VfL Bochum geht in zehnte Saison in der 2. Liga - Sprecher der Geschäftsführung über Ziele, Stolz und Geld
Bochums Boss Ilja Kaenzig im Exklusiv-Interview: "Der VfL ist eine bedrohte Spezies"

Ilja Kaenzig stellt als Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum die Weichen für die Zukunft des Traditionsclubs. Archivfoto: Molatta
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  • Ilja Kaenzig stellt als Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum die Weichen für die Zukunft des Traditionsclubs. Archivfoto: Molatta
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Unter nach wie vor schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen steht der Neuaufbau des VfL Bochum, der mit dem Trainingsauftakt in dieser Woche auch offiziell eingeläutet wurde. Das betont Ilja Kaenzig, Sprecher der Geschäftsführung, im Exklusiv-Interview mit dem Stadtspiegel. Ein Gespräch über Saisonziele und Vereinsliebe, Spieleretats und Gehaltsexplosionen und den VfL als „bedrohte Spezies“.

Der VfL Bochum geht in seine zehnte Saison in der 2. Liga in Folge und ist damit in der neuen Spielzeit dienstältester Zweitligist. Können Sie dieser Rekordzahl auch etwas Positives abgewinnen?
Ilja Kaenzig: Meinen Sie, ob wir damit zufrieden wären? Nein, diese Einstellung soll bei uns nicht Einzug halten. Es ist auch kein Rekord, sondern eine Momentaufnahme. Bleiben wir also gelassen und versuchen, diesen „Titel“ an einen anderen Club weiterzugeben.

Teilen Sie die Einschätzung, dass die Chance gerade in der vergangenen Saison sehr groß war, am Ende unter den ersten drei Teams zu landen?
Diese Einschätzung traf ja auf die Saison davor noch eher zu. Aber so etwas gilt für einige andere Clubs auch, also ist die Diskussion müßig. Jede Saison ist eine Chance, unabhängig davon, wer gerade aus der Bundesliga abgestiegen ist. Aber es muss halt vieles zusammenpassen.

Warum hat es aus Ihrer Sicht trotzdem nicht gereicht?
Man sagt ja, ein Aufstieg entscheide sich im November und im Februar. Nun, im Februar haben wir alle Spiele verloren. Damit waren wir aus dem Rennen. Und es gelang uns auch nicht, einen Lauf zu starten. Mehr als zwei Siege am Stück konnten leider nicht aneinandergereiht werden.

"Man liebt seinen Verein nicht für Tabellenplätze"

Mit Rang elf wurde auch das erklärte Ziel „Top 25“ klar verfehlt. Ist der VfL zurück auf dem Weg zur „grauen Maus“? Wo sehen Sie den Verein in Bezug auf die anderen Klubs aktuell – in sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht?
Wir haben immer betont: Es ist kein Saisonziel, sondern eine langfristige Positionierung, deshalb haben wir auch nichts verpasst. Man liebt seinen Verein nicht für bestimmte Tabellenplätze. Gerade der VfL hat in all den Jahren seine Strahlkraft sicher nicht dank Platzierungen entwickelt, sondern weil er dauerhaft zur Bundesliga gehörte. Wirtschaftlich stehen wir im Mittelfeld der Zweiten Liga. Aber in Bochum war immer schon weniger Geld zur Verfügung als anderswo. Sportlich waren wir zuletzt 6., jetzt 11. Das sagt als Prognose für einen Saisonverlauf wenig aus. Düsseldorf und Nürnberg sind beide aufgestiegen, nachdem sie in der Vorsaison die TOP 10 verfehlt hatten. Es gibt keine Vorzeichen, die man in dieser Liga deuten könnte.

Angesichts vermeintlich großer Klubs in der 2. Liga wie Stuttgart, Hannover und dem HSV, aber auch mit Blick auf Vereine, die nach oben drängen wie der KFC Uerdingen – wie groß ist die Gefahr für den VfL, abgehängt zu werden?

Traditionsclubs wie 1860 München, Braunschweig, Kaiserslautern, Rostock, Rot-Weiß Essen oder Aachen drängen nach oben, die vermeintlich „kleineren“ Erstligisten haben alle Etats über 100 Millionen Euro. Beim VfL musste man schon immer aus wenig viel machen, um sich zu behaupten. Der VfL war und ist somit eine „bedrohte Spezies“, doch er hat sich in seiner Geschichte stets bravourös gewehrt und behauptet. Dafür steht der VfL im deutschen Fußball. Die Menschen lieben diese wahre, ehrliche Geschichte.

Welche Möglichkeiten kann und muss der VfL nutzen, um in diesem Wettstreit zu bestehen und den Etat auch unabhängig von einem Investor zu steigern?
 Wir wollen unseren Umsatz mit dem wirtschaftlichen Entwicklungsplan „Vision 35+“ steigern, dazu sollten jährlich wiederkehrende Transfererlöse kommen. Aber selbst dann kommen wir nicht auf die Größenordnung, die beispielsweise ein FC St. Pauli Stand heute hat. Dem Geld hinterher zu rennen bringt also nichts. Wir müssen andere Stärken ausspielen. Wie Kontinuität, Ruhe und das Talentwerk!

"In der 2. Liga gibt es eine Gehaltsexplosion"

Mit welchem Gesamtetat kann der VfL in dieser Spielzeit planen? Steht für den neuen Kader ein größeres Gehaltsvolumen zur Verfügung?
Wir geben die Zahlen an der Jahreshauptversammlung im Herbst bekannt. Aber der Lizenzetat wird höher sein als letzte Saison. Problem: In der Zweiten Liga gibt es eine Gehaltsexplosion, weil einige Clubs sehr risikofreudig geworden sind. Das relativiert unsere Erhöhung wieder. Aber diese Clubs werden im Misserfolgsfall in einen Teufelskreis geraten. Deshalb gehen wir nach wie vor sehr sorgsam mit unseren Mitteln um.

Gerade jetzt, angesichts von Umbruch und Neuaufbau, hätte die finanzielle Unterstützung eines Investors helfen können. Sehen Sie das Engagement eines strategischen Partners auch im Bereich z.B. der Spielergehälter oder eher in Jugendarbeit und Infrastruktur?
Wir haben klare Vorstellungen, wie wir die Mittel investieren würden. Erstens: In einen konstanten Lizenzetat, frei von jährlichen Schwankungen aufgrund des TV-Geldes. Zweitens: In Transfersummen für Spieler, die ihren Wert bei uns dann vervielfachen könnten. Drittens: In die Verbesserung der Bedingungen im Talentwerk, einer der besten Nachwuchsabteilungen Deutschlands. Und Viertens: In Projekte, die die wirtschaftliche sowie infrastrukturelle Entwicklung des Vereins begünstigen.

Woran scheiterte ein Einstieg bislang? Gibt es für einen Einstieg eine realistische Perspektive?
Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Man kann den richtigen Investor morgen finden – oder vielleicht auch erst zu einem viel späteren Zeitpunkt. Das ist eine Generationsentscheidung für den VfL. Darum haben wir sehr viel Respekt und Demut vor dieser Aufgabe.

Die Diskussion um den Einstieg von Investoren wurde im Verein emotional geführt. Haben Sie den Eindruck, dass sich diese Diskussion ausreichend versachlicht hat?
Die Diskussion wird aktuell gar nicht geführt, und das ist auch gut so. Es geht um Fußball, die neue Saison. DAS ist wichtig bei einem Fußballverein. Es ist wichtig, dass wir auf und neben dem Platz einen richtig guten Job machen.

Zum Ende im zehnten Zweitligajahr ein Blick in die Zukunft: Wo steht der VfL Bochum in zehn weiteren Jahren – in Ihren Wünschen und in Ihrer realistischen Einschätzung?
Der VfL hat bundesweit 13 Millionen Sympathisanten. Eine unfassbar große Zahl. Wie das sein kann? Weil der VfL in den vergangenen Jahrzehnten verdammt viel richtig gemacht hat! Und das Gleiche soll man auch in zehn Jahren über den Verein sagen können.

Autor:

Dietmar Nolte aus Dortmund-West

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