Ich stelle (mir) vor: 85 Jahre Reiten am Schloss Wocklum

Der Autor übergibt sein Jubiläumsbuch an die Leiterin des Kreisarchivs
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Reiterverein Balve e.V. mit herrlicher Turnieranlage

“Umgeben von Bergwäldern des Sauerlandes gehören die Reitanlagen am Schloss Wocklum sicherlich zu den landschaftlich schönsten und wohl auch zu den traditions-reichsten Turnierplätzen in Deutschland. Aus dem anfänglichen Provisorium auf einer Weide entstanden nach und nach auf einer Fläche von ca. 20.000 qm die heutigen Dressur- und Springstadien sowie die Trainingsbereiche mit ihren Gebäuden, Tribünen und Infrastrukturen...” 1) Mit angemessenen Pachtverträgen und durch um-fassende Investitionen hat sich der Reiterverein Balve e. V. hier eine langfristige Perspektive gesichert.

Pferde als Ausgleich für landwirtschaftliche Arbeit

Mit Max Graf von Landsberg-Velen, Hausherr im benachbarten Schloss, trafen sich Anfang der 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts etliche Pferdefreunde. Gemeinsam gründeten sie bald darauf, nämlich am 23. Februar bzw. 16. März 1925, im Balver Hotel Kohne den „Reit- und Fahrverein Balve und Umgebung“. 2) Diesen Schritt taten sie aus wirtschaftlichen Gründen „in der Erkenntnis der Notlage der Pferde-zucht, um durch Abhalten von Leistungsprüfungen die Leistung der Zuchtproduktion zu fördern, um dadurch den Absatz zu steigern“. Darüber hinaus aber sollte „die Landjugend mit der Pflege und Behandlung des Pferdes vertraut“ gemacht werden und „sich im Reiten und Fahren zu üben, um das im eigenen Stall gezogene Pferd auf die Leistungsprüfungen hin selbst vorzubereiten.“ Diese Jugendlichen auf dem Lande wollte man „einem Sportzweig zuführen, der ihnen entspricht, um dadurch einen Ausgleich für Geist und Körper gegenüber der harten landwirtschaftlichen Arbeit zu schaffen.“ 3)

Reitunterricht mit strengen Regeln

Die „Ausbildung im Reiten, Fahren, in der Pferdepflege sowie auf allen Wissens-gebieten, die das Interesse und das Verständnis für Pferdezucht beleben können“4), war mit strenger Ordnung im Reitunterricht verbunden, wie das ein weiterer Auszug aus der Satzung belegt: „§ 6 Jedes an dem Reitunterricht teilnehmende Mitglied hat 5 Minuten vor Beginn des Unterrichtes mit Pferd oder Gespann, die sauber sein müßen zur Stelle zu sein. Zu spätes Eintreffen zum Unterricht bedingt eine Strafe von 2 Mark. Wer unentschuldigt fehlt, wird mit 3 Mark bestraft. Wiederholtes unent-schuldigtes Fehlen oder Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Reitlehrer bedingt den Ausschluß aus dem Verein. Alle Strafen verhängt der Vorstand. Beim Vorstand kann Berufung eingelegt werden…“(5)

Reiterverein als Serviceunternehmen

Wie sich doch die Zeiten und ihre Bedingungen ändern: Aus dem vor allem landwirt-schaftlich notwendigen Zusammenschluss erwuchsen - nach zwangsläufigen Ein-schränkungen und dann kriegsbedingtem Stillstand in der Zeit des Nationalsozialis-mus -, neue Aktivitäten nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Ab 1949 sorgte Dieter Graf von Landsberg-Velen, mit 24 Jahren neuer Vorsitzender, für Neuorientierung und damit deutliche Veränderungen im Vereinsgeschehen. Der Reiterverein sollte zwar seine Tradition als ländlicher Reiterbetrieb bewahren, sich aber auch ganz neue Aufgaben setzen: „Der Reiterverein muß sich … als ein Serviceunternehmen ver-stehen, um im Bereich der Freizeitgestaltung - nicht nur im Reiten - konkurrieren zu können. … (Dazu) bedarf es eines Konzepts, das den vielschichtigen Interessen und Wünschen aller Aktiven gerecht zu werden versucht, von der Jugend bis zu den Senioren und vom Hobby- bis zum Turnierreiter…“, so formulierte dies Vorsitzender Graf von Landsberg-Velen weit vorausschauend schon zu Beginn seiner Amtszeit. 6)

Turnierbeginn nach dem 2. Weltkrieg

Auf „grüner Weide“ fand schon ein Jahr zuvor,1948, das erste Turnier in Wocklum statt. Zum 25-jährigen Vereinsjubiläum sorgten beim Reitturnier Reiter aus ganz Westfalen für ein höheres Prüfungsniveau. 5.000 Zuschauer nutzten unbequeme Stehplätze auf einer Abraumhalde, provisorisch errichtet auf dem Abgrenzungswall eines Teiches. In den 50-er Jahren entstanden, nur einen Steinwurf entfernt vom Schlossbereich des Grafen von Landsberg-Velen, die ersten Einrichtungen einer ständigen Turnieranlage: feste Platzzäunung, Richterturm in Holzkonstruktion, An-schüttung einer Sitztribüne. Dafür musste nach und nach das alte Gebäude einer chemischen Fabrik weichen, das an anderer Stelle mit modernen Hallen neu errichtet wurde. Sauerlandregen machte die Drainierung des Hauptplatzes erforderlich, er-höhte Zuschauerzahlen zwangen zu weiterem Tribünenausbau. In bleibender Er-innerung: 12.000 Zuschauer feierten 1956 den erfolgreichen Spitzenreiter und Olympiasieger von Stockholm, Hans-Günter Winkler.

Weitere Entwicklung zu Großturnieren

In den nachfolgenden Jahrzehnten markieren bis heute laufende und jeweils erheb-liche Investitionen in Gebäuden und Infrastruktur den Ausbau der Turnieranlage für hohe und höchste Prüfungen für Pferd und Reiter. Davon zeugen die Deutschen Meisterschaften Dressur und Springen, die Sichtungen für olympische Spiele, Europa- und auch Weltmeisterschaften durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung in Warendorf. Im Jahre 1991 übernahm die „Turniergemeinschaft e. V.“ zur Ent-lastung des Balver Reitervereins die mit Großturnieren verbundenen finanziellen Risiken. Ihr folgte die „Turniergemeinschaft Balve GmbH“ im Jahre 2002. Schon einige Jahre zuvor, 1997, begründete man in Wocklum mit dem „Balve Optimum“ einen neuen reitsportlich, aber auch gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutsamen Glanzpunkt. Zu diesem jährlichen Event treffen sich seitdem Pferdefreunde und Reit-sportler, Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur zum Turniergeschehen. Sie nutzen die Einrichtungen und das Begleitprogramm zu Begegnungen, Er-fahrungsaustausch oder Wiedersehen oder knüpfen neue bzw. nutzen bestehende Kontakte. Das „Balve Optimum“ gehört heute „zu einem der herausragendsten sport-lichen Ereignisse“ der Region Südwestfalen, Deutschlands jüngster regionaler Zu-sammenschluss der Kreise Olpe, Siegen-Wittgenstein, Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis mit insgesamt 59 Städten und Gemeinden. 7)

Reiterpräsident mit Bodenhaftung

Auch das zeugt von der Bodenhaftung, die der Reiterverein Balve nie verloren hat: Obwohl Dieter Graf von Landsberg-Velen ab 1968 bis 2001 Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und von 1979 bis 1990 erster Vizepräsident der Inter-nationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) war und noch heute in diesen Gremien und weiteren höchste Ehrenämter inne hat, so beweist doch - und zwar rekordverdächtig - sein 70-jähriges Jubiläum als Vorsitzender „seines“ heimischen Reitervereins in Wocklum Bodenständigkeit und Schollenverbundenheit. Und da war und ist er wahr-lich nicht nur Repräsentant, sondern vor allem hochtourig laufender Motor, die un-ermüdliche Kraftmaschine, die immer weiter nach vorne treibt und viele ehrenamt-liche Helfer unter den Reitern und Pferdefreunden mit sich zieht. Auf seine „Mann-schaft“, zu der an verantwortlichen Stellen sein Stellvertreter „Cammi“, Matthias Camminady, und seine Tochter Rosalie von Landsberg gehören, kann der Vereins-chef sich verlassen. Und noch eine imposante Zahl: 85 Jahre Vereinsbestehen. Aber auch die sind für ihn und die Mitglieder natürlich kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen - ganz im Gegenteil: Voller Ideen und Tatkraft, gestützt auf die lange Erfahrung und konstruktive Entwicklung, agieren Vorstand und Mitglieder zukunftsweisend.

Fachsimpeln im Reitercasino

Drei Generationen - oder sind es vier? - verbringen in Wocklum einen großen Teil ihrer freien Zeit. Sie nutzen die vielfältigen reitsportlichen Möglichkeiten und ge-stalten aktiv das Vereinsleben mit. Das Reitercasino oberhalb der großen Reithalle ist sehr beliebt und belebt. Obwohl das Pferd diesen geselligen Ort natürlich nicht betreten darf - es aber wegen einer steilen Treppe auch gar nicht könnte -, steht es dennoch beim reiterlichen Fachsimpeln im Mittelpunkt. Hier wird man am Tresen fürsorglich mit Getränken und Knabbereien versorgt, hier berichtet man über seine Erlebnisse, tauscht Erfahrungen, plant gemeinsame Ausritte, organisiert Ver-anstaltungen und bereitet Turniere vor. Zuvor allerdings ist, nach der Reitstunde oder dem Ausritt, die Versorgung des Pferdes angesagt – das gehört zu den un-geschriebenen Gesetzen reiterlichen Verhaltens.

Ausbildung und Freizeitspaß im Reiterverein

Die Ausbildung leitet seit rund 13 Jahren die Pferdewirtschaftsmeisterin Christina Vogel. Jung und Alt finden im wöchentlichen Stundenplan zahlreiche Angebote, von Longenstunden für Anfänger bis hin zu speziellen Kursen für Dressur und Reiten. Dabei wird „Tina“ von Susanne Appelhans, die den Reit- und Ausbildungsstall be-treibt, und weiteren Fach- und Hilfskräften unterstützt. Ausgebildet werden Pferde und Reiter. Jungen und Mädchen beginnen und bleiben teilweise auch später noch in den Voltigiergruppen. Und sie erlernen, wie auch viele Erwachsene, im Reitunterricht den richtigen Umgang mit dem Pferd. Sie erfahren, dass das Reiten, ob als Sport bei Reitwettkämpfen oder als Freizeitspaß, herrliche Erlebnisse vermittelt. Erlebnisse, die nur in enger Gemeinschaft und fürsorglichem Umgang mit dem Freund Pferd entstehen können. Besonderen Anklang finden bei der Reiterjugend Tagesausflüge, Grillfeten und Zeltlager. Und das ist nur eine kleine Auswahl aus dem Gemein-schaftsleben von Jung und Alt.

Im schönen Orletal zu Hause

Ob Pflicht oder Kür: Schulponys und Großpferde freuen sich, wenn sie ihre Boxen verlassen können und zur Reitstunde oder zum Ausritt gesattelt werden. Zwei große Reithallen mit den Maßen 20 x 60 m und turniermäßig ausgestattete Dressur- und Springplätze stehen auf der Reitanlage zur Verfügung, für Mitglieder, aber auch für Gastreiter. Von hier aus können sie aber auch durch Wälder und vorbei an Wiesen und Feldern, durch die herrliche Landschaft reiten. Die Wocklumer Reiterinnen und Reiter sind hier gerne Zuhause, die Turnierteilnehmer und -gäste kommen gerne hierher, und täglich starten von hier Wanderer und Radsportler zu erholsamen Touren. Darin sind sie sich alle einig: Die Reitanlagen im Orletal, zwischen Balve und Mellen gelegen, gehören zu den landschaftlich schönsten Turnierplätzen in Deutsch-land.

Quellenangabe:
1) Reiterverein Balve "75 Jahre Reiterverein Balve e.V.. Chronik", Redaktion Rudolf Rath, Balve 2000 (S. 64)
2) aaO S. 80: Generalversammlung beschließt 1961 Änderung in "Reiterverein e.v. Balve"
3) aaO S. 12
4) aaO Auszug aus der Satzung von 1925, S. 17
5) aaO ebenso dort
6) aaO S. 6f
7) MK-Landrat Aloys Steppuhn in "Balve Optimum Times 2008", S. 2, Hg.: Turnier-gemeinschaft des Reitervereins Balve, Redaktion: Christine Droste, Kira Podlesch, Mirco Heintz, Balve 2008

Anmerkung:
Diesen Bericht, hier leicht verändert, verfasste ich im September 2009 unter dem Titel „Reiterverein Balve e.V. Ursprünge, Entwicklung und heutige Bedeutung“ für das empfehlenswerte Buch „Das Städtenetz Balve, Hemer, Iserlohn und Menden“, Michael Kaub, 2009 Edition Limosa (S. 214).

Autor:

Rudolf Rath aus Balve

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