Was hindert Menschen nach Bochum ziehen?

Verkehrsmittelwahl - Mobilitätssteckbrief | Foto: Stadt Bochum
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In fast allen Großstädten Deutschlands nimmt die Bevölkerung sowie die Wirtschaftskraft zu, besonders in Universitätsstädten. In Bochum allerdings nicht. Welche Gründe hat es, dass in Bochum die Bevölkerung aufgrund der Demografie massiv abnimmt und überaltert, die Abnahme aber nicht durch zuziehende Menschen ausgeglichen werden kann? Steuern zahlende Menschen und Unternehmen zieht es kaum nach Bochum, eher wandern sie ab.

Ein wesentlicher Grund ist sicher, es fehlt an Arbeitsplätzen, aber es gibt auch andere Gründe, warum Steuern zahlenden Menschen die Stadt nicht als Wohnsitz wählen.

Nehmen wir an eine Familie mit zwei Kindern erwägt grundsätzlich nach Bochum zu ziehen, weil z.B. ein attraktives Jobangebot vorliegt. Sie kommen aus einer Stadt wie Aachen, Berlin, Münster oder Oldenburg. Die Familie besitzt ein Auto, die Kinder fahren alleine mit dem Rad zur Grund- oder weiter führenden Schule oder gehen dorthin zu Fuß. Man wohnt in einem ruhigen Stadtviertel. Den täglichen Einkauf erledigt die Familie ebenfalls zum großen Teil im Stadtviertel, Die Geschäfte sind fußläufig erreichbar. Man schätzt die belebten Plätze im Wohnviertel, wo man sich auch mal gerne mit Freunden, Nachbarn und Kollegen auf auf ein Schwätzchen, einen Kaffee oder ein Bier trifft.

Jetzt überlegt die Familie, wenn sie dort hinziehen sollte, in Bochum ihr Leben in gleicher Weise einzurichten. Dabei sind ihr besonders folgende Punkte wichtig:

Ruhige Wohnlage - Bereits einen ruhigen Wohnort zu finden ist in Bochum und Wattenscheid allerdings nicht ganz einfach. Etwa die Hälfte der Bochumer Wohnbevölkerung ist von Straßen- bzw. Bahnlärm erheblich beeinträchtigt (Bericht zum Lärmaktionsplan). Hier liegt der Geräuschpegel am Tag über 55 dB bzw. in der Nacht über 50 dB. Allein tagsüber müssen 131.500 Bochumer und Wattenscheider Straßenlärm bis über 75 dB aushalten. Viele Bochumer haben sich über Jahrzehnte an den Lärm gewöhnt. Von denjenige, die aus ruhigeren Städten zuziehen wollen, werden lärmbelastete Wohnlagen dagegen nicht als geeignete Wohnorte angesehen, trotzdem Wohnungen an 4-spurigen Hauptverkehrsstraßen entsprechend des auszuhaltenden Lärms extrem günstig sind. Wohnraum in ruhiger Lage ist hingegen oft teuer.

Sichere Schulwege - Dass die Kinder von zu Hause selbständig zu Fuß oder mit dem Rad in die Grundschule fahren, halten in Bochum viele Eltern für zu gefährlich. Sie haben Angst vor dem Verkehr in der Stadt, der viel zu wenig sichere Rad- und Fußwege für Kinder vorsieht. Viele Jugendliche werden daher selbst zu den weiter führenden Schulen mit dem Auto gebracht. Das Grundschulkinder mit dem Rad zur Schule kommen, wird von der Stadt sogar bewusst verhindert. Fahrradständer an Grundschulen sind daher an fast keiner Grundschule vorhanden, die Schulleiter weisen die Eltern darauf hin, dass das nicht möglich sei.

Fußläufige Einkaufsmöglichkeiten im Stadtviertel - Auch der Einkauf zu Fuß oder mit dem Rad im Stadtviertel ist in Bochum ein Problem. Es fehlt in vielen Stadtteilzentren an einer guten Auswahl und attraktiven Geschäften. Wochenmärkte sind in vielen Vierteln nur noch rudimentär vorhanden. Auch an gut ausgebauten Rad- und Fußwegen fehlt es. Radwege fehlen häufig sogar ganz. Fußwege werden nicht selten mit Autos zugeparkt und sind daher z.B. nicht nur mit Kinderwagen schwer benutzbar. Bochumer und Wattenscheider sind es gewohnt ihre Einkäufe außerhalb der Stadtviertel in regelmäßig gesichtslosen Einkaufszentren mit dem Auto zu erledigen. Wenn es geht, wird einmal in der Woche alles eingekauft und nach Hause gefahren.

Niedrige Mobilitätskosten - Damit die Familie, die in Betracht zieht nach Bochum zu kommen, die zusätzlichen Wege statt wie bisher mit Rad oder zu Fuß mit dem Auto zurücklegen kann, müsste sie ein zweites Fahrzeug anschaffen. Dies würde eine zusätzliche finanzielle Belastung der Familie von mindestens 500 Euro pro Monat bedeuten.

Hohe Aufenthaltsqualität im Stadtteil - Auch belebte und attraktive Plätze gibt es in Bochum und Wattenscheid kaum. Da findet der Wochenmarkt, oder das was davon übrig ist, auf einem Parkplatz oder Parkhaus statt (z.B. Gerthe und hinter dem Hbf.). Manche Plätze sind kaum mehr als Parkhausdeckel (z.B. Husemann- und Dr. Ruer-Platz), andere Plätze wurden zu Straßenkreuzungen degradiert (z.B. August-Bebel-Platz), wieder andere wurden städtebaulich schwer vernachlässigt (z.B. Alter Markt), noch andere wurden zu leblosen Kunstwerken umgestaltet (z.B. Platz des Europäischen Versprechens). Lebenswerte Orte und Plätze, an denen sich die Menschen treffen, verweilen, sich auf einen Schwatz verabreden, eine Einkaufspause machen und dort einen Kaffee oder ein Bier trinken, gibt es leider nur sehr wenige.

Im Ergebnis kann Bochum und Wattenscheid mit anderen Städten nicht (mehr) mithalten. Es ist für Familien mit Ansprüchen an den Wohnort wie hier beschrieben, zu unattraktiv. Die gewohnte Lebensqualität, die sie aus anderen Städten gewohnt ist, lässt sich in Bochum und Wattenscheid nur an wenigen und dann entsprechenden teuren Wohnorten beibehalten. Die Familie wird also vermutlich nicht nach Bochum ziehen.

Auch an den reinen Zahlen (siehe Mobilitätssteckbrief) zeigt sich, Bochum und Wattenscheid liegen bei der Stadtentwicklung 10-20 Jahre hinter den meisten deutschen Großstädten zurück. Während in Metropolregionen oder großen Städten mit entsprechendem Umland regelmäßig nur noch 35-40% aller Wege mit dem Auto (MIV) zurück gelegt werden, sind es bei uns immer noch 56%.

Besonders fatal: selbst Wege unter 1 km werden in Bochum zu 25% mit dem Auto (MIV) zurück gelegt, bei den Wegen von 1 bis 3 km sind es sogar 51%. Fast die Hälfte aller in der Stadt zurück gelegten Wege sind nur maximal 3 km lang. Bochumer und Wattenscheider benutzen das Auto selbst dann, wenn insbesondere das Radfahren nicht nur billiger, sondern auch erheblich schneller und - bei gut ausgebautem Radwegenetz - dazu deutlich bequemer wäre. Die Ursache von verstopften Straßen und dem hohen Lärmpegel liegt somit zu allererst daran, dass in Bochum selbst die kürzesten Strecken vielfach mit dem Auto zurück gelegt werden. Und das selbst dann, wenn der Einsatz anderer, die Mitmenschen weniger belastende Verkehrsmittel, eigentlich viel sinnvoller sein sollte.

Warum bevorzugen die Menschen in Bochum auch bei solchen Kurzstrecken das Auto? Die Stadt ist für Fußgänger und Radfahrer unattraktiv. Das zeigt sich besonders daran, dass ein Drittel der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, das Ziel haben die Einkäufe zu erledigen (nur etwas über ein Viertel der Wege haben als Ziel den Arbeitsort). Vergleichsweise wenige Menschen kaufen in Bochum und Wattenscheid zu Fuß oder mit dem Rad im eigenen Stadtviertel ein. Die Einkaufsmöglichkeiten in vielen Stadtvierteln werden offenbar als unattraktiv angesehen und die Stadtteilzentren daher von vielen gemieden.

Für den Einzelhandel hat dieses Mobilitätsverhalten fatale Konsequenzen. Während Fußgänger und Radfahrer fast alle Einkäufe in ihrer Stadt bzw. ihrem Stadtviertel erledigen, erledigen Autofahrer regelmäßig ihre Einkäufe auch in Nachbarstädten oder in nicht in Wohnvierteln integrierten Einkaufszentren und gehen damit den Kaufleuten der Stadt als Kunden verloren.

Gute Verkehrswege für den Autoverkehr animieren die Autofahrer zwar auch aus anderen Städten in Bochum zum Einkaufen zu kommen, die Bochumer und Wattenscheider Autofahrer werden aber gleichfalls angeregt, ihrerseits in andere Städte zum Einkaufen mit dem eigenen PKW zu fahren. Da die Innenstädte von Essen und Dortmund sowie der Ruhrpark oder das Centro bereits wegen ihrer Größe den Innenstädten von Bochum und Wattenscheid überlegen sind, fördern gut ausgebaute Straßen tendenziell eher den Einkauf von Bochumern und Wattenscheidern außerhalb der eigenen Stadt als den Besuch von Kunden aus benachbarten Städte in Bochum oder Wattenscheid. Entsprechend entwickelt sich der Einzelhandel in den Innenstädten wie Stadtteilzentren seit Jahren negativ. Die Auswirkungen des Ausbaus von Bochum zur autogerechten Stadt in den 60iger bis 80iger Jahren macht dem Einzelhandel schwer zu schaffen.

Die Ziele für die zukünftige Stadtentwicklung liegen damit auf der Hand: Die Stadt muss besonders für Menschen, die zuziehen könnten und in Bochum Steuern zahlen würden, attraktiver werden. Dazu muss der Verkehrslärm reduziert werden. Die Stadt muss konsequent für Fußgänger und Radfahrer attraktiver gemacht werden, damit die Menschen für Wege unter 3 km nur noch im Ausnahmefall ihr Auto benutzen. Die Stadtviertel müssen aufgewertet werden, besonders müssen mehr lebenswerte Plätze geschaffen werden, die die Menschen zum Verweilen anregen. Auf diese Weise sollte es gelingen einen wichtigen Impuls zu geben, um den Einzelhandel besonders in den Stadtvierteln und nicht zuletzt auch die Stadtteilmärkte wieder zu beleben

Insgesamt bedarf die Stadtentwicklung in Bochum einer grundlegenden Neuausrichtung. Diese muss der neue Stadtbaurat einleiten. Er muss die Weichen stellen, damit Bochum und Wattenscheid wieder Anschluss an den Standard der Stadtentwicklung finden, der in prosperierenden Groß- und Universitätsstädten schon vor Jahren erreicht wurde. Dabei können nicht andere Ruhrgebietsstädte der Maßstab sein. Der Anspruch von Bochum als Stadt mit 59.000 Studenten muss höher sein. Die Stadt sollte sich in einer Weise positiv entwickeln, wie dies auch den anderen großen Universitätsstädten in Deutschland gelingt.

Wichtig ist auch, dass sich die Blickrichtung der Stadtentwicklung ändert. Im Vordergrund sollte stehen, die Stadt für neue Bewohner attraktiver zu gestalten, damit die Bevölkerung wieder wächst. Daher müssen die Ansprüche derjenigen, die Bochum als Wohnort in Betracht ziehen, zu vordringlichen Bezugspunkten bei der Stadtentwicklung werden.

Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos

BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz

Verkehrsmittelwahl - Mobilitätssteckbrief | Foto: Stadt Bochum
Lärmbetroffene - Bericht zum Lärmaktionsplan | Foto: Stadt Bochum
Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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