.

„Wo ist der Apfelstrudel hingekommen? Wo liegt die Gabel. Wer hat die Suppe? Wo liegt der Löffel?“ Vorsichtig tasten wir den Tisch ab. Und finden tatsächlich alles. Auch die Hand des Nachbarn, der ebenfalls auf der Suche nach seinem Löffel ist. „Wo steht mein Bier? Oh, weia. Ein Glas und eine Flasche dazu. Wie soll das gelingen? Bier ins Glas einzuschütten, ist nicht ganz einfach. Eine kleine Pfütze rinnt mir über die Hand. Was solls ? Es liegen ja Servietten auf dem Tisch. Aber wo? Wir hören Musik. Lauter als gewöhnlich. Sie durchdringt die Stockdunkelheit.. Wir reden ein wenig leiser. Werden besinnlicher, nachdenklicher. Trotzdem haben wir riesigen Spaß. Es ist nicht leicht, gesittet mit Messer und Gabel zu essen. Ich benötige gelegentlich die Finger, um nachzuhelfen. Macht nicht´s. „Wasser ist zum Waschen da!“, schießt es mir durch den Kopf. Und außerdem ist es doch total "In" Fingerfood zu essen. Henry, aus Dänemark höre ich plötzlich in einem Mix aus Deutsch und Englisch sinnieren: "Now I am shure: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. „Yes, it´s true. These words from Saint Exypery are perfekt for these situation. It´s great. I think, he found these words after he had visit a dark-restaurant”, antwortet Peter aus Tschechien.

Wir haben einen Riesenpass und verstehen uns alle irgendwie. Auch wenn niemand perfekt englisch spricht. Eine Völkerverständigung par excellence! Dieses sinnliche Erlebnis verbindet Nationalitäten. Niemand hat Berührungsängste oder Sprachprobleme. Ganz im Gegenteil. Wir müssen uns berühren, ertasten, helfen, führen, verstehen.

„Where is my spoon? My soup is always cold. Sorry, I have to go to the toilette! But it´s a little problem. Because I don’t find the right way through the darkness. Who can help me to find the way?” Wir finden uns alle irgendwie zurecht, auch wenn ich krampfhaft meine Augen aufreiße, in der Hoffnung, doch noch etwas entdecken zu können. Schließe ich meine Augen, weil ich sowieso nichts sehe, ertappe ich mich dabei, dass mein Körper dieses Signal als "Startschuss" zum Einnicken versteht. Also Augen auf!

Die anfängliche Beklemmung, Nervosität und das leichte Magendrücken sind schnell verschwunden. Danke an Eva Felbauer und ihr Team, die uns zu diesem eindrucksvollen Rollentausch verholfen haben. Sie haben im Dunkel-Restaurant ihren festen Arbeitsplatz gefunden. Ein spannendes Experiment, was inzwischen in vielen Städten auf der ganzen Welt blinden Menschen die Möglichkeit gibt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Geblieben ist unser Respekt vor den Menschen, die mit den Händen sehen! Eva Fehlbauer amüsiert sich köstlich über unsere krampfhaften Versuche, gesittet zu essen und zu trinken. Etikette hin oder her. Verschmitzt ruft sie in den Raum "Denkt immer daran was, Henry eben sagte: Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“.

Nach zwei Stunden verlassen wir das Dunkel-Restaurant als Sehende. Wir sind tief berührt. Schweigsamer als wir hineingegangen sind. Kein kunterbuntes, europäisches Stimmengewirr. Wir schätzen unser Augenlicht neu.

Eva Fehlbauer verabschiedet sich lachend und bedankt sich für den wunderschönen Abend mit uns. Sie öffnet die Tür in das Licht, führt uns hinaus, nimmt ihren weißen Stock und geht zurück in ihre Dunkelheit...

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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