Grumme leergefegt - Beeindruckendes Weihnachtskonzert in der Johanneskirche

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„Markt und Gassen sind verlassen, hell erleuchtet…“ kaum ein Haus! Wer am Abend des 23.12.14 beschlossen hatte, sich das traditionelle Weihnachtskonzert der Grummer Chöre nicht entgehen zu lassen, der konnte recht schnell feststellen, wo all jene Menschen geblieben waren, deren Häuser und Wohnungen in tiefer Dunkelheit lagen.
Ab 19.30 Uhr wurde den Besuchern Einlass gewährt. Nur eine Viertelstunde später zeigte sich, dass die evangelische Kirche an der Ennepestraße vor 50 Jahren eindeutig zu klein gebaut worden war; es passte keine Maus mehr hinein. Um 19.45 Uhr konnte nicht einmal mehr ein zusätzlicher Platz auf einem Stuhl ergattert werden, mit dem Küster Volker Stark alle ihm bekannten Ecken und Winkel der Kirche bestückt hatte, und auch die vielen Biergartenbänke entlang der Wandflächen des sechseckigen Kirchenbaues waren vollständig besetzt.
So durften denn die immer noch heranströmenden Besucher ausnahmsweise auch die Empore und die Treppe zur Empore, die in den Vorjahren immer für den zwischen Chor und Orgel hin und her eilenden Organisten freigehalten werden musste, sprichwörtlich besetzen und der eine oder andere Besucher überlegte ernsthaft, sich von zu Hause schnell noch einen eigenen Stuhl zu holen.

Fröhlich kommunikativ ging es in den letzten Minuten vor Konzertbeginn zu, als Pfarrer Volker Rottmann versuchte, letzte Einzelplätze, die sich bis dahin unerkannt zwischen die Zuschauer gemogelt hatten und von diesen bereitwillig per Fingerzeig gemeldet wurden, an die Frau und an den Mann zu bringen. Mit 455 Besuchern und 88 Sängerinnen und Sängern meldete die Johanneskirche Grumme am Vorabend des Heiligen Abend um 20.00 Uhr „Volles Haus“. Mehr Wertschätzung konnte der kirchenmusikalischen Arbeit der drei Chöre und des Posaunenchores Grummer Blech wohl kaum entgegengebracht werden.

Es war wie von Anbeginn üblich eine abwechlungsreiche Gemeinschaftsveranstaltung des evangelischen Johannes-Chores unter der Leitung von Anke Walter, des ökumenischen Grummer Blechs, in diesem Jahr stellvertretend für Douglas Simpson unter der Leitung von Felix Bock, des Katholischen Kirchenchores Seliger Nikolaus Groß unter der Leitung von Marco Bergolte und des Kinderchores Seliger Nikolaus Groß unter der Leitung von Friederike Lammert-Budde. War es in den zurückliegenden Jahren, die man längst schon nicht mehr an zwei Händen abzählen kann, immer schon sehr schön und stimmungsvoll gewesen, so bewiesen die Chöre in diesem Jahr, dass die Möglichkeiten der Steigerung und Neubelebung längst nicht ausgeschöpft sind, (selbst) wenn man den Mut hat, neues zu probieren.

Gewagte Moderne

So war denn Anke Walter als Leiterin des Johannes-Chores schon gleich zu Anfang keineswegs zimperlich. Angesichts der zahlreichen Unruhen und Kriegshandlungen in der Welt hatte sie das bekannte Weihnachtslied „Hark! The herald angels sing“, das im Verlauf des Abends von allen Beteiligten in einer jeweils anderen Version vorgetragen wurde, provokant umgeschrieben.
„Nicht erschrecken, das ist jetzt ein bisschen Hip-Hop“, hatte sie Zuhörer vorsichtshalber gewarnt, bevor sich ungewohnte Töne im Kirchenraum breitmachten. Begleitet von zwei E-Gitarren und einem Schlagzeug zeigte der Chor mit dem Antikriegslied „Hark!“ wie Singen zur Weihnachtszeit auch aussehen kann.
So stand in diesem ersten Stück der harte, fordernde englische Sprechgesang Anke Walters mit „Kein Friede auf Erden, keine milde Gnade… Und tödlich richten die Nationen ihre Fäuste und Bomben gen Himmel, kommt, steht auf und verkündet: „Christus wurde in Bethlehem geboren“! in faszinierendem Kontrast zum melodischen, tragend-ruhigen Gesang des Chores, der im Hintergrund in steter Wiederholung von „Hark! The herald angels sing: "glory to the new born King!" gegenhielt.

Auch wenn ihre durchaus gelungene moderne Version nicht jedem zusagte, hinterließ sie doch ein eindrucksvolles Aha-Erlebnis; ein Staunen über die Möglichkeiten kontrastreicher Interpretation und Ausführung herkömmlicher Musikstücke sowie anhaltendes Nachdenken über die Möglichkeiten der Deutung ihrer Inszenierung, die die Bedrohung des Friedens und der Freiheitswerte kaum deutlicher machen konnte.

Während der Johannes-Chor jeweils begleitet von den beiden E-Gitarren und einem Schlagzeug mit „Stop the Cavalry“, „Do they know it’s Christmas“ und dem abschließenden Antikriegslied „Happ X-Mas (War is over)“ im Verlauf des Programms die fetzig-flotten Stücke beibehielt, steuerten das Grummer Blech, der Kinderchor Seliger Nikolaus Groß und der Chor der Katholischen Kirchengemeinde Seliger Nikolaus Groß den Abend in ruhigeres Fahrwasser, wobei letzterer ebenfalls „neue Töne“ beisteuerte.
Durch mehrmaligen Chorleiterwechsel erkennbar geschrumpft, ist der Chor derzeit dabei, sich unter der Leitung von Marco Bergolte neu zu finden und mit veränderten Techniken des Singens auseinanderzusetzen. So erzeugte das eher ungewohnt leise und verhaltene Vortragen des lebendig-flotten „Carol oft he bells“ zunächst den erschrockenen Eindruck, die Stimmen könnten ihren Einsatz verpasst haben. Wer jedoch Marcos Arbeitsweise kennt, erinnert, dass dem jungen Mann die leise Exaktheit und die stimmliche Dynamik besonders am Herzen liegen. Und so stellte der Chor u.a. mit „From a distance“ seine Entfaltungsmöglichkeiten deutlich unter Beweis.

Große Sympathie den Kindern

Die Sympathien aller hatte auch dieses Mal wieder der Kinderchor der Gemeinde Seliger-Nikolaus-Groß auf seiner Seite. Mit „Und wenn er wirklich wiederkäme“, „In das Warten dieser Welt“ und „Aus der Armut eines Stalles“ sangen sich die 15 Kinder im Grundschulalter unter der Leitung von Friederike Lammert Budde problemlos in die Herzen der Zuhörer. Absolut anerkennenswert war das auswendige Singen aller Stücke! Und so tat es ihrer Leistung keinen Abbruch, dass sie bei „Und wenn er wirklich wiederkäme“ noch einmal neu beginnen mussten, da sie sich aus unerklärlichen Gründen untereinander einig waren, dass nur die vierte Strophe gesungen würde; und Einigkeit macht bekanntlich außerordentlich selbstbewusst.

Am Klavier begleitet wurden die Jüngsten durchweg von Jan-Martin Schemmann. Der vor dem Abitur stehende 17-jährige Schüler ist bereits seit zwei Jahren eine feste „Instanz“ des Kinderchores. Nach dem Weihnachtskonzert 2012 löste er Paul Budde ab, der sich aus zeitlichen Gründen aus der Arbeit mit dem Chor zurückzog. Und weil das „Jan-Martin wird mal mein Piano-Man“ von Friederike Lammert-Budde mittlerweile zum geflügelten Wort geworden war, trat er mit Beginn des Jahres 2013 Pauls Nachfolge an. Seitdem begleitet auch er die Kinder ehrenamtlich bei ihren wöchentlichen Proben am Klavier und gestaltet deren Auftritte in den Kirchen mit.

Positiv fiel im Weihnachtskonzert nicht nur die saubere Artikulation aller Chöre und das auswendige Singen der Kinder auf. Positiv empfunden wurde auch, dass die Chöre zum ersten Mal alle im Altarraum sangen und – mit Ausnahme des Kinderchores - nicht wie bisher von den Seiten ihrer Sitzplätze. Auch wenn das Auf- und Abtreten ein wenig Zeit erforderte, ergab sich doch ein weitaus stimmungsvolleres Bild.
Auch das schon für die Kindervesper am Heiligen Abend aufgestellte kleine Stallgebäude verstand Atmosphäre zu erzeugen, war es doch gleichzeitig eine ebenso attraktive wie angemessene „Behausung“ für die beiden E-Gitarren des evangelischen Chores.

Weniger gelungen wurden die beiden Lesungen von Gernot Bock erlebt. In guter Absicht trug er im Verlauf des Programms u.a. Hanns-Dieter Hüsch vor, zerriss dadurch jedoch die musikalische Atmosphäre, die sich den Kirchenraum erobert hatte. Es half auch wenig, dass er vor Beginn der Lesung im Versuch humorvoller Überleitung zugab, selber nicht so richtig dahintergekommen zu sein, was Hüsch mit seiner Erzählung eigentlich sagen wolle. So blieb am Zuhörer die Frage kleben, warum er dann überhaupt gelesen hat und ob es immer Hüsch sein muss, wenn man zu einer angenehmen Weihnachtsatmosphäre beitragen möchte?

Gut auf den Selbstläufer achten

Pfarrer Rottmann hatte es in seiner Begrüßung ausgesprochen: Als Auftakt in das Weihnachtsfest ist das Grummer Weihnachtskonzert längst ein Selbstläufer geworden und so ist es in der Tat. Es ist eine feste Größe im Jahresverlauf, auf die wohl niemand mehr verzichten möchte. Aber auch ein Selbstläufer ist ein sensibles Gebilde, auf dessen selbstverständliche Gesundheit man sich nicht verlassen darf. Auch kleine Befindlichkeitsstörungen können einen Selbstläufer ins Schlingern bringen. Wie viel Modernes ist verträglich, wie viel Althergebrachtes nötig, um das „volle Haus“ auch künftig voll zu haben? Sind wirklich zwei Lesungen angebracht, wenn sie den musikalischen Genuss zerschneiden oder singt man stattdessen noch ein wenig mehr gemeinsam, um ein Gefühl untrennbarer Gemeinschaft herzustellen? Und wie entlässt man Zuhörer und Chöre gespürt gelungen in die Weihnachtstage? Die Gestaltung dieses wichtigen Vorweihnachtsabends wird immer auch ein mutiger Balanceakt bleiben.

Auch wenn das Programm wie immer abwechslungsreich gestaltet war, blieb bei genauem Hinsehen in diesem Jahr ein Missverhältnis, das einige Beteiligte und Zuschauer irritierte: fünf Auftritten des Johannes-Chores standen nur drei Auftritte des Katholischen Chores gegenüber, was dem Gerechtigkeitsempfinden nicht unbedingt gefiel.
Und die ungewohnte Tatsache, dass es nach den Dankesworten von Pfarrer Rottmann weder eine Zugabe aller Chöre, noch ein abschließendes gemeinschaftliches Singen gab, während doch jeder Gottesdienst seine Gemeinde mit einem Orgelnachspiel entlässt, erzeugte den wenig gemütlichen Eindruck, hinauskomplimentiert zu werden. Das also bitte unbedingt wieder ändern, denn ein so stummer Aufbruch aus der Kirche nach Hause ist nach einem beeindruckenden Konzertabend dann doch nicht wirklich schön.

Also dann: Auf ins nächste Konzert. Am 23.12.2015?

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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