Kein Schlüsselroman – und doch ganz nah an der Realität: Auch Lucie Flebbes neuer Krimi „Jenseits von Wut“ spielt in Bochum

Jobcenter-Chef Frank Böttcher bescheinigt Autorin Lucie Flebbe, die Realität seiner Behörde im Roman "Jenseits von Wut" differenziert dargestellt zu haben. | Foto: Jahn, Jobcenter Bochum
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  • Jobcenter-Chef Frank Böttcher bescheinigt Autorin Lucie Flebbe, die Realität seiner Behörde im Roman "Jenseits von Wut" differenziert dargestellt zu haben.
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„Vor einiger Zeit habe ich das Bochumer Jobcenter bei der Aktion 'Bei Anruf Job' unterstützt und Stellenangebote für Langzeitarbeitslose eingeworben“, erinnert sich Krimiautorin Lucie Flebbe und fährt fort, „jetzt habe ich meine Erfahrungen in meinem neuen Roman mit einer Geschichte verknüpft.“

Dabei ist „Jenseits von Wut“ für Lucie Flebbe ein Aufbruch zu neuen Ufern: Im vergangenen Jahr hat sie ihren neunbändigen Romanzyklus um die angehende Privatdetektivin Lila Ziegler beendet und startet nun eine neue Reihe, die allerdings nur auf drei Bände angelegt ist. „Ich will nicht immer das Gleiche machen und habe auch nicht die Absicht, eine meiner Krimireihen endlos auszudehnen“, erklärt Flebbe.
„Jenseits von Wut“ sei insofern durchaus als Neuanfang zu verstehen: „Ich habe zwar in einer ersten Leserunde das Feedback bekommen, dass man meinen Stil durchaus erkennen könne, aber der Ton ist doch ein etwas anderer: Während die Lila-Ziegler-Reihe auch von Zwölfjährigen gelesen wird, ist mein neues Buch für diese Altersgruppe nicht geeignet. Die Entwicklung der Figuren bedingt den Erzählton.“

Ermittlungen in Bochum

Edith, genannt Eddie, Beelitz, alleinerziehende Mutter, die neben der Trennung von ihrem Ehemann Philipp auch noch den Wiedereinstieg in den ungeliebten Beruf als Kommissarin zu bewältigen hat, ermittelt wie Lila Ziegler in Bochum. Flebbe, in Hameln geboren und heute in Bad Pyrmont ansässig, recherchiert akribisch, um ein realistisches Bild der Stadt zu zeichnen. „Hier gibt es einfach ganz viele nette Menschen, die meine Arbeit unterstützen“, begründet Flebbe, die schon vor fünf Jahren mit den Vorarbeiten zu „Jenseits von Wut“ begonnen hat, warum sie ihrem Schauplatz treu geblieben ist. Sie ergänzt: „Die Stadt hat Ecken und Kanten und mir gefällt die direkte Art der Menschen.“
Schon im Lila-Ziegler-Roman „Hämatom“ ist Lucie Flebbe, die bei ihren Recherchen von ihrem Ehemann unterstützt wird, in sensibles Gebiet vorgestoßen: Erkundigungen in einem Krankenhaus einzuziehen, erfordert schließlich viel Fingerspitzengefühl und Diskretion auf Seiten der Autorin und Vertrauen bei Personal und Patienten auf der anderen Seite. Das war bei den Recherchen im Jobcenter nicht wesentlich anders. „Es war sehr nett von den Jobcenter-Kunden, mich an Beratungsgesprächen teilnehmen zu lassen“, stellt die Autorin die Kooperationsbereitschaft der Arbeitssuchenden heraus. „Ich habe“, erinnert sie sich, „erklärt, wer ich bin und warum ich das Jobcenter besuche und den Kunden auch jeweils eines meiner Bücher mitgegeben.“

Lob aus berufenem Mund

Zwei, die beurteilen können, ob sich der Aufwand gelohnt hat, sind Dr. Regine Schmalhorst, Chefin der Bochumer Arbeitsagentur, und Frank Böttcher, der als Geschäftsführer für das Jobcenter verantwortlich ist. „Der Roman wird unserer Arbeitsrealität absolut gerecht“, zeigt sich Schmalhorst, die auch schon die Lila-Ziegler-Romane gern gelesen hat, auch von „Jenseits von Wut“ angetan. Böttcher hofft, dass der Roman bestehende Vorurteile abbauen kann: „Sowohl über die Mitarbeiter als auch über die Kunden des Jobcenters wird in der Öffentlichkeit leider häufig sehr pauschal geurteilt. 'Jenseits von Wut' wirft einen differenzierteren Blick auf beide Gruppen. Insofern ist das Buch mehr als ein Roman.“

Kein Schlüsselroman, aber nah an der Realität

Das heißt jedoch nicht, dass „Jenseits von Wut“ ein Schlüsselroman wäre, wie Lucie Flebbe klarstellt: „Die Romanfiguren sind frei erfunden. Recherchen ermöglichen es mir aber, Räumlichkeiten und Arbeitsabläufe realitätsnah zu schildern.“ Auch die Bochumer Polizei hat Flebbe ihre Türen geöffnet. „Da durfte ich auch schießen“, blickt sie zurück.
„Wenn ich die eigentliche Geschichte im Kopf habe“, gibt Flebbe Einblick in ihre Werkstatt, „beginnt die Recherche. Dabei achte ich jedoch immer darauf, die Fiktion von der Realität abzugrenzen: Da das Bochumer Jobcenter von einem Mann geleitet wird, habe ich mich im Roman für eine Geschäftsführerin entschieden. Bei aller Realitätsnähe meiner Romane achte ich darauf, dass die Spannung nicht zu kurz kommt. Ich will schließlich unterhalten.“

Griff ins pralle Ruhrgebietsleben

Auch wenn die Figuren Lucie Flebbes Phantasie entsprungen sind, ist eine Gestalt wie Eddie Beelitz' Nachbarin Mütze – vom Leben gebeutelt, aber entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen – doch unverkennbar dem prallen Ruhrgebietsleben abgelauscht. „Wo sollte diese Frau leben, wenn nicht in Gerthe?“, fragt Flebbe schmunzelnd.

Neue Arbeitsweise

Sie nutzt ihre neue Romanreihe, um eine andere Arbeitsweise zu erproben: „Den Lila-Ziegler-Zyklus hatte ich zu Beginn zwar auch schon grob im Kopf, aber diesmal habe ich noch dichter strukturiert. Ich hoffe, dass die Trilogie dadurch mehr Tempo bekommt. Inwieweit das gelungen ist, wird sich aus einem gewissen zeitlichen Abstand zeigen. Auch der zweite und dritte Band der Reihe sind übrigens schon fertig geschrieben.“ - „Jenseits von schwarz“, der zweite Band, erscheint allerdings erst im Frühjahr 2019. Wer nicht so lange warten mag: „Jenseits von Wut“ enthält bereits eine Leseprobe.

Zwei Erzählebenen

Flebbe ist für ihre neue Romanreihe dem Dortmunder Grafit-Verlag treu geblieben. „Wir haben Lucie Flebbe wie allen unseren Autoren“, betont Verlegerin Ulrike Rodi, „völlig freie Hand gelassen. Interessant ist die Konstellation mit zwei Ich-Erzählern.“ - Neben Eddie Beelitz schildert eine zweite, Zombie genannte, Figur das Geschehen aus ihrer Sicht. Wie die dadurch entstehenden Erzählebenen miteinander verzahnt sind, erkennt der Leser erst nach und nach.
Außerdem ist der Roman in ganz unterschiedlichen Milieus angesiedelt: Nach der Trennung von ihrem Mann Philipp findet sich Eddie, die zuvor in einem Eigenheim im Bochumer Süden gelebt hat, das sich das Paar freilich nur dank der tatkräftigen Unterstützung von Philipps Eltern hat leisten können, in einer Siedlung wieder, die hauptsächlich von Menschen bewohnt wird, die auf Hartz IV angewiesen sind. Und dort trifft Eddie Beelitz auch auf jene lebenskluge Nachbarin Silvana Kappe, genannt Mütze...

Das Buch
Lucie Flebbe: Jenseits von Wut. Grafit-Verlag (ISBN 978-3-89425-587-9).

Termin
- Lucie Flebbe liest am Donnerstag, 11. Oktober, um 20 Uhr in der Buchhandlung Mirhoff & Fischer, Pieperstraße 12.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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