Zum Frühstück gibt’s die rote Karte

Teil des TEACCH Plans im LVR-HPH-Wohnverbund Friedrich-Wilhelm-Straße
  • Teil des TEACCH Plans im LVR-HPH-Wohnverbund Friedrich-Wilhelm-Straße
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Morgens gibt es gleich die rote Karte. Damit der Einstieg in den Arbeitstag reibungslos verläuft. Die rote Karte zeigt Mustafa Yildiz, was er zu tun hat, macht ihm klar, dass der rot unterlegte Plan an der Wand zu seiner roten Karte passt und seinen Tagesablauf strukturiert. Von „A“ wie Arbeitsschuhe anziehen bis „N“ wie nach Hause fahren zeigen die verschiedenen Piktogramme alles, was der 32-Jährige an seinem Arbeitsplatz wissen muss. Und auch zu Hause hilft ihm ein konkreter Plan durch den Tag. Mit Symbolen zum Beispiel für Hausarbeit oder Freizeitbeschäftigung. Mustafa Yildiz ist Autist. Er lebt im LVR-HPH-Wohnverbund in Voerde-Spellen und arbeitet tagsüber in der Albert-Schweitzer-Werkstatt in Dinslaken. Dass er sein Leben im Griff hat, liegt daran, dass beide Einrichtungen Hand in Hand und nach der TEACCH-Methode arbeiten.

Die Abkürzung TEACCH kommt aus dem Englischen und steht übersetzt für „Behandlung und Förderung autistischer und ähnlich kommunikationsgestörter Kinder“. Die Methode, die auch für Erwachsene sinnvoll ist, setzt auf Grundprinzipien wie klare Strukturierung des Umfeldes, auf eine Politik der kleinen Schritte, sprich, auf Anforderungen, die der autistische Mensch auch wirklich bewältigen kann. TEACCH will den Menschen nicht verändern, sondern durch Gestaltung des Lern- und Lebensumfeldes die Probleme verringern, die Autisten haben. In Bereichen wie Kommunikation, Selbstständigkeit gerade auch im Alltag, soziales Verhalten und Freizeit.

Mustafa Yildiz lebt seit 2009 im LVR-HPH-Wohnverbund in Voerde-Spellen. „Von Beginn an“, sagt Teamleiterin Marjolein Blok, „haben wir mit ihm nach dem TEACCH-Ansatz gearbeitet.“ Unter den 22 Bewohnern an der Friedrich-Wilhelm-Straße sind vier Autisten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gezielt aus- und fortgebildet. Schnell, so die Teamleiterin, sei klargeworden, dass mündliche Kommunikation, also Hinweise, was er tun könne, nicht immer ausreichen würden. Deshalb die Tagespläne mit den Piktogrammen. Die Piktogramme sind sehr detailliert und konkret: Freizeitbeschäftigung kann viel bedeuten, es gibt Bilder für alle Gelegenheiten, wie Puzzeln, Fernsehen, Spielen und mehr. Ganz wichtig: „Der Plan wird mit ihm gemeinsam erstellt.“ Den Erfolg der Arbeit erlebt sie tagtäglich: „Mustafa Yildiz ist deutlich ruhiger und entspannter geworden.“

Damit TEACCH im Alltag und im Arbeitsleben erfolgreich ist, arbeiten der LVR-HPH-Wohnverbund und die Albert-Schweitzer-Einrichtung (ASE) in Dinslaken Hand in Hand.
Zwischen den Teams gibt es einen regelmäßigen Austausch, um die Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung optimal zu unterstützen. Die Tochtergesellschaft der Lebenshilfe hat jahrzehntelange Erfahrung, sie war eine der ersten in der Region, die Autisten Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht haben, so Carina Himmelberg. Sie ist bei der ASE unter anderem zuständig für die Fachberatung Autismus.

Mit Mustafa Yildiz arbeiten acht weitere autistische Männer und Frauen in der TEACCH-Gruppeim Verpackungs- und Montagebereich. Der Personalschlüssel zeigt, wie intensiv die Arbeit ist:
Auf drei Beschäftigte kommt ein ASE-Mitarbeiter. Die Werkstatt ist etwas verwinkelt, bietet sichtgeschützte Bereiche. Der Grund: Menschen mit Autismus brauchen Rückzugsräume, nicht
jeder fühlt sich in einer großen Halle mit viel Betrieb wohl. „Auch in den Pausen wird darauf
geachtet“, sagt Carina Himmelberg. „Manche Menschen können nicht mit anderen an einem
Tisch sitzen.“

Mustafa Yildiz hat eine Nische in einer Ecke mit Sichtschutz. „Hier stecke ich Nägel und Dübelzusammen.“ Die Arbeit mache ihm Spaß. Aber manchmal sei der Tag von 8 bis 15.30 Uhr doch arg lang. Sein Blick fällt auf das Regal, das seine Nische begrenzt. Dort steht sein Time-Timer.
Ein Gerät, das Zeit sichtbar macht. Ist die rote Farbe auf dem Ziffernblatt verschwunden, ist
es Zeit für eine Pause. Oder fürs Heimfahren. Und dort ist auf dem Plan wahrscheinlich als erstes
eine Kaffeetasse zu sehen.

Autor:

Lea Büren aus Bedburg-Hau

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