Stadtwerke Bochum haben die Zukunft in die Hand genommen - Liberalisierung der Energiemärkte als Chance begriffen

Die zukünftige Stadtwerke-Wertschöpfungskette: Strom auf hoher See erzeugen, demächst Strom im Pumpspeicherkraftwerk zwischenspeichern und Strom im Leitungsnetz des eigenen Tochterunternehmens verteilen. | Foto: Stadtwerke, Stadtspiegel Herdecke
  • Die zukünftige Stadtwerke-Wertschöpfungskette: Strom auf hoher See erzeugen, demächst Strom im Pumpspeicherkraftwerk zwischenspeichern und Strom im Leitungsnetz des eigenen Tochterunternehmens verteilen.
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Wer versucht, einmal hinter die wirtschaftlichen Kulissen der Stadtwerke Bochum zu schauen, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Über die Dachgesellschaft Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet sind die Stadtwerke Bochum an der europaweit aufgestellten Trianel AG, zu der 53 kommunalen Versorger gehören, beteiligt. Und gemeinsam investieren die Partner Milliarden in neue Kraftwerke und Windkraftanlagen, projektieren Pumpspeicherkraftwerke an gleich drei Standorten. Zum Portfolio der Stadtwerke gehören weiterhin die 50prozentige Beteiligung an der Gelsenwasser AG und der Anteil am Stadtwerke-Konsortium Rhein-Ruhr, das vor fast zwei Jahren 51 Prozent an der Steag für 649 Millionen Euro erwarb.

Vor zwanzig Jahren übernahm Bernd Wilmert, dessen Vertrag als Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum erst im Dezember um fünf Jahre verlängert wurde, das Ruder bei den Stadtwerken Bochum. Damals ein reiner Energieversorger, der Strom, Gas und Wasser über sein Leitungsnetz im Bochumer Konzessionsgebiet an die Verbraucher verteilte, stand er mit der 1998 beginnenden Deregulierung der Energiemärkte vor der entscheidenden Frage: „Stecken wir den Kopf in den Sand und machen weiter wie bisher oder begreifen wir die Öffnung der Energiemärkte als eine Chance für das Unternehmen.“

Energie- und Wasserversorgung
Mittleres Ruhrgebiet (ewmr)

Noch im gleichen Jahr gründeten die Stadtwerke Bochum, Herne und Witten mit der Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet (ewmr) eine gemeinsame Dachgesellschaft. Die Stadtwerke Bochum hält mit 57 Prozent den größten Anteil an dieser Holding. „Damals ein bundesweit einmaliges Beteiligungskonzept, das wir in zahlreichen anderen Kommunen vorstellten“, so Bernd Wilmert in der Rückschau.

"Gelsenwasser-Deal"
und Trianel-Beteiligung

Während der „Gelsenwasser-Deal“ in der Energiebranche für Wirbel sorgte, die Bietergemeinschaft der Stadtwerke Dortmund AG und die Stadtwerke Bochum erwarben 80,51 Prozent der Gelsenwasser-Aktien für 835 Millionen Euro (in diesem Jahr sind zwei Drittel der Summe bezahlt) von der E.ON AG, hatten sich die Stadtwerke Bochum über die ewmr an einem anderen, auf dem Energiemarkt noch völlig unbekannten „Mitspieler“ beteiligt, der Trianel AG. Gegründet 1999 von den Stadtwerken Aachen, Maastrich und Schiedam sowie der Aseag Energie GmbH und den Niederrheinwerken Viersen, übernahm die ewmr 2001 auf Grund seiner Größe 47,3 Prozent der Anteile. Heute sind 53 Stadtwerke aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz an der Trianel AG beteiligt. Der Anteil der Stadtwerke Bochum über die ewmr beträgt aktuell 26,68 Prozent.

Stadtwerke-Netzwerk
baut eigenes Kraftwerk

„Damals waren bei der Trianel AG sechs Mitarbeiter beschäftigt. Heute arbeiten rund 300 Menschen in dem Unternehmen, die einen Umsatz von rund drei Milliarden Euro erzielen“, berichtet nicht ohne Stolz Bernd Wilmert, der als Aufsichtsratsvorsitzender den Weg des in Aachen beheimateten Unternehmens unter die „Großen der europäischen Energiebranche“ begleitet.

Doch es dauerte vier Jahre, bis 2005 die Entscheidung fiel, dass die Trianel AG das erste kommunale Gas- und Dampfkraftwerk in Hamm-Uentrop errichtet. Die Stadtwerke Bochum sicherten sich damals über die ewmr einen Anteil von 18 Prozent. Im Jahr 2007 ging das GuD-Kraftwerk ans Netz. Mit der dort erzeugten Strommenge lassen sich 30.000 Haushalte im ewmr-Gebiet über ein Jahr mit Strom versorgen. Die Investitionen in den Bau der Anlage beliefen sich auf rund 450 Millionen Euro. Die Stadtwerke Bochum - im Verbund der ewmr -investierten rund 40 Millionen Euro.

Stromhandel an der
Leipziger Strombörse

Es war der erste bedeutende Schritt weg vom reinen Energieverteiler hin zum „Energieerzeuger“. Gleichzeitig nutzen die Stadtwerke Bochum und die mit ihr verbundenen Partner immer intensiver die Möglichkeit, über die Strombörse in Leipzig Strommengen für den Eigenbedarf einzukaufen und mit ihnen zu handeln. „Wir benötigen eine schlagkräftige Truppe. Die Trianel baut in Aachen einen Handelsplatz, einen Traidingfloor für 100 Händler auf, damit wir schnell auf Preisschwankungen reagieren können“, so Bernd Wilmert. „Die Trianel AG handelt mir rund 20 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr.“

Kohlekraftwerk in Lünen
und Windpark vor Borkum

Der nächste große Schritt folgte 2008. Die Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum, Herne und Witten sowie 28 weitere Projektpartner der Trianel unterzeichneten den Beschluss zur Errichtung und Betrieb eines Kohlekraftwerks in Lünen. Die Kosten liegen bei rund 1,4 Milliarden Euro. Das Kraftwerk wird eine elektrische Nettoleistung von 750 Megawatt erzeugen. Diese Leistung entspricht der Versorgung von bis zu 1,6 Millionen Haushalten. „Ich will nicht verschweigen, dass wir mit dem Bau große Probleme haben“, erklärt Bernd Wilmert, der trotz der geänderten Voraussetzungen davon ausgeht, dass 2017 oder 2018 das Kohlkraftwerk ans Netz gehen kann.

Durch die weltweite Finanzkrise fast ausgebremst war nach fast dreijähriger Projektentwicklung 2010 der Weg zum Bau des Trianel Windkraftwerks Borkum frei. Der 56 Quadratkilometer große Windpark entsteht rund 45 Kilometer nördlich vor der Borkumer Küste. Nach der Fertigstellung zur Jahreswende 2012/2013 soll der „Regelbetrieb“ beginnen. Mehr als (200.000 Haushalte werden dann durch den 200 MW starken Windpark mit umweltfreundlichem Strom versorgt.

Die Investitionssumme für den ersten Bauabschnitt von über 700 Millionen Euro tragen die Stadtwerke Bochum und 34 weitere Gesellschafter. Sie streben nach der zweiten Ausbaustufe eine Gesamtleistung von 400 MW an. Die Stadtwerke Bochum sind am Trianel Windpark Borkum mit rund 37 Megawatt beteiligt. Diese jährlich erzeugte Energiemenge reicht aus, um rund 42.000 Haushalte mit umweltfreundlichem Strom aus Windenergie zu versorgen.

Während die Stadtwerke Bochum über die ewmr gemeinsam mit der Trianel AG die Energieerzeugung immer weiter voran treiben, um das Ziel, zwei Drittel der benötigten Strommenge selbst zu erzeugen, zu erreichen, legt die Aachener Trianel AG ein weiteres Großprojekt auf. Als einziges deutsches Energieunternehmen entwickelt Trianel gleich drei Speicherkraftwerksstandorte in der Eifel, in Ostwestfalen und im Thüringer Wald. Die Gesamtleistung der Kraftwerke beträgt über 2000 Megawatt, das Investitionsvolumen über zwei Milliarden Euro.

Lücke in der Wertschöpfung mit
Pumpspeicherkraftwerk schließen

„Dort wo es wirtschaftlich ist, das planungsrechtlich Umfeld stimmt und sich das Projekt ökologisch umsetzten lässt, werden wir ein Speicherkraftwerk bauen“, so der Trianel-Aufsichtsratsvorsitzende Bernd Wilmert, der davon überzeugt ist, dass ein Speicherkraftwerk notwendig ist. „Damit wird eine Lücke in der Wertschöpfungskette geschlossen. Wir müssen den Strom, der an der in windstarken Zeiten an der Nordsee erzeugt wird, nicht nur transportieren, sondern so lange speichern können, bis er dann hier in Bochum benötigt wird.“
Zudem projektiert die Aachener Trianel neben den Wasserspeicherkraftwerken ein Gas- und Dampf-Kraftwerk in Krefeld und Onshore Windparks in Sachsen-Anhalt für die kommunalen Stadtwerke-Partner.

Stadtwerke-Konsortium
kauft 51 Prozent der Steak

Es war der Deal des Jahres 2010. Das Stadtwerke-Konsortium Rhein-Ruhr, ein Zusammenschluss der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21), der Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21), der Energieversorgung Oberhausen AG (evo), der Stadtwerke Bochum GmbH, der Stadtwerke Essen AG, der Stadtwerke Dinslaken GmbH und der Stadtwerke Duisburg AG, erwarb 51 Prozent der Steag AG. „Die Investition in die Steag dient nicht nur der weiteren Stärkung unseres eigenen Geschäftes. Mit den Anlagen der Steag sind wir vielmehr innerhalb des Konsortiums in der Lage, künftig auf eigene, leistungsfähige Erzeugungskapazitäten zurückgreifen zu können“, begründet Bernd Wilmert diesen für die Energiebranche überraschenden Schritt.

Biomasseheizkraftwerk
in Papenburg

Mit der Beteiligung am Biomasseheizkraftwerk in Papenburg an der Ems zeigen die Stadtwerke Bochum seit 2003 wie man Ökonomie und Ökologie sinnvoll kombiniert. Rund 50 000 Haushalte kann das Heizkraftwerk mit Strom versorgen, wenn pro Sekunde sechs Kilogramm Altholz verbrannt werden.

Solarkraftwerk deckt Bedarf
von 400 Drei-Personen-Haushalte

Zum Erzeuger-Portfolio der Stadtwerke Bochum gehört auch das Solarkraftwerk nahe Würzburg. Auf einer Fläche von circa 8,5 Fußballplätzen werden seit 2008 bei einer durchschnittlichen Sonnenscheindauer rund 1,6 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr produziert. Diese Energie deckt den Bedarf von rund 400 Drei-Personen-Haushalten im Jahr. Die Ausnutzung des Sonnenlichts ermöglicht im Vergleich zu konventionellen Energieerzeugungsanlagen ein jährliches Einsparungspotenzial von über 1000 Tonnen Kohlendioxid.

Projekte in Bochum
werden angestoßen

Doch ein Ende der Investitionen der Stadtwerke ist noch nicht in Sicht. Photovoltaik-Anlagen auf Bochumer Hausdächern werden errichtet, das Grubenwasser der ehemaligen Schachtanlage Robert-Müser in Werne soll in Fernwärme umgewandelt werden und im Stadtwerke-Hochhaus am Ostring wird überlegt, aus dem Wasserwerk in Stiepel ein reines Laufwasserwerk zu machen. „Wir wollen die Erzeugung von regenerativer Energie hier in Bochum zeigen, sie erfahrbar machen“, so Bernd Wilmert, der jetzt als „Energiemanager des Jahres“ für die Umsetzung seiner Vision vom „Energieverteiler“ hin zum „Energieerzeuger und –versorger“ ausgezeichnet wird.

Autor:

Ernst-Ulrich Roth aus Bochum

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