Mut zur Lücke

Sie hat Mut zur Lücke! | Foto: Uwe Künkenrenken
  • Sie hat Mut zur Lücke!
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Kindliche Unbekümmertheit geht uns immer mehr verloren. Schade eigentlich!

Mut zur Lücke! Das sagt sich so leicht. Wie oft fehlt sie uns?

Die Experten in der Forschung haben festgestellt, dass unser Gehirn früh voraussagt, was eine Handlung bewirken wird. Bei Pianisten meldet der Kopf schon den Fehler, bevor die falsche Taste getroffen ist.

Na, so was! Wie ist das denn bei mir?

Meine Sorge: „Das ich mich jetzt nur nicht verspreche!“ Und schon ist es passiert! So begrüße ich unsere japanischen Gäste mit einem freundlichen „Willkommen in Arnsberg, Herr Tamagocci.“ Oh, Schreck! Nein! Genau das wollte ich vermeiden. Befürchtete ich schon im Vorfeld, dass ich den mir fremd klingenden Namen Minogochi mit dem mir bekannten elektronischen Kinderspielzeug Tamagochi verwechseln würde. Aber schon war es mir herausgerutscht. Ein amüsiertes Lächeln machte sich bei unseren japanischen Gästen breit. Erklärungsversuche? Nicht nötig! Ändern konnte ich nun nichts mehr daran. Aber irgendwie geahnt habe ich es vorher, dass mir das passieren würde.

Mir fällt dazu unser Seifenkistenrennen in meiner Kindheit ein. Mit viel Mühe haben wir die Kiste zusammengebaut. Balken als Chassis, Brett als Sitz, vier Räder vom alten Kinderwagen, Seil als Steuerung, altes Lenkrad vom Schrottplatz. Bremsen hatten wir nicht. Vertrauten wir doch auf unser Schuhsohlen, wie beim Schlittenfahren im Winter. Dann die Dorfmeisterschaft im Feld. Steil war es. Wir schieben die Kiste mit vereinten Kräften bergauf. Oben angekommen, sind die vier Räder schon auf halb acht. Na super, das soll mir was werden? Schnell noch mal die Räder festgeschraubt. Und los kann es gehen. Wer hat die Strecke nur ausgesucht? Das sind ja Serpentinen, wie in den Alpen.

Schon vor dem Start meldet mein Gehirn wie in der aktuellen Psychostudie der Forscher: „Oha... das geht nicht gut. Aber, was soll´s. Ein Versuch ist es wert. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Augen zu und durch. Mut zur Lücke!“

Startnummer 7 auf die Pappe gekritzelt und am Pulli mit Doppelklebeband festgeheftet. Sonnenbrille auf, Schildmütze keck in den Nacken gedreht und los geht’s. An Sturzhelm und Protektoren wie beim heutigen Inlinern war gar nicht zu denken. Hatten wir nicht. Wäre auch irgendwie uncool gewesen. Dann der schrille Startpfiff auf drei Fingern. Zeitmessung mit der Stoppuhr von den Bundesjugendspielen - oben beim Startpunkt und unten im Zielleinlauf. Mit ein paar Kreidestrichen auf den Asphalt gemalt. Oben blau – unten rot! „Hoffentlich komme ich überhaupt im Zieleinlauf an!“, schießt es mir durch den Kopf. „Nur nicht versagen. Hoffentlich hält die Kiste durch!“

Schon in der ersten Kurve schaukelt sich das Ding auf. Noch kann ich das Steuer rumreißen. Rechts, links, ein kurzes Stück geradeaus, wieder rechts. Zweite, dritte, vierte Kurve. Nichts geht mehr: Radverlust auf der linken Seite.
Ab in den Graben. Leichte Abriebspuren und Schürfwunden, nicht nur an der Seifenkiste.

Dann das Aus! Ich war nicht enttäuscht, sondern stolz auf mich selbst. Hatte ich es doch wenigstens versucht und ausprobiert. Die Frage stellt sich für mich: Warum tut man sich das an, obwohl man vorher schon genau weiß, dass es nicht klappen kann?

Meine Antwort heute: Vielleicht, weil wir uns darin üben müssen, in Würde zu scheitern. Als Kinder haben wir viel häufiger den Mut zur Lücke.

Wir die Erwachsenen, die Gestandenen sollten uns vielleicht häufiger daran erinnern, wie schön es war, die Füße baumeln zu lassen, anstatt jederzeit mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen.

Fotos: Uwe Künkenrenken

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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