„CARLOS“ der Heiratsschwindler

„Carlos“ hatte graue Schläfen und gewelltes Haar. Er war immer elegant gekleidet. Und in seinem Kleiderschrank hing ein Sortiment von Schlipsen, die zu jedem Jackett passten. Um es kurz zu machen:
„Carlos“ sah immer seriös aus. Und wer mit ihm einen Vertrag abschloss, musste es nicht bereuen. Nur, er hieß nicht „Carlos“, sondern Karl. Aber immerhin, weit gereist war er schon…
Wer ihn aber über die Jahre hinweg kannte, konnte davon ausgehen, dass er, ob nun „Carlos“ oder Karl, in seinem richtigen Ich steckte.
Nun, zugegeben, sein Verhalten streifte manchmal die Grenzen der Legalität. Aber wenn er sich auch ständig mit anderen Frauen traf, im Sinne des Strafgesetzbuches war er kein Heiratsschwindler. Er war nur ein Mann, der die Kontaktanzeigen gründlich studierte. Und wenn ihm dann die eine oder andere Anzeige gefiel oder besser gesagt „elektrisierte“, wie er mir lächelnd gestand, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, um dieser noch unbekannten Frau zu schreiben:
Er suche die Frau fürs Leben… lehne unromantische Chats ab…man müsse sich doch in die Augen sehen… usw. usw.
Wer also seine Briefe las, wusste, „Carlos“ war ein verständnisvoller Mann, der vom Leben genauso entspannt erzählen konnte wie vom Wetter. Und das Wetter ist immerhin ein Thema, über das sich die Menschen immer wieder friedlich verständigen können. Vor allem Frauen.
Und natürlich schrieb „Carlos“ seine Briefe mit der Hand. Und jede Frau, die seinen Brief in der Hand hielt, musste das Gefühl haben, diese Zeilen waren nur für sie bestimmt.
Und, darauf war „Carlos“ besonders stolz, sein graphologisches Gutachten, das vor Jahren erstellt werden musste, ergab, dass sein Schriftbild zu seinem Typus passte.
Und somit war natürlich klar, dass sich vorwiegend die Frauen angesprochen fühlten, die noch aus ihrer Jugend wussten wie das ist, sich romantisch zu verlieben.
Wer aber glaubt sich zu verlieben, wird schön, dachte „Carlos“ und lächelte sein eigentümliches Lächeln. Was kann daran so falsch sein?
Und dieser Gedanke erregte ihn. Denn solange er einer Frau das Gefühl gab, nur sie allein zu begehren, musste sie doch jeden anderen Mann vergessen, dachte „Carlos“. Und dieser Gedanke gefiel ihm.
Nur, da muss ich die Wahrheit sagen, „Carlos“ schrieb immer wieder den Brief ab, den er schon vor Jahren entworfen hatte, um sich dann, damals, mit der ersten Frau zu treffen.
Nur, inzwischen änderte er natürlich bei jedem Brief die Anrede und das aktuelle Datum. So warf er kaum noch die Namen der Frauen durcheinander, selbst dann nicht, wenn sich "Hildegard" oder "Gerti" wiederholten.
Aber was machte das schon? Denn „Carlos“ war ein Mann, der schon bei der ersten Verabredung behauptete, gerade auf die Frau, die vor ihm saß, ein Leben lang gewartet zu habe. Und irgendwie war das ja auch nicht gelogen... Und während „Carlos“ das Kinn reckte, als sei er zu allem entschlossen, mag so manche Frau gedacht haben:
Wie schön ist es vergöttert zu werden, selbst wenn man kein Gott ist.
„Carlos“ also legte seine Hand vertraut auf den Unterarm der Frau, die gerade vor ihm saß und sagte mit zärtlichem Hundeblick:
„Inge… Du gefällst mir…“
„ Ja…?!“ lächelte seine Begleitung verhalten und zog sich die Lippen nach, während ihre Stirn wie bei einem Wetterleuchten zuckte:
„Inge muss eine andere sein,“ sagte die Frau kühl „… haben Sie mal Feuer?“
„Carlos“ hantierte irritiert mit dem Feuerzeug herum bis endlich ihre Zigarette brannte.
In diesem Augenblick aber herrschte ihn Inge, die nicht Inge hieß, an:
„Wissen Sie, was Sie für mich sind…?!“
Und ehe „Carlos“ noch antworten konnte, hielt sie ihm die brennende Zigarette entgegen:
„Sie aufgeblasener Angeber… noch ein Schritt… dann fliegen sie in die Luft…“

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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